VON MAXIMILIAN REICHLIN
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29.08.2015 18:17
Polizeigewalt wird nur selten aufgeklärt – Die Polizei, dein Freund und Helfer?
Die Polizei verfügt in Deutschland über das Gewaltmonopol. Das ist oft notwendig, um Straftaten zu vereiteln und Unschuldige zu schützen. Problematisch wird es, wenn Polizeigewalt eskaliert, denn in diesem Fall sieht es für die Opfer schlecht aus. Nur ein Bruchteil der Fälle kommt zur Anzeige, da Beweise unterschlagen werden und Aussage gegen Aussage steht. Oft werden die Opfer selbst im Nachhinein zu Tätern gemacht. Die Fälle, in denen Beamtinnen und Beamte über die Stränge schlagen, häufen sich. UNI.DE geht der Frage nach, wie das in einem Rechtsstaat überhaupt möglich ist.
Im vergangenen Mai hatte das Amtsgericht im westfälischen Herford einen 39-jährigen Mann freigesprochen, nachdem dieser von einem Beamten angezeigt worden war. Der Hintergrund: Im Juni 2014 gerät der Angeklagte Hüseyin E. mit seinem Wagen in eine Polizeikontrolle. Ein Alkoholtest fällt negativ aus, E. bleibt gelassen, bis der Beamte damit beginnt, auf ihn einzuschlagen und mit Pfefferspray zu attackieren – aus Notwehr, wie er später angibt. Hüseyin E. wird wegen Körperverletzung und Widerstands gegen die Vollstreckung angezeigt, erst ein Jahr später spricht die Beweislage zu seinen Gunsten. Gegen den prügelnden Beamten wurde mittlerweile ein Verfahren eingeleitet.
Ein Fall mit Seltenheitswert, denn nicht immer können Beamte, die im Einsatz ungerechtfertigte Gewalt einsetzen, erfolgreich verklagt werden. In Fällen von Polizeigewalt kommt es in Deutschland nur höchst selten zu einem Gerichtsverfahren. Von rund 4.500 Ermittlungen gegen Angehörige der Polizei, darunter 21 Verfahren wegen Tötungsdelikten und über 2.000 wegen Körperverletzung und Nötigung, landeten im Jahr 2013 nur etwa 50 vor einem Gericht. Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht an der Freien Universität Berlin, hat ausgerechnet, dass gut 95 Prozent aller Anzeigen wegen Polizeigewalt von der Staatsanwaltschaft fallen gelassen werden. In wie vielen zusätzlichen Fällen dagegen überhaupt keine Ermittlung gegen die Beamten eingeleitet wird, darüber liegen keine Zahlen vor.
Personengebundene Hinweise machen jeden Menschen zum Straftäter
Wie landet man in solch den Datenbanken des Bundeskriminalamtes und welche Informationen werden dort gespeichert?
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Dafür kann es mehrere Möglichkeiten geben. Die Betroffenen kennen ihre Rechte nicht, können die Täter unter den Beamten nicht identifizieren oder sind schlichtweg eingeschüchtert. Kommt es doch zu einer Anzeige, laufe diese, wie die ZEIT konstatierte,
oft ins Leere. Einerseits weil die Beamten selbst Anzeige gegen die Opfer einreichen, dann steht Aussage gegen Aussage; andererseits weil solche Fälle nicht von einer übergeordneten Instanz behandelt werden, sondern in den meisten Fällen von den Dienststellen der Täter – von ihren Kollegen, Vorgesetzten und Freunden. Im Fall Hüseyin E. beispielsweise wird nun nicht nur gegen den prügelnden Beamten, sondern
auch gegen seine Dienststelle ermittelt. Der Verdacht der Staatsanwaltschaft: Die Kollegen hätten eine sogenannte „
Mauer des Schweigens“ errichtet, den Täter gedeckt und falsche Beweise vorgelegt, die seine Version der Geschichte stützten.
Ein ähnlicher, sehr viel schwerwiegenderer Fall, ereignete sich im Jahr 2010 im bayerischen Schechen bei Rosenheim. Hier war die vierköpfige
Familie Eder nach eigener Aussage Opfer einer zehn Mann starken Einsatztruppe geworden, die die einzelnen Familienangehörigen mit Schlägen, Tritten und Würgegriffen brutal misshandelt und krankenhausreif geprügelt haben soll. Die Beamten dagegen erzählen die Geschichte vor Gericht anders: Die Familie habe sich massiv gegen die Beamten gewehrt, die nur vor Ort gewesen waren, um einen ehemaligen Bewohner der Familienwohnung zu einer Vernehmung abzuholen. Von ungerechtfertigter Gewalt könne keine Rede sein. Trotz der Beweisfotos, die die Mutter mit ihrem Handy aufnimmt, und trotz abweichender Zeugenberichte, ist es am Ende Familie Eder, die vor Gericht steht. Am siebten Verhandlungstag wird das Verfahren fallen gelassen, die Prozesskosten muss die Familie tragen.
Ob solche Maßnahmen tatsächlich verhältnismäßig sind, ist in vielen Fällen fraglich. Zwar ist die Polizei in Situationen, in denen sich Zivilpersonen polizeilichen Maßnahmen entziehen, dazu berechtigt,
Zwangsmittel anzuwenden. Diese müssen die Beamtinnen und Beamten in den meisten Fällen aber ankündigen. Sie sind außerdem verpflichtet, in jedem Fall die „geringstmöglichen Mittel“ einzusetzen. Diese Grenze wird oft genug ausgereizt. Immer häufiger tauchen private Videos im Netz auf, die Polizisten beim Anwenden
völlig überzogener Gewaltmaßnahmen zeigen. Trotzdem vertrauen die Deutschen laut aktuellen Umfragen der Polizei
immer noch ungebrochen, mehr noch als Ärzten, Universitäten oder dem eigenen Arbeitgeber.
Die Stiftung für Opfer von rechtswidriger Polizeigewalt
Victim.Veto sowie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fordern bereits seit einiger Zeit, dass Fälle von Polizeigewalt nicht mehr von den Dienststellen der mutmaßlichen Täter – oder überhaupt von der Polizei – sondern
von unabhängigen Ermittlern durchgeführt werden sollten. Dies empfahl 2013 auch der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Zusätzlich solle die Bevölkerung umfangreich über ihre Rechte sowie die Recht der Beamten aufgeklärt werden. Die Polizeidienststellen selbst sehen keinen Handlungsbedarf. Als „
Einzelfälle“ handeln sie solche Begebenheiten, wie etwa die Fälle um
Theresa Z. oder
Oury Jalloh, die in den beiden vergangenen Jahren für Aufsehen sorgten. Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft hält interne Ermittler für ausreichend.
Was nun aber tun, um sich gegen Polizeigewalt zu schützen? Die
Kampagne für Opfer von Polizeigewalt rät Zeugen in jedem Fall, die Dienstnummern der beteiligten Polizistinnen und Polizisten zu erfragen und gegebenenfalls den Einsatzleiter zu sprechen. Anzeige sollte stets direkt bei der Staatsanwaltschaft eingereicht werden, nicht bei der betreffenden Dienststelle. Gegen diese könne später eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Polizeipräsidenten des jeweiligen Bundeslandes gestellt werden. Und vor allem: Seien Sie solidarisch, stellen Sie sich als Zeuge zur Verfügung, kämpfen Sie aktiv gegen den Einsatz von ungerechtfertigter Gewalt seitens der Polizei.