VON CLEMENS POKORNY | 31.10.2013 16:17

Die Jarawa: Objekte der Menschensafaris

Sie gehören zu den rund 95 Millionen Ureinwohnern in Indien und stellen unter ihnen die bedrohteste Gruppe dar: Die Jarawa, beheimatet auf zwei Inseln der Andamanen zwischen Indien und Myanmar. Als eines der letzten noch weitgehend isoliert im Urwald lebenden Völker der Erde üben sie eine große Anziehungskraft auf täglich Hunderte Touristen aus, die sie auf Menschensafaris wie wilde Tiere begaffen. Doch ihr zunehmender Kontakt zur Außenwelt kann den Jarawa zum Verhängnis werden.

In der Mitte zwischen dem indischen Subkontinent und Myanmar, nördlich der indonesischen Insel Sumatra liegt die Inselgruppe der Andamanen. Auf den 204 Inseln siedeln heute vorwiegend Inder, deren Vorfahren vom Festland kamen. Kraushaarige, kleinwüchsige und dunkelhäutige Ureinwohner, die wohl mit einer der ersten Auswanderungswellen vor Zehntausenden Jahren aus Afrika emigrierten, bildeten einst die einzige Bevölkerung des Archipels. Im Zuge der Kolonialisierung der Andamanen im 19. Jahrhundert wurden viele Inseln als Gefangenenlager genutzt, ohne Rücksicht auf die autochthone Bevölkerung.

Nur wenige Stämme haben die Gewalt der Invasoren, ihren Hunger nach Land und Sklaven, später auch lokal erzwungene Integration in die „Zivilisation“ überlebt. So auch der der Jarawa, die 1990 zwangsweise sesshaft gemacht werden sollten. Dank des Engagements mehrerer Nichtregierungsorganisationen gaben die lokalen Behörden diese Pläne auf. Daher leben die Jarawa noch immer nomadisch und als Jäger und Sammler in Gruppen zu maximal 50 Menschen in Gemeinschaftshäusern im Regenwald. Ihr Wald gibt ihnen mehr als alles, was sie benötigen. Doch 1998 nahmen sie, vermutlich erstmals in ihrer 60.000-jährigen Geschichte, Kontakt mit anderen Bewohnern ihrer Insel auf. Er sollte sich als verhängnisvoll für sie herausstellen.

Die asiatische Wildtiermafia

Durch ihre zehntausende Jahre lange Isolation mussten die Jarawa keine Abwehrstoffe gegen viele Krankheitserreger erwerben. Daher sind sie gegen viele Infektionskrankheiten nicht immun, und nur ein Jahr nach ihrer ersten Berührung mit der Außenwelt verbreitete sich unter ihnen eine Masernepidemie, die 2006 wiederkehrte und ihre Zahl auf derzeit etwa 400 dezimierte. Ihre Lebensbedingungen verschlechtern sich zudem durch Wilderei und illegale Fischerei in ihren Reservaten sowie durch Umweltverschmutzung aufgrund des kaum regulierten Tourismus auf den Andamanen.

Seit längerem durchschneidet zudem eine Straße ihr Gebiet. Obwohl das Oberste Gericht Indiens bereits 2002 anordnete, sie zu schließen, blieb sie bis heute geöffnet und erlaubt täglich mehreren Hundert Touristen, auf „Menschensafari“ zu gehen. Offiziell sind solche Touren zwar verboten, doch die schlecht bezahlte örtliche Polizei lässt sich von skrupellosen Touristikunternehmen bestechen und schaut weg, wenn deren Busse illegal durch Jarawa-Gebiet fahren. Zur konsequenten Durchsetzung des Schutzes der Jarawa fehlt der politische Wille; auch auf den Andamanen schielt man in kurzsichtiger Gier nach schnellem Geld, ohne die Folgen zu berücksichtigen.

Und die könnten das Aus für die Jarawa auf den Andamanen bedeuten, meint der Lokalhistoriker Denis Giles. Indigene Völker brauchen den ihnen qua ihrer Menschenwürde zukommenden Respekt. So müssten die Jarawa als Besitzer ihres Landes mit allen damit verbundenen Rechten anerkannt und diese Rechte von den Behörden konsequent durchgesetzt werden. Ein anderer Stamm von Ureinwohnern auf den Andamanen hat sich übrigens durch aggressive Feindseligkeit gegen jegliche Eindringlinge erfolgreich vor allen Segnungen der sogenannten Zivilisation geschützt: die Sentinelesen auf der nur von ihnen bewohnten kleinen Insel North Sentinel Island. 1997 beschloss die indische Regierung, keine Versuche mehr zu unternehmen, die Sentinelesen zu kontaktieren. Dass aber der Kontakt zu den Jarawa zu ihrem eigenen Wohl wieder gänzlich abgebrochen wird, erscheint derzeit – leider – wenig wahrscheinlich.