VON LISI WASMER | 02.05.2014 14:45

Wohnraumwahnsinn in Deutschland: von Betongold bis Leerstand

Es ist ein Thema, das in den vergangenen Jahren gewissermaßen zum Dauerbegleiter des Tagesjournalismus geworden ist: steigende Mietpreise in deutschen Ballungsräumen. Die Gründe: Niedrige Leitzinsen machen Immobilien für Investoren interessant. Mietshäuser werden aufgekauft und in Eigentumswohnungen gestückelt wieder veräußert. Eine Luxussanierung garantiert die Wertsteigerung der Objekte – und führt zu Mietpreiserhöhungen von über 100%. Wer die nicht zahlt, muss raus. Dagegen soll die Mietpreisbremse der großen Koalition helfen. Aber auch die Mieter selbst setzen sich gegen profitgierige Immobilienhaie zur Wehr.


Jedes Kind kennt die Mär von bezahlbarem Wohnraum in Großstädten. Günstige Lage und günstige Miete in einem? Gibt es nicht. Der Grund: Immobilien-Investoren kaufen günstig vermietete Wohngebäude mit dem Ziel, sie in Form von luxussanierten Eigentumswohnungen gewinnbringend an Privatpersonen zu verkaufen. Betongold als Geldanlage. Wohnraum wird immer benötigt. Das Problem: Vermietete Wohnungen verkaufen sich schlecht. Deshalb werden Mieter unter Druck gesetzt – finanziell genauso wie psychisch. Sie sollen raus, Platz machen für zahlungskräftigere Kunden. Und das oft nach jahrzehntelangem Mietverhältnis.

Mietpreisbremse

Kündigung auf Umwegen

Dabei wird den wenigsten Mietern der in Frage kommenden Objekte direkt gekündigt, wie der Film „Betongold“ von Katrin Rothe aus Berlin eindrücklich dokumentiert. Über zwei Jahre lang kämpft sie gegen ein „dynamisches Immobilienunternehmen“, das die Mietwohnungen im begehrten Stadtteil Berlin Mitte in luxussanierte Eigentumswohnungen umwandeln will. Von dem Vorhaben erfährt Rothe über die Ankündigung von Modernisierungsarbeiten – und einer Mietsteigerung von über 100 Prozent. So viel kann und will Rothe nicht zahlen. Und genau darauf spekulieren die Investoren: Mit horrenden Preisansprüchen wollen sie Mieter aus ihren Wohnungen treiben. Denn leere Objekte erzielen höhere Kaufpreise.

Praktiken, die Rothe und andere Bewohner ihres Mietshauses nicht hinnehmen wollen. Sie wehren sich gegen die Modernisierung und auch gegen die Mietpreiserhöhung. Es folgen Abmahnungen, Telefonterror, sogar eine Anklage. Schließlich die außergerichtliche Einigung: Gegen eine Abfindung von 50.000 Euro zieht Rothe aus. Was bleibt ist das ungute Gefühl, dass die Falschen am Ende Recht bekommen haben.

Wenn die Lage die Wohnung kostet

Aber es geht auch direkter. Die Reportage „Wahnsinn Wohnungsmarkt“ von Andrea Hauner erzählt die Geschichte von acht Mietern in Hamburg-Eppendorf. Der Stadtteil hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt – hin zum schicken Szeneviertel mit Luxuswohnungen und vornehmen Boutiquen. Die niedrigen Mieten der Portraitierten sind Überreste aus einer anderen Zeit, sie wohnen dort teilweise seit über 50 Jahren. Jetzt sollen sie ausziehen, ihnen wurde gekündigt. Die Eigentümergesellschaft lässt die Bausubstanz verfallen, um den geplanten Abriss rechtfertigen zu können: Neuwertige Eigentumswohnungen sollen entstehen.

So geht es auch dem Ehepaar in Kiel, das im selben Film vorgestellt wird: Die Miete für die inzwischen vollkommen marode Dreizimmerwohnung zahlen die Eheleute an einen Insolvenzverwalter, der Investor ist lange bankrott. Für Wasserschäden und eingeschlagene Scheiben, für verwilderte Grünanlagen und verschmutzte Hauswände fühlt sich niemand zuständig. Hier wird zwar niemand vertrieben; dafür verfällt das Wohnhaus unaufhaltsam.

Wohnraum an der falschen Stelle

Verfallene Häuser gibt es auch andernorts. Abseits der Großstädte, in ländlichen Regionen, sehen sich Gemeinden am anderen Extrempol des Problemspektrums: Häuser auf dem Land verlieren an Wert, weil die Abwanderung in die Städte die Bevölkerungszahlen und damit die Nachfrage nach Wohnraum drückt. In Medebach im Sauerland etwa wird bis 2030 ein Rückgang der Einwohnerzahl (derzeit rund 8.000) um 1.500 Bürger erwartet, wie die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ bereits 2011 berichtete.

Auch die Dokumentation von Andrea Hauner wirft einen Blick in die Region: Hier kämpft zum Beispiel Walter Lampe, Oberbürgermeister der Samtgemeinde Oberharz in Niedersachsen, gegen leerstehende Geschäfte und unbewohnte Häuser. Und genau hier liegt die Ironie: Während (bezahlbarer) Wohnraum in den Städten immer schwerer zu finden und zu schaffen ist, wird andernorts händeringend nach Mietinteressenten gesucht. Schon 2013 berichtete „Focus“ von 1,7 Millionen leerstehenden Wohnungen in der Bundesrepublik. Das Netzwerk „Leerstandsmelder“ bietet einen eindrucksvollen Überblick über die derzeitige Situation.

Mieter als Menschen

Bei allen Sorgen von Städteplanern und Bürgermeistern darf aber eines nicht vergessen werden: Die Sorgen der bereits angesprochenen Mieter, die zugunsten des Profits von namenlosen Investoren dazu gebracht werden sollen ihre Wohnungen zu räumen. Gegen die fragwürdigen Methoden der Eigentümer hat die Politik bisher keine geeignete Handhabe gefunden. Auch die von der großen Koalition geplante Mietpreisbremse führte bisher laut „Spiegel Online“ einzig und allein dazu, dass sich die Mieten in den vergangenen drei Monaten noch schneller erhöht haben als zuvor.

Bezüglich der Gewinnchancen am Immobilienmarkt scheint kein Ende in Sicht. Inwiefern finanzielle Rendite aber die Vertreibung von oftmals alteingesessenen Mietern aus den Innenstädten rechtfertigt, bleibt zumindest moralisch gesehen mehr als fragwürdig. Dass das Vorgehen der Investoren auch allgemein als ethisch unverantwortlich wahrgenommen wird, zeigte jetzt erneut ein Fall aus Köln: Kalle Gerigk sollte bereits Ende Februar seine Wohnung räumen, weil sein Vermieter vermeintlichen Eigenbedarf angemeldet hatte. Die Zwangsräumung scheiterte Ende Februar an rund 300 Demonstranten, die der Polizei den Weg zu Gerigks Eingangstür versperrten. Und auch wenn die Zwangsräumung nun beim zweiten Termin vollstreckt wurde, sahen sich die Polizisten doch erneut 200 Unterstützern Gerigks gegenüber.

Was sagt das aus? Es sagt aus, dass nicht allein der Markt darüber entscheiden darf, wie sich die Mietergesellschaft wo zusammensetzen soll. Es sagt aus, dass die Politik noch immer nach dem richtigen Mittel sucht, gesellschafts-schädigende weil rein ökonomisch motivierte Investorengeschäfte zu regulieren. Und es zeigt, dass hinter jedem Mieter ein Mensch steckt, dessen Schicksal nicht egal ist und der von seinen Mitbürgern unterstützt wird – egal, ob er am Ende auszieht wie Katrin Rothe, er in maroden Wohnungen zurückbleibt wie in Hamburg oder Kiel; oder ob er von der Polizei aus seiner Wohnung getragen wird wie Kalle Gerigk.