VON CLEMENS POKORNY | 24.04.2013 15:58

UNICEF-Studie: Deutsche Kinder sind unglücklich

Eine UNICEF-Studie aus dem Jahr 2013 zeigt: nirgendwo sonst klaffen die objektiv messbaren Faktoren für das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen einerseits und deren subjektiv erlebte Zufriedenheit andererseits so weit auseinander wie in Deutschland. Woran liegt das?

Seit 2007 misst UNICEF alle drei Jahre das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in mittlerweile 29 Industrienationen Europas und Nordamerikas. In der aktuellen Studie, die Daten aus den Jahren 2009-2010 von 176.000 Befragten auswertet, liegt Deutschland hinsichtlich eher objektiver Faktoren, nämlich Bildung, Gesundheit und Sicherheit, Verhalten und Risiken, Wohnen und Umwelt sowie materielles Wohlbefinden, auf dem guten 6. Rang – zwei Ränge besser als noch vor drei Jahren. Doch fragt man die deutschen Kinder, wie zufrieden sie selbst mit ihrem Leben sind, landet ihre Heimat im letzten Drittel, auf Platz Nr. 22. In keinem anderen Industrieland besteht eine derart große Kluft zwischen einer objektiv gemessen eher positiven und einer subjektiv empfunden eher negativen Situation der Kinder. Woran liegt das?

Kinder - die Konsumenten der Zukunft

Sieben Faktoren entscheiden nach gängiger wissenschaftlicher Meinung darüber, ob Menschen glücklich sind oder nicht: Familie, Arbeit, Gesundheit, soziales Umfeld, individuelle Freiheit, Spiritualität und materielle Ausstattung. Letzterem Aspekt entspricht in der UNICEF-Studie die 1. Dimension der objektiven Faktoren, die UNICEF unter „Kindliches Wohlbefinden“ zusammenfasst. Schon 2012 hatte UNICEF das hohe Ausmaß der Kinderarmut in der Bundesrepublik beklagt, auch in der aktuellen Erhebung belegt Deutschland nur einen Platz im Mittelfeld hinsichtlich des materiellen Wohlbefindens und liegt damit deutlich hinter anderen europäischen Industrienationen. Ähnlich sieht es bei „Gesundheit und Sicherheit“ aus: eine leicht höhere Säuglingssterblichkeit und eine niedrigere Impfrate als in vielen anderen untersuchten Ländern werden bemängelt. In der Bildung (dem Glücksfaktor „Arbeit“ ungefähr entsprechend) liegt Deutschland auf dem 3. Platz, man habe die Lehren aus PISA & Co. gezogen. Beim neuen Untersuchungsaspekt „Wohnen und Umwelt“ rangiert die Bundesrepublik im Mittelfeld, was nicht zuletzt auf die hohe Luftverschmutzung hierzulande zurückgeführt wird. Der deutsche Platz im Ranking zu „Verhalten und Risiken“ entspricht dem Gesamtergebnis beim „Kindlichen Wohlbefinden“: wenige körperliche Auseinandersetzungen, ein Rückgang beim Mobbing, geringer Drogenkonsum und wenige Teenagerschwangerschaften stehen relativ hohem Bewegungsmangel und Übergewichtigkeit, die von Kindern und Jugendlichen als besonders belastend empfunden wird, gegenüber. Dagegen geben weniger als 85% der 5000 befragten deutschen Kinder ihre Zufriedenheit mit einem Wert von sechs oder mehr Punkten auf einer Skala von 0 bis 10 an. Damit landet Deutschland bei der „Lebenszufriedenheit von Kindern“ auf dem 22. von 29 Plätzen. Vergleicht man die Rankings der beiden Untersuchungsgebiete (objektive und subjektive Faktoren), so ist bei mehr als der Hälfte der Länder eine enge Korrelation erkennbar: sie liegen in den Skalen maximal fünf Plätze auseinander. Ausreißer wie Spanien oder Griechenland notieren eher eine deutlich höhere subjektive als objektive Einschätzung – in Deutschland ist es umgekehrt. Daraus zieht UNICEF für Deutschland vor allem drei Schlüsse: (1) Kinderarmut müsse stärker bekämpft, (2) ihre Gesundheit stärker gefördert sowie (3) ihre Rechte gestärkt und sie selbst als Kinder, nicht als heranwachsendes Humankapital behandelt werden. Letzteres entspricht dem Leistungsdruck, den Kinder und Jugendliche hierzulande empfinden.

Die Ergebnisse der UNICEF-Studie müssen freilich in vielfacher Hinsicht relativiert betrachtet werden. Dass die skandinavischen Länder und die Niederlande seit 2007 regelmäßig am besten abschneiden, könnte mit dort besseren Rahmenbedingungen zusammenhängen. So sind die skandinavischen Länder bekanntlich wohlhabender, mit Ausnahme der Niederlanden dünner besiedelt und haben weniger Probleme mit der Integration von Migranten als das dicht besiedelte und bevölkerungsreiche Deutschland. Die hierzulande immer noch hohe Impfrate von Kleinkindern (95%), die nur minimal geringer ausfällt als in anderen Industrieländern, mag von Kritikern von Impfungen gar nicht dramatisch gesehen werden. Dass Bildung sich schwer messen lässt, schon gar nicht in Form standardisierter Tests, auf die Klassen wochenlang gedrillt werden und die mit der Lebenswirklichkeit wenig zu tun haben, dürfte ferner außer Frage stehen. Spielt nicht auch, selbst in Zeiten der Globalisierung, die Mentalität der Menschen eines Landes eine Rolle dabei, wie zufrieden man sich fühlt? Die Diskrepanz zwischen objektiven Faktoren und subjektiver Zufriedenheit dürfte schließlich vor allem daran liegen, dass die Vorstellungen Erwachsener und Kinder davon, was ein glückliches Kinderleben ausmacht, deutlich auseinander klaffen, wie die Psychologin Elisabeth Raffauf meint. Insofern müssten wir vor allem an unserer Erziehungspraxis etwas ändern. Warum das aber in Deutschland dringlicher sein sollte als anderswo, bleibt offen.