VON CLEMENS POKORNY | 26.02.2016 16:57

Schreiben kann gefährlich sein. Über Gewalt gegen Journalisten in Deutschland

Belastbare Zahlen gibt es kaum, doch Journalisten berichten übereinstimmend über eine Zunahme der Gewalt ihnen gegenüber, vor allem seitens der islamfeindlichen Pegida-Bewegung. Wie die „Reporter ohne Grenzen“ argumentieren, bedrohen auch ganz andere Gefahren die Pressefreiheit und die publizistische Vielfalt in Deutschland. Die Ursachen ablehnender Haltungen gegenüber der Presse liegen aber zumindest teilweise auch bei den Journalisten selbst.

Lügenpresse, das Unwort des Jahres 2014, ist nicht das Einzige, was Journalisten seit Beginn der Pegida-Demonstrationen im Herbst 2014 über sich ergehen lassen müssen, wenn sie ihrer Arbeit in schwierigem Umfeld nachgehen wollen oder müssen. Neben verbaler Gewalt leiden sie auch unter Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Alleine in Sachsen sind für das Jahr 2015 insgesamt 25 Fälle dokumentiert. Bei derlei Vorfällen zum 1. Jahrestag der Demos der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ in Dresden soll die Polizei nicht eingeschritten sein, obwohl die Straftaten teilweise direkt vor ihrer Nase verübt wurden. Auf einer Veranstaltung des Leipziger Pegida-Ablegers Legida Mitte Januar 2016 beklagte eine Vertreterin dieser Organisation: „Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln.“ Kurz danach wurde einer Journalistin erst das Handy aus der Hand und ihr dann ins Gesicht geschlagen. Die gewaltsamen Angriffe gehen also auch in diesem Jahr weiter. Als besonders gefährdet gelten die aufgrund ihrer Ausrüstung leicht als Reporter zu identifizierenden Fernsehteams. Können Journalisten künftig sogar in Deutschland nur noch mit Personenschützern zu solchen Veranstaltungen gehen, wie sie es teilweise bereits tun?

Ohne die Gewalt frustrierter „Europäer“ oder anderer Irrläufer zu verharmlosen: Die verschiedenen Angriffe vor allem von islamfeindlicher, links- oder rechtsradikaler Seite auf die Presse zielten in der jüngsten Vergangenheit, anders als in anderen Ländern, nicht auf das Leben der Betroffenen ab. Unsere Demokratie toleriert zu unserem Glück auch extreme Meinungen. Und es lässt sich nicht verhindern, dass gelegentlich manche Menschen die Kontrolle über sich verlieren – und zwar nicht nur solche an den Rändern des politischen Meinungsspektrums. Solange niemand ernsthaft zu Schaden kommt, dürfte gegebenenfalls eine Verbesserung der Polizeiarbeit ausreichen (vgl. oben); und zur Verhütung von Schlimmeren genügten bisher andere staatliche Instrumente. Im weltweiten Vergleich jedenfalls stehen Journalisten in Deutschland nicht so schlecht da: Deutschland rangiert auf dem 12. Platz unter 180 Staaten, die die „Reporter ohne Grenzen“ für ihre Rangliste bewertet haben (insgesamt werden weltweit etwas über 190 Staaten allgemein anerkannt).

Die Polizei, dein Freund und Helfer?

Wiegt nicht die strukturelle Gewalt von Seiten des Staates, der die Presse auch in Deutschland ausgesetzt ist, viel schlimmer als abgefackelte Autos, beschmierte Büroaußenwände oder Blutergüsse an den Körpern von Journalisten? Die Rede ist von Gewalt, die man nicht sieht, die aber die Arbeit der Reporter behindert oder gar verunmöglicht. Lauschangriffe auf Telefonate von Verdächtigen mit einem Polizeireporter, der Einsatz einer verdeckten Ermittlerin des Staatsschutzes bei einem freien Hamburger Radiosender, vor allem aber die massive Überwachung der Kommunikation im Internet (Vorratsdatenspeicherung, Duldung von NSA-Spionageangriffen auf das Anonymisierungsnetzwerk Tor oder auch der „Bundestrojaner“) – all diese skandalösen Tatsachen schaffen ein Klima der Zurückhaltung, bei Journalisten wie bei ihren Informanten. Auch die Legislative erschwert bisweilen die Arbeit der Presse. Beispielsweise haben mehrere Bundesländer noch immer kein Informationsfreiheitsgesetz verabschiedet, das allen Bürgerinnen und Bürgern die vor allem von Journalisten genutzte Möglichkeit zur Einsicht in Akten und Dokumente der öffentlichen Verwaltung garantierte. Auf Bundesebene wurden die Rahmenbedingungen dafür schon im Jahr 2005 geschaffen – zu dieser Zeit regierten übrigens in allen Bundesländern, die bis heute kein Informationsfreiheitsgesetz haben, die Unionsparteien. Die undurchsichtige Rechtslage erschwert es möglichen Whistleblowern in Deutschland, sich zur Veröffentlichung erheblicher Rechtsbrüche insbesondere von staatlicher Seite durchzuringen.

Die Liste von Umständen, die sich als Gewalt gegenüber Reportern auffassen lassen, ließe sich leider fortsetzen. Während der Staat ein ebenso unzulässiges wie doch nachvollziehbares Interesse daran hat, auch über seine „Vierte Gewalt“ Kontrolle zu haben, liegen die Ursachen für die Pressefeindlichkeit in der Bevölkerung wohl tiefer. Der Vorwurf unzureichender Berichterstattung rechtfertigt natürlich keinesfalls Gewalt irgendwelcher Art gegenüber Journalisten, lässt sich aber manchmal nicht von der Hand weisen und mag die Aggressionen gegenüber Reportern wenigstens teilweise erklären. Beispiel Flüchtlingskrise: Da scheint beispielsweise die Süddeutsche Zeitung kritische Berichterstattung im Sinne von Pegida und Konsorten darauf zu beschränken, dass öfters als früher von Übergriffen männlicher Personen aus muslimischen Herkunftsländern auf Frauen in Deutschland berichtet wird. Wie wäre es aber mal mit einer Reportage z.B. aus Saudi-Arabien, die offen zeigte, wie Frauen in patriarchalen Systemen (gleich welcher Religion) leben müssen? Stattdessen wird das Phänomen mangelnden Respekts muslimischer Männer vor Frauen eher klein geredet: Ein Anstieg der Deliktzahlen sei nur in Abhängigkeit von der steigenden Zahl der Flüchtlinge insgesamt festzustellen (aber gerade darum geht es ja!), und wer über Gewalt gegenüber Frauen in islamischen Ländern redet, kennt doch oft eh keine echten Muslime, lautet der Tenor eines aktuellen Beitrags in der SZ. Beispiel Ukraine-Krise: Ende 2014 berichteten die Medien in Deutschland ziemlich einmütig einseitig und anti-russisch. Auf ein wütendes Kündigungsschreiben eines langjährigen SZ-Abonnenten reagierte der Leiter des Ressorts Außenpolitik dieser Zeitung mit dem Verweis auf ein näher erläutertes „Grundargument“ seiner Zeitung. Das impliziere offenbar, in der SZ sei eine Meinung vorgegeben, die alle Autoren zu teilen hätten, folgerte der ehemalige Leser. Der SZ-Redakteur beendete den Schriftwechsel, zu dessen Fortführung er in seiner ersten Antwort noch ermuntert hatte, ohne auf den obigen Hinweis des Lesers einzugehen, kühl mit den Worten: „Wir müssen die inhaltliche Differenz auch nicht weiter austragen.“ Der Publizist Albrecht Müller, auf dessen „Nachdenkseiten“ dieser Briefwechsel veröffentlicht wurde, fragt nicht zu Unrecht, ob der Begriff „Lügenpresse“ nicht auch deshalb zum Unwort des Jahres gewählt wurde, um Kritik an den Massenmedien schlechthin zu diskreditieren.

Natürlich sind diese Medien in Deutschland nicht gleichgeschaltet. Gerade bei der Gewalt gegen Journalisten seitens der Islamkritiker scheint der Bote für die Überbringung einer als schlecht empfundenen Botschaft bestraft zu werden. Und doch hat man bisweilen den Eindruck, als verstünden sich gerade die führenden Qualitätsblätter zuweilen nicht als Korrektiv, sondern als Teil staatlicher Macht. Der Fall der Ukraine-Krise zeigt beispielhaft, wie Journalisten sich auf die regierungsoffizielle Darstellung eines politischen Sachverhalts beschränken. Abweichende Meinungen liest man viel zu selten. Die Kritik an diesem Zustand kann selbstredend ausschließlich über Argumente erfolgen. Selbstkritik der Medien? Weitgehend Fehlanzeige. Ein Grund weniger für Journalisten, sich über schwindende Abonnentenzahlen zu beklagen! Ein Verlust an Vielfalt bedroht laut „Reporter ohne Grenzen“ die Pressefreiheit in Deutschland: Manche Blätter melden Insolvenz an, viele andere übernehmen weite Teile ihrer Berichterstattung von Partnermedien, die „Münstersche Zeitung“ erscheint gar ohne eigene Redaktion. Geldmangel begünstigt aber einseitige Berichterstattung – wenn dann weitere Leser wegfallen, droht ein Teufelskreis. Dieser lässt eine zunehmend ablehnende Haltung in der Bevölkerung gegen die Journalisten des Establishments nachvollziehen, doch in einer pluralistischen Demokratie darf Gewalt nie ein Mittel der politischen Diskussion sein.