VON CLEMENS POKORNY | 07.10.2015 14:15

Paten im Ländle? Von der Mafia in Deutschland

'Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra sind bloß italienische Probleme? Das wäre zu einfach gedacht: Knapp 500 Mafiosi kennt das Bundeskriminalamt in Deutschland. Sie betreiben Rauschgifthandel und waschen illegal erwirtschaftetes Geld zulasten des Steuerzahlers und ehrlich wirtschaftender Betriebe. Doch Gesetzeslücken und Behördendschungel verhindern bei uns, dass die Ermittler die organisierte Kriminalität wirksam bekämpfen können.

Baden-Württemberg ist ein Muster deutscher Sauberkeit, Gründlichkeit und Geschäftstüchtigkeit. Die bundesweit meisten Erfindungen werden hier angemeldet, mit Bayern wechselt das Ländle sich auf Platz 1 der wenigsten Erwerbslosen und höchsten Durchschnittseinkommen ab. Doch nicht alles Geld wird im Südwesten auf ehrliche Weise verdient. Einiges stammt aus dunklen Geschäften – denn aus keinem anderen Bundesland kennt das Bundeskriminalamt so viel Mafiosi wie aus Baden-Württemberg.

Warum sich so viele Angehörige der organisierten italienischen Kriminalität dort aufhalten, ist unbekannt. Die Zahlen der Polizeibehörde ergeben sich ohnehin erst aus der Addition der Mitglieder verschiedener Mafia-Organisationen, die sich Deutschland gleichsam aufgeteilt haben: der kalabrischen 'Ndrangheta, der neapolitanischen Camorra, der sizilianischen Cosa Nostra und verschiedener Clans aus Apulien. Sie bestehen aus Familienverbänden – Blutsverwandtschaft garantiert den Zusammenhalt –, die auch in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen vergleichsweise stark vertreten sind. Aus historischen Gründen haben sie den Osten Deutschlands schwächer besiedelt. Doch es gibt Hinweise darauf, dass nach der Wende Städte wie Berlin oder Erfurt zu nicht unerheblichen Teilen mit Mafia-Geldern aufgebaut wurden.

Die asiatische Wildtiermafia

Bauunternehmen dienen der Mafia nämlich bevorzugt als Geldwaschanlagen. Ihre Strohfirmen arbeiten meist folgendermaßen: Sie stellen Komplizen Rechnungen über niemals erbrachte Leistungen. Die kooperierende Firma überweist den Rechnungsbetrag und erhält die Summe (abzüglich einer Provision für die Mafia-Strohfirma) in bar zurück. Beide Partner profitieren: Die Mafia auf der einen Seite erhält einen scheinbaren Nachweis über die Herkunft ihrer Einnahmen, während ihre Komplizen auf der anderen Seite Bargeld einnehmen, von dem das Finanzamt nichts weiß und das daher z.B. zur Bezahlung von Schwarzarbeitern genutzt werden kann. Nicht selten ist der Komplize selbst eine weitere Mafia-Firma. Auf bis zu 10 Milliarden Euro schätzt die Gewerkschaft Ver.di den Schaden, der den Steuerzahlern Jahr für Jahr durch illegal operierende Bauwirtschaft entsteht.

Tatsächlich stammt das so gewaschene Geld ursprünglich meist aus dem Rauschgifthandel. Die 'Ndrangheta zum Beispiel kontrolliert den europäischen Kokainmarkt. Diese teure Droge wird nicht etwa von Unterprivilegierten, sondern von gestressten, solventen Kunden konsumiert, wie Ärzten oder Anwälten aus Mailand, Zürich oder München. Geschätzte 30 Milliarden Euro Gewinn macht die kalabrische Mafia mit dem Stoff jedes Jahr, indem sie die Preise gegenüber ihren Einkaufskosten vervielfacht und das weiße Pulver streckt. Vertrieben wird es in Pizzerien und anderen italienischen Lokalen.

Deutschland ist dabei fast so etwas wie ein Paradies für die italienische Mafia. Denn auch wenn das Bundeskriminalamt ganz gut weiß, wer hierzulande zur organisierten Kriminalität gehört und wo er wohnt, kann die Exekutive oftmals nicht gegen die Paten von Neckar, Isar oder Ruhr vorgehen. Das liegt an zwei Schwächen der deutschen Gesetzgebung. Erstens wird in Deutschland, anders als in Italien, nicht schon die Mitgliedschaft in der Mafia als Straftatbestand bewertet. Und zweitens müssen deutsche Ermittler den Mafiosi nachweisen, dass die ihre Gewinne illegal erwirtschaftet haben – in Italien ist die Beweislast umgekehrt: Dort müssen die Paten den Behörden beweisen, dass sie ihr Geld legal erworben haben. So lange sich also an unseren Gesetzen nichts ändert, werden 'Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra weiterhin Schwarzarbeit fördern, die ehrlich wirtschaftende Betriebe in den Ruin treibt, und sie werden weiterhin Geschäfte mit der Drogenabhängigkeit anderer Menschen machen.