VON JASCHA SCHULZ | 11.12.2015 16:13

Lobbyismus im Bundestag: von Hausausweisen und Hinterzimmern

Über 1.000 Interessensvertreter haben in der laufenden Legislaturperiode von den Parteien einen Hausausweis für den Bundestag erhalten. Mehr als die Hälfte wurden von CDU und CSU vergeben. Die Lobbykontakte der Unionsfraktion setzen sich dabei zu einem Großteil aus Industrievertretern zusammen. Dies wirft viele Fragen auf, die den Ablauf von demokratischen Entscheidungsprozessen in Deutschland betreffen. Bis zuletzt wehrten sich die Parteien außerdem gegen die Bekanntgabe ihrer Industrieverbindungen. Diese Geheimhaltungsversuche könnten die Politikverdrossenheit der Menschen noch steigern.

Wer in Deutschland als Interessensvertreter Zugang zum Reichstagsgebäude bekommen möchte, kann sich in eine öffentliche Verbändeliste eintragen. Über diesen Weg erhalten vor allem Parteimitglieder ohne Mandat oder parteinahe Stiftungen Zutritt zu den Parlamentsräumen. Im Laufe dieses Jahres wurde allerdings bekannt, dass es noch einen anderen Weg gibt, sich Einlass in die Räumlichkeiten der Abgeordneten zu verschaffen. Dieser läuft über die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen, die insgesamt jährlich rund 2.000 Hausausweise vergeben dürfen.

Im Oktober gab die SPD auf den medialen Druck hin Auskunft über die Verteilung ihrer Hausausweise. Neben 14 Einladungen für den deutschen Gewerkschaftsbund und Ausweisen für weitere Stiftungen und Verbände lud die SPD auch die Energieriesen EON und RWE sowie die beiden Rüstungskonzerne Rheinmetall und Thyssenkrupp in den Bundestag ein. Bereits hier wurde von vielen eine problematische Verknüpfung von Industrielobby und Politik ausgemacht.

CDU und CSU als Türöffner der Industrie

Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts mussten nun auch CDU und CSU ihre Lobbykontakte offenlegen. Die veröffentlichte Liste lässt die Lobbybeziehungen der SPD verschwindend gering erscheinen. Die Unionsfraktion hat seit Beginn der Legislaturperiode 765 Ausweise an 334 Verbände, Unternehmen und Organisationen bewilligt. Bei der SPD waren es 257 Interessensvertreter, bei den Grünen 61 und bei der Linken 28. Wenn man sich anschaut, wem CDU und CSU so alles Zutritt zum Bundestag verschafft, kann einem schwindlig werden. Von Airbus und Deutsche Bahn mit jeweils neun Vertretern geht es über BASF mit sechs, Evonik und Volkswagen mit fünf, über Daimler (3) und Opel (2) zu unzähligen weiteren Unternehmen, die einen Ausweis für das Reichstagsgebäude ergattern konnten. Auch vom Lobbyverband der deutschen Bischöfe dürfen acht Vertreter im Bundestag auf Einladung der CDU ein- und ausgehen.

Sieht man sich weitere Namen auf der Liste an, versteht man, weshalb sich CDU und CSU so lange gegen eine Veröffentlichung der Listen gewehrt haben. Nicht nur zahlreiche Rüstungsfirmen erhalten Zutritt zu den Parlamentsräumen, auch die die Tabakindustrie und die Frackinglobby dürfen den Bundestag stets besuchen, letztere auch durch einen Ausweis von der SPD. Um die Möglichkeit der Geheimhaltung dieser Kontakte zu wahren, nahmen die Parteien den Vorwurf der Intransparenz anscheinend billigend in Kauf.

Was vor allem irritiert, ist die Schwerpunktsetzung bei der Ausweisvergabe von CDU und CSU. Neben der üblichen Vergabe an parteinahe Stiftungen gehen beinahe sämtliche Ausweise an die Industrie. Es wurde anscheinend nicht einmal ansatzweise versucht, dem Pluralismus-Gedanken der Bundesrepublik gerecht zu werden. Zum Vergleich: Auf die hunderte von Ausweisen an Industrievertreter geht bei der CDU einer an den deutschen Gewerkschaftsbund. Diese Überrepräsentation der Industrie ist hochproblematisch, da auf diese Weise deren Interessen bevorzugt Gehör finden. Die eigentliche Absicht des Bundestags, in seinem Gesamtkorpus ein repräsentatives Abbild der Gesellschaft zu bilden, wird auf diese Weise unterlaufen.

Unterordnung und Assimilierung

Geheimhaltungsversuche durch die Koalition

Mehr als irritierend ist auch das Verhalten der Koalitionsparteien bezüglich der Aufforderung zur Veröffentlichung ihrer Lobbykontakte. Während Grüne und Linke ihre Kontakte preisgaben, beharrten die anderen Bundestagsparteien auf dem Datenschutz bezüglich ihrer Arbeitsbeziehungen. Der ersten Klage von abgeordnetenwatch.org, welche die Parteien zur Veröffentlichung ihrer Lobbykontakte verpflichten sollte, wurde vom Berliner Verwaltungsgericht stattgegeben. Allerdings weigerten sich CDU, CSU und SPD dem Urteilsspruch Folge zu leisten und strebten eine Berufung an. Eine Eilklage des Tagesspiegel führte schließlich zu dem Urteil durch das OVG, das dann zur Veröffentlichung der Listen führte. Eine Datenrechtsverletzung finde nach dem Urteilsspruch durch das Veröffentlichen der Listen nicht statt, da die Auskünfte keine Rückschlüsse darauf zuließen, „ob oder wie häufig einzelne Abgeordnete mit Interessenvertretern, die Inhaber von Hausausweisen sind, zu Gesprächen in den Räumen des Bundestages zusammenkämen“. Auch das Kommunikationsverhalten der Abgeordneten bliebe aus diesem Grund unbeeinträchtigt.

Transparenzblockade als Verstärkung der Politikverdrossenheit

Das Verhalten der großen Koalition könnte unangenehme Folgen für die politische Landschaft in Deutschland haben. Durch die Vertuschungsversuche könnte bei den Menschen der Eindruck entstehen, die Politik hätte gar kein Interesse daran, die Bürgerinnen und Bürger über den politischen Entscheidungsprozess zu informieren. Das könnte die Politikverdrossenheit hierzulande noch steigern. Abgeordnetenwatch.org sieht deshalb das Urteil des OVG als längst überfälligen Schritt an. Als nächstes müsse die Einführung eines verbindlichen Lobbyregisters folgen, in dem Interessensvertreter ihren Auftraggeber, Budgets und Ausweisinhaber angeben müssen.

Transparenz allein löst aber nicht das Problem, das der starke Lobbyismus an sich stellt. Lobbyisten versuchen sich frühzeitig über politische Verfahren zu informieren, um diese gegebenenfalls noch nach ihren Gunsten beeinflussen zu können. Dass mit allein 1.111 Dauerausweisen in dieser Legislaturperiode weitaus mehr Interessensvertreter als Abgeordnete Zugang zum Reichstag besitzen, wirft folgende Frage auf: Welche Interessen werden eigentlich von unseren Abgeordneten vertreten: Diejenigen der Gesellschaft, die sie repräsentieren sollen? Oder diejenigen der Industrie, mit deren Vertretern sie im täglichen Gespräch zusammen sitzen?

Des Weiteren gibt es Anzeichen dafür, dass auch die Transparenzbemühungen bezüglich des Lobbyismus in Deutschland in vielen Punkten vergeblich sind. Das Online-Magazin Cicero veröffentlichte die Mitgliederlisten zweier Lobbykreise, dem Collegium und dem Adlerkreis. Diese zählen zu den bekanntesten und größten sogenannten Hinterzimmerclubs der deutschen Lobbylandschaft. Sie treffen sich mit Vertretern der Politik außerhalb des Reichstagsgebäudes, aber zumeist in Räumlichkeiten, die dem Bundestag gehören. Auf diese Weise erhalten zahlreiche Industrievertreter Zugang zu Räumen der Legislative und damit zur politischen Entscheidungsfindung, ohne überhaupt einen Hausausweis zu besitzen.

Was in diesen Hinterzimmern so gesprochen wird, weiß niemand so wirklich. Auf eine Cicero-Anfrage antwortete Eckehart Rotter, Pressesprecher des Verbands der Automobilindustrie, der Adlerkreis sei „ein vertraulicher Kreis, der über seine Hintergrundgespräche nichts in die Öffentlichkeit gibt.“ Die Kernaussage scheint hierbei relativ klar: Die Lobbyvertreter haben Interessen, die an die Politik herangereicht werden sollen. Die demokratischen Regeln der pluralistischen Fairness und der Offenheit können allerdings andere befolgen.

Bild: "Wrapped Reichstag". © Gertrud K. - flickr.com
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