VON MAXIMILIAN REICHLIN
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26.02.2016 17:35
Selbstjustiz gegen Flüchtlinge – Bürgerwehren organisieren sich auf Facebook
Bundesjustizminister Heiko Maas will verstärkt gegen Selbstjustiz und Bürgerwehren vorgehen. Die unautorisierten „Ordnungshüter“ haben in Köln im vergangenen Monat mehrere Gewalttaten gegen ausländische Personen begangen, gegen andere Gruppen laufen Strafverfahren. Sie nehmen das Gesetz in die eigene Hand, weil sie von Polizei und Justiz enttäuscht sind. In den meisten Fällen handelt es sich bei dieser digital organisierten Selbstjustiz allerdings um Rachedelikte oder Taten mit rechtsextremem Hintergrund. Fachleute warnen vor solchen Aktionen: Selbstjustiz ist in den meisten Fällen strafbar.
Nach gewalttätigen Angriffen auf ausländische Personen im vergangenen Januar in Köln will Bundesjustizminister Heiko Maas nun hart gegen Bürgerwehren ins Gericht gehen. Im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung sagte Maas: „Selbstjustiz werden wir nicht akzeptieren. Es ist nicht die Aufgabe von Bürgerwehren oder anderen selbst ernannten Hobby-Sheriffs, Polizei zu spielen.“ Maas will damit ein Zeichen setzen gegen sogenannte „Bürgerwehren“ oder „Nachbarschaftswachen“ die sich nach den Vorfällen zur Silvesternacht in Köln vermehrt in sozialen Netzwerken im Internet organisieren und in vielen Fällen nicht vor Gewalt zurückschrecken.
Nach Köln: Rechtsextreme Bürgerwehren „bestrafen“ Flüchtlinge
Vor allem in Köln und Umgebung sind die selbsternannten Bürgerwehren mit Vorliebe aktiv. Im vergangenen Monat kam es dort zu zahlreichen gewaltsamen Angriffen auf ausländische Opfer, bei denen mehrere Personen verletzt wurden. Die Angreifer sollen sich zuvor via Facebook und in Internetforen zur Selbstjustiz verabredet haben. Als „gewaltfreie Abendspaziergänge“ waren die Aktionen der Bürgerwehren dabei jeweils tituliert. Der Kölner Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn will nun ebenfalls gegen die Banden durchgreifen: „Selbstjustiz dulden wir nicht und wird von uns mit Hochdruck strafrechtlich verfolgt.“
Die Kölner Polizei vermutet hinter den gewaltsamen Übergriffen vor allem Rechtsextreme und Mitglieder der Kölner Rocker- und Türsteher-Szene. Das Motiv: offenbar Rache. So riefen die Veranstalter solcher „Abendspaziergänge“ im Vorfeld vermehrt dazu auf, Männer aus Nordafrika für die Übergriffe zum Jahreswechsel zu „bestrafen“. An vergangenem Silvester waren in Köln mehrere Frauen von hauptsächlich nordafrikanischen Flüchtlingen massiv sexuell bedrängt worden.
Wie aus Fischern Piraten wurden
Europäische, asiatische und russische Fischfangflotten fischen dort seit Jahrzehnten illegal, zerstören die Lebensgrundlage der somalischen Fischer und brachten diese schließlich dazu, sich zu bewaffnen und zu versuchen, die ausländischen Schiffe zu vertreiben
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Wenn die Polizei „versagt“ nehmen Einige das Gesetz selbst in die Hand
Erkennungszeichen der Bürgerwehr-Seiten: Oft ein schwarzes Profilbild mit einem roten Ausrufezeichen, darüber ein weißer Schriftzug. Dazu kommt der Aufpasser-Modus im Namen. „Hamburg passt auf“, „
Düsseldorf passt auf“, „Fulda passt auf“, „Wilhelmshaven passt auf“. Viele dieser Facebook-Gruppen zählen nur wenige hundert Mitglieder, andere mehrere tausend. Ihr Ziel: Selbstjustiz. Sie wollen Gruppen organisieren, die an Wochenenden und zu Großveranstaltungen durch die Straßen ihrer Stadt ziehen, um die Sicherheit zu gewährleisten. Auch auf solchen Seiten wird regelmäßig zu „gemeinsamen Spaziergängen“ aufgerufen. Gegen mehrere digitale Bürgerwehren laufen aktuell Ermittlungsverfahren. Die Tatbestände reichen von Körperverletzung bis zur
Volksverhetzung.
Die betreffenden Gruppen wähnen sich im Recht, im Internet verteidigen sie ihre Selbstjustiz. Auf Maas' Facebook-Seite kommentierte ein Nutzer: „Es ist die Aufgabe des Volkes, für Ordnung zu sorgen, wenn die Regierung versagt.“ Ein anderer schreibt: „Ihr wollt es nicht schaffen, unsere Frauen und Kinder zu schützen!“ Gegen den ehemaligen Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers und weitere Beamte ist indes
im Zuge der Silvesternacht Strafanzeige gestellt worden – wegen unterlassener Hilfeleistung. Hier zeichnet sich ein Trend ab: Immer weniger Bürgerinnen und Bürger vertrauen auf die Kompetenz von Polizei und Justiz, immer mehr nehmen das Gesetz in die eigene Hand.
Rachegelüste und Enttäuschung sind Haupttriebkräfte für Selbstjustiz
Das Versagen der Justiz ist oftmals die Grundlage für gewaltsame Selbstjustiz, im Falle von Bürgerwehren wie auch im privaten Bereich. Im vergangenen Dezember erregte der Fall einer Familie in Freiburg Aufsehen: Ein Vater hatte zusammen mit seinem Sohn
den mutmaßlichen Vergewaltiger seiner Tochter umgebracht – aus Rache und weil die Justiz nichts gegen den Täter unternommen hatte. Im Mai 2014 musste sich im elsässischen Mühlhausen
ein Mann vor Gericht verantworten, weil er einige Männer dafür bezahlt hatte, den Mörder seiner Tochter mit Gewalt den französischen Behörden zu überführen – weil Deutschland den Täter nicht nach Frankreich hatte ausliefern lassen. Im November des selben Jahres wurden in Berlin zwei junge Flüchtlinge
vom Besitzer einer Bar niedergestochen – weil die Polizei nicht in der Lage gewesen war, die Drogengeschäfte der beiden Opfer vor seinem Laden zu unterbinden.
Der Rechtsstaat weiß: Selbstjustiz ist immer strafbar
Nicht immer sind Urteile gegen Vigilanten nachvollziehbar. Doch die Rechtslage in solchen Fällen ist eindeutig: Selbstjustiz ist nach deutschem Recht zwar kein Straftatbestand an sich, allerdings ist ein Gewaltverbrechen immer ein Gewaltverbrechen, selbst wenn es unter der Maßgabe der „Gerechtigkeit“ geschieht. Auch die Gründung einer parapolizeilichen Organisation ändert nichts an dieser Tatsache. Das Gewaltmonopol geht nach deutschem Recht grundsätzlich von der Polizei und der Justiz aus. Einer Einzelperson oder einem Kollektiv wie einer Bürgerwehr ist es daher nicht gestattet, Personenkontrollen durchzuführen, Platzverweise auszustellen oder gar selbst Gewalt anzuwenden.
Es muss nicht einmal ein rechtsextremer oder überhaupt ein böswilliger Hintergrund vorliegen, um solche Gruppen bedenklich erscheinen zu lassen. Allzu schnell entsteht in solchen Vereinigungen aus ursprünglich guter Absicht Gewalt. Wie in einem Fall im thüringischen Hildburghausen: Hier hatten Mitglieder einer Bürgerwehr einen ausländischen Lastwagenfahrer in einer wilden Verfolgungsjagd durch den ganzen Ort verfolgt,
wobei ein immenser Schaden entstanden ist. Das ausländische Kennzeichen des LKW war einer „Streife“ der Bürgerwehr aufgefallen. Der Fahrer hatte jedoch nur Material für eine ansässige Firma geliefert. Der Kriminologe Claudius Ohder warnt deshalb vor einem Übertreten der Grenzen. Mit der Attitüde, das Gesetz selbst in die Hand nehmen zu wollen, stelle man sich „über das Gemeinschaftsrecht.“ Damit sei man mit Selbstjustiz, egal ob im Falle von Bürgerwehren oder persönlicher Rache, immer in einem „grundsätzlich problematischen Handlungsbereich.“
Wie viel Selbstjustiz ist erlaubt?
Tatsächlich hat eine Bürgerwehr allerdings gewisse Befugnisse. So genießen die Mitglieder einer solchen Vereinigung – so wie jede deutsche Staatsbürgerin und jeder deutsche Staatsbürger – das Recht der sogenannten „
Jedermann-Festnahme“. Dieses in der Strafprozessordnung verankerte Recht erlaubt es jeder Person, eine andere Person so lange festzuhalten, bis die Polizei vor Ort eintrifft. Dabei ist sogar der Einsatz von Fesseln und die
Anwendung von Gewalt bis hin zur leichten Körperverletzung und Sachbeschädigung gestattet. Allerdings müssen für das Jedermann-Festnahmerecht zwei Bedingungen erfüllt sein: Die festgehaltene Person muss bei einer Straftat ertappt oder zumindest dringend tatverdächtig sein. Außerdem muss die angewendete Gewalt „verhältnismäßig“ bleiben – was sie zumindest in den Fällen der Angriffe in Köln nicht war.