VON SINEM S. | 16.10.2012 18:00

Geschlechtsneutrale Pädagogik – Wirklich gut oder nur gut gemeint?

Storm ist ein vier Monate altes Baby aus Kanada, dessen Geschlecht niemand kennt, bis auf die Eltern und die Geschwister. Skandalös erscheint es der Außenwelt, dass die Eltern ihr Kind geschlechtsneutral erziehen möchten und bewusst auf die Kategorisierung von Geschlechtern verzichten. Auch in Schweden ist geschlechtsneutrale Erziehung ein wichtiges politisches Thema, denn sogar Politiker fordern diese in Kindergärten und Tagesstätten. Lotta Rajalin, Mutter zweier leiblicher und zweier Pflegekinder gründete schon vor zwei Jahren "Egalia", die wohl bekannteste Vorschule in Schweden. Hier werden die Kinder nicht in Mädchen oder Jungen unterteilt, sondern in "Freunde", die Bauklötze sind neben der Spielküche aufgestellt, damit die Kinder ja nicht denken, da wäre eine strikte Unterteilung in männlicher und weiblicher Arbeit.

Schweden, berühmt für seine Progressivität in Sachen innovativen, unkonventionellen und alternativen Lebenskonzepten, sorgt einmal mehr für brisanten Gesprächsstoff. Anlass ist der Versuch einer "Geschlechstneutralen Pädagogik" wie sie beispielweise seit 2010 in der Vorschule "Egalia" praktiziert wird. Grundanliegen von "Egalia" ist die Abschaffung stereotyper Geschlechterrollen und Familiensysteme. Gleichgeschlechtliche Elternpaare, geschlechtsunabhängige Berufsprofile werden den Kindern neben traditionellen Modellen z.B. mithilfe von Märchen nähergebracht und sollen sie so zur Unvoreingenommenheit und freien Wahl ihrer Lebensentwürfe befähigen. Schneewittchen und Aschenputtel wird man hier vergeblich suchen, stattdessen eher eine Geschichte über ein männliches Giraffenpaar, dass ein Krokodilbaby adoptiert, in den Regalen finden.

Auch auf der sprachlichen Ebene, der Grundbedingung menschlich-kultureller Identitätsfindung, wird dem Gebot der Neutralität Rechnung getragen wie durch das Ersetzen von Er und Sie (im Schwedischen han und hon) durch die Wortneuschöpfung hen, die beides vereint.

Vertrauen: Basis einer Partnerschaft

Jene Pädagogik birgt jedoch die Gefahr begrifflicher Ungenauigkeit. So ist es äußerst bedeutsam, zwischen Geschlecht als natürlicher, empirischer Tatsache und Gender als sozialer und kultureller Fremdsetzung zu unterscheiden. Es wäre naiv, eine Gleichheit zwischen den Geschlechtern anzunehmen, wo faktisch keine besteht und sogar bedenklich für die gesunde Entwicklung von Kindern, wenn man ihnen die geschlechtspezifischen Verhaltensunterschiede streitig macht. Berechtigt ist dabei die vielerseits geäußerte Kritik des bloßen Ersetzens einer Ideologie mit einer anderen. Besonders in der Pädagogik ist eine größtmögliche ideologische Unabhängigkeit notwendig, um nicht mehr Schaden als Nutzen anzurichten, denn bekanntlich ist das Gegenteil von gut, gut gemeint.

Ist es wirklich angebracht, Kindern, die Vater, Mutter, Kind spielen, vorzuschlagen, sie sollten Mutter, Mutter, Kind oder Vater, Vater, Kind spielen? Oder verwirrt es die Heranwachsenden eigentlich noch viel mehr? Diese Fragen könnten wohl nur Langzeitstudien beantworten, die es so noch nicht gibt. Die Fokussierung auf das Geschlecht bringt vielleicht eine altersuntypische Relevanz in das Leben der Kinder rein, die eher schadet als nutzt. Ralf Haderlein, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft für Bildung und Erziehung in der Kindheit bezweifelt, dass das System der Geschlechtsneutralen Erziehung auch Einzug in deutsche Kindergärten halten wird. Das Konzept wird nicht als pädagogisch sinnvoll erachtet, denn alleine das Ausklammern des biologischen Geschlechts löse nicht die Differenzen, die diese mit sich brächten. Kinder sollten seiner Meinung nach eher lernen, mit diesen Geschlechterdifferenzen sinnvoll umzugehen und sie zu integrieren.