VON MAXIMILIAN REICHLIN | 28.03.2014 14:55

Slum-Tourismus – Menschen-Safari oder Entwicklungshilfe?

Immer mehr Touristen zieht es, anstatt in die Standard-Urlaubsländer, in den letzten Jahren in Gebiete wie Südafrika oder Brasilien. Allerdings nicht zum Badeurlaub oder zur Safari – hier werden die Armutsviertel der Stadt besichtigt und zwar aus allernächster Nähe. Kritiker betrachten den Boom des Slum-Tourismus als herabwürdigende Menschen-Safari, Anbieter werben dagegen mit dem Aspekt der Entwicklungshilfe. Was ist dran an den recht unterschiedlichen Meinungen über den Slum-Tourismus? UNI.DE über eine befremdliche Marktlücke.

Sie heißen Slums, Townships oder Favelas – die Armutsviertel der großen Städte, etwa in Rio de Janeiro in Brasilien oder in Kapstadt in Südafrika. Dort leben Menschen an der Armutsgrenze in Wellblechhütten, oft unter menschenunwürdigen Bedingungen. Gerade in den letzten Jahren jedoch verändert sich das Bild der Viertel. Immer öfter treibt es weiße Touristen auf Führungen durch die ärmsten Gegenden der Großstädte, im Jeep, auf Fahrrädern oder zu Fuß, bewaffnet mit Sonnencreme und Kameras. Slum-Tourismus heißt der neue Trend. Jährlich machen über eine Millionen Touristen eine geführte Tour in die Armutsviertel mit. Diese Entwicklung kann man durchaus negativ betrachten. Kritiker sprechen von Voyeurismus und Menschen-Safaris, die Einwohner der Slums werden zur Attraktion verdinglicht.

Luz nas vielas

Die Jarawa

Doch es geht auch anders, weiß Malte Steinbrink von der Universität Osnabrück. Er beschäftigt sich als Sozialgeograf seit einigen Jahren mit dem Slum-Tourismus, kennt die Unterschiede der einzelnen Touren und weiß, was Menschen an den Slums fasziniert. Er bezeichnet die Slums als „Backstagebereich“ der großen Städte. Wer aus dem Westen dorthin reise, wolle die Erfahrung des „Anderen“, den ultimativen Kontrast, also auch die Schattenseiten des Urlaubsgebiets erleben. Daran, findet Steinbrink, gibt es zunächst nichts einzuwenden, wenn man einige wenige Grundregeln befolgt: „Persönlich gefallen mir vor allem Touren, die direkt von unabhängigen Guides aus den jeweiligen Gebieten angeboten werden.“ Man sollte also nicht bei größeren Reiseveranstaltern buchen. Außerdem: Zu Fuß ist besser, als mit dem Jeep oder mit dem Bus, völlig unsensibles Fotografieren ist zu unterlassen. Damit verliert der Slum-Tourismus sein oft kritisiertes Stigma als Menschen-Safari.

Grundsätzlich unterscheidet Steinbrink drei Arten von Veranstaltern: Die erste Gruppe wirbt vor allem mit der bunten Kultur der Viertel, der Tourist wird hier also zum Kulturreisenden. Eine andere Gruppe stellt den Wirklichkeitsaspekt in den Vordergrund. Die Botschaft: „Hier erlebt ihr das wahre Leben.“ Eine dritte und letzte Gruppe schließlich wirbt damit, einen Teil der Ticketeinnahmen zu spenden, an wohltätige Organisationen oder für Projekte in den Slums selbst. Damit verwandelt sich der Tourist zum Entwicklungshelfer, tut Gutes. Doch das nur „in einem sehr begrenzten Maße“, weiß Steinbrink. Profit gebe es in erster Linie für die Anbieter der Touren, oder diejenigen, die Essen und Kunsthandwerk an Touristen verkaufen. Die Erfolge des Slum-Tourismus für die Armutsbekämpfung sei dagegen bisher gering.

Ein großes Problem des Slum-Tourismus: Armut wird hier zum Kulturgut erklärt, verliert seine negative Konnotation. Die Sichtweise der Besucher wandelt sich. Diese Entwicklung hält Steinbrink für problematisch: „Ich persönlich halte es durchaus für fragwürdig, wenn Armut nicht mehr als strukturelle Ungleichheit gedeutet wird, sondern als Ausdruck von 'afrikanischer Kultur' oder Lebensweise.“ Zumindest jedoch die Einwohner fühlen sich vom Boom um den Slum-Tourismus häufig gar nicht gestört. Im Gegenteil: „Der großen Mehrheit ist der Tourismus egal. Manchen Bewohnern gefällt es, dass sich die Öffentlichkeit endlich zu interessieren scheint. Sie entwickeln teilweise sogar einen Stolz auf ihren Stadtteil.“