VON CLEMENS POKORNY
|
19.02.2016 14:19
(Nicht nur) Im Land der Waffennarren
In vielen Bundesstaaten der USA ist es kinderleicht, sich eine Schusswaffe zu kaufen. Die Republikaner verhindern dringend nötige Gesetzesänderungen. Pistolen und Gewehre bilden zwar nicht den Kern des Problems – es ist der Finger am Abzug, der tötet. Doch die Erschwerung des Zugangs zu Waffen und die Reduzierung ihrer Zahl in der Bevölkerung wären Vorbedingungen für das Ziel, Gewalttaten einzudämmen.
„Wir sind das einzige entwickelte Land auf der Welt, das alle paar Monate derartige Amokläufe erlebt“. Der Präsident der USA, Barack Obama, resignierte Anfang Oktober 2015 angesichts einer erneuten Bluttat – und angesichts der fortgesetzten Weigerung der Republikaner, das Waffenrecht zu verschärfen. Die wäre dringend geboten, griffe aber nur bedingt. Denn in den Vereinigten Staaten ist das Waffenrecht – anders als in Deutschland – vor allem Sache der einzelnen Bundesstaaten. Auf Bundesebene wird allen Amerikanern grundsätzlich das Recht auf Waffenbesitz eingeräumt und nur wenig eingeschränkt (kaum Versand von Schusswaffen per Post, kein Verkauf an Schwerverbrecher, Verkauf von Maschinengewehren nur an vom FBI überprüfte Personen). In den allermeisten Bundesstaaten sind Schusswaffen frei verkäuflich und sie müssen auch nicht registriert werden.
So kann es nicht verwundern, dass es in den USA fast so viele private Schusswaffen (zwischen 240 und 280 Millionen) wie Einwohner gibt (etwa 320 Millionen) und in fast jedem zweitem Haushalt mindestens eine Waffe liegt, während in Deutschland eine einzige Feuerwaffe auf zehn Menschen kommt. Das mag jeweils historische Hintergründe haben – die Auswirkungen in unserer Zeit lassen sich nicht wegdiskutieren: Auf 100.000 US-Amerikaner kommen 6,24 Morde per Schusswaffe, in Deutschland nur 0,21 (etwa ein Dreißigstel der US-Zahl). Der Unterschied wird nur um wenig geringer, wenn die Gesamtzahlen an Morden (die auch mit anderen Mitteln begangen werden können) verglichen werden: Im Jahr 2011 kamen in den USA 4,7 Morde auf 100.000 Einwohner, in Deutschland nur 0,8 (ungefähr ein Sechstel der US-Zahl).
Der Vergleich verweist darauf, dass in Europa Morde eher mit Hieb- und Stichwaffen begangen werden. Ein mit einem Messer begangener Amoklauf aber würde logischerweise weit weniger hohe Opferzahlen fordern. In einem Land mit sehr restriktivem Zugang zu Schusswaffen ist die Wahrscheinlichkeit, dass z.B. ein Schüler eine Waffe seines Vaters entwendet und in seiner Schule damit ein Blutbad anrichtet, schon alleine deshalb viel geringer, weil viel weniger Väter (oder Mütter) Pistolen, Gewehre u.s.w. besitzen. Die Verfügbarkeit einer Schusswaffe alleine bedeutet also wohl noch keine Gefahr für Leib und Leben, aber sie ermöglicht es einem aggressiven Menschen, sich mit viel schrecklichen Folgen abzureagieren als ohne.
Lobbyismus im Deutschen Bundestag
Über 1.000 Interessensvertreter haben in der laufenden Legislaturperiode von den Parteien einen Hausausweis für den Bundestag erhalten. Mehr als die Hälfte wurden von CDU und CSU vergeben
[...]»
So weit, so europäisch gedacht. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem persönliche Freiheit über alles zu gehen scheint, gilt eine andere Logik. Einen gewaltsam agierenden „bad guy“ mit einer Waffe könne nur ein „good guy“ mit einer Waffe stoppen, hört man von US-Politikern und -Waffenlobbyisten immer wieder. Wie viele „bad guys“ auf diese Weise tatsächlich bereits vom Begehen einer schlimmen Tat abgehalten wurden, woran man einen „bad guy“ überhaupt erkennt und ob die „good guys“ sich in Extremsituationen nicht ebenfalls in „bad guys“ verwandeln könnten, darüber schweigen sich die Waffenfanatiker aus. Während die finanziell starke Waffenlobby ihre Produkte verkaufen will,
hängen US-Politiker vor allem der Republikanischen Partei nicht selten von deren Wahlkampfspenden ab, die auch nicht an den politischen Konkurrenten fließen sollen.
So wird sich auch in naher Zukunft weder auf Bundes- noch auf Landesebene der USA viel zuungunsten der Waffenindustrie bewegen. Barack Obama will im Alleingang
einige Änderungen des Bundesrechts erzwingen, die allerdings allenfalls langfristig wirken könnten: Mehr Geld für die Behandlung psychischer Krankheiten (aber die müssen auch erst einmal erkannt werden) und eine bessere Überprüfung von Schusswaffenverkäufern gehören zu den angestrebten Maßnahmen. Ob sie die Gerichtsverfahren überleben, die von Seiten der Waffenlobby zu erwarten sind, bleibt abzuwarten.
Eine Kleinstadt im Bundesstaat Georgia hat derweil alle Haushalte zum Vorhalten mindestens einer Schusswaffe und ausreichend Munition dafür verpflichtet…
Wenigstens in der EU werden die Waffengesetze verschärft – allerdings zu dem Zweck, dem islamistischen Terrorismus den Nachschub abzugraben.
Der Internethandel mit Schusswaffen sowie der Verkauf halbautomatischer Waffen an Privatleute sollen verboten werden. Die Menschen dagegen fragen Waffen vermehrt nach. Bekanntlich
haben Teile der Bevölkerung bereits auf Terroranschläge und sexuelle Übergriffe von Migranten reagiert: Seit Silvester ist der Verkauf von Schreckschusspistolen und Pfeffersprays in Deutschland sprunghaft angestiegen. Die Käuferinnen und Käufer, rechte Gegenstimmen zur deutschen Flüchtlingspolitik und Waffenbegeisterte in den USA eint offenbar das
Misstrauen in das staatliche Gewaltmonopol und dessen effektive Anwendung. Gerade sie sollten aber aus den mit Schusswaffen verübten Gewalttaten in den USA lernen, dass Gewalt nicht per Automatismus Gegengewalt erzeugen darf und dass Waffen in der Hand von Privatleuten nicht schützen, sondern alles nur noch schlimmer machen.