VON CLEMENS POKORNY | 09.04.2013 16:04

Macht Konsum glücklich?

Geld allein macht nicht glücklich, weiß der Volksmund. Eine materialistische Lebensweise schadet nicht nur unseren Mitmenschen, sondern auch uns selbst. Aber kann nicht auch im Konsum der Schlüssel zum Glück liegen?

Sieben Faktoren entscheiden nach gängiger wissenschaftlicher Meinung darüber, ob wir glücklich sind oder nicht: Familie, Arbeit, Gesundheit, soziales Umfeld, individuelle Freiheit, Spiritualität – und materielle Ausstattung.

Im Konsum versichern wir uns unserer monetären Macht, demonstrieren sie Anderen gegenüber zur Festigung unseres Prestiges und benutzen sie dazu, bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen. Eine einfache Antwort auf die Frage, ob Konsum glücklich mache, lautet daher „Ja, aber nicht nur er“. Doch in immer mehr Regionen der Welt – insbesondere den „Schwellenländern“ wie China oder Brasilien, in denen das durchschnittliche Privatvermögen tendenziell stark ansteigt – scheint sich der Glücksbegriff vieler Menschen stark auf Materielles und Konsum zu vereinseitigen.

Mit der Globalisierung verbreite(te)n sich auch Ideen wie die des scheinbar unbegrenzten wirtschaftlichen Wachstums von Volkswirtschaften, Firmen und Privathaushalten. Der Neoliberalismus mit seiner Ideologie ungehemmten Wettbewerbs trägt ebenfalls dazu bei, dass sich die Menschen immer weniger als Mit-Menschen, sondern zunehmend als Konkurrenten um ökonomisches, soziales, symbolisches und kulturelles Kapital begreifen.

Kleider machen Leute

Unter Materialismus und überzogenem Individualismus leiden offensichtlich die anderen Faktoren, die uns glücklich machen könnten: Die Familie verliert an Bedeutung; Ehen werden so oft geschieden wie nie zuvor, weil die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse über Harmonie und Kompromissfindung mit dem Partner gestellt wird – Scheidungskinder und Patchworkfamilien mit all den damit verbundenen psychischen Belastungen für alle Beteiligten werden immer alltäglicher. Unter dem Primat des globalisierten neoliberalen Kapitalismus leidet – zweitens – auch die Arbeit. Damit Firmen hierzulande gegen die billigere Konkurrenz bestehen können, wird gesamtgesellschaftliches Vermögen zulasten der Allgemeinheit „nach oben“ umverteilt. Zugleich lastet immer mehr Druck auf den Arbeitnehmern; immer mehr Menschen sind gezwungen, schlechte Arbeit oder gar mehrere Jobs gleichzeitig anzunehmen, um über die Runden zu kommen. Dass dies – drittens – auf Dauer unsere Gesundheit in einer immer stärker zerstörten und vergifteten Umwelt beeinträchtigt, ist offensichtlich. Wo ferner Menschen sich immer häufiger als Konkurrenten wahrnehmen, leiden sie an der ihnen eigentümlichen Natur als soziale Wesen, werden gleichsam gesellschaftlich atomisiert. Wo der Mensch – fünftens – nicht mehr „am Du zum Ich“ wird, nimmt auch sein Bedürfnis ab, sich spirituell zu finden. Wo es gar nicht mehr besteht, droht Werteverfall; wo Menschen sich von der Amtskirche abwenden, ihre Spiritualität aber weiter leben möchten, kann der Aufstieg zweifelhafter, neuer religiöser und esoterischer Bewegungen beobachtet werden. Individuelle Freiheit schließlich scheint einer Gesellschaft, der alles zur Ware wird, nur eine Frage des Geldbeutels zu sein – doch sie ist nur ein Abklatsch dessen, was einst als Freiheit verstanden wurde. Denn sie gerät zunehmend in Widerspruch zu Solidarität und Verantwortung: Wer beim Konsum nur auf sein Eigeninteresse sieht, blendet die negativen Folgen seines Handelns für die Produzenten und Händler der von ihm erworbenen Waren auf Kosten seiner Mitmenschen, der Umwelt und kommender Generationen aus.

Die eingangs aufgeworfene Frage könnte man daher differenziert beantworten: Das Glück, das beim unreflektierten Konsum insbesondere von Luxusgütern erlebt wird, ist ein flüchtiges; wie eine Droge versetzt es uns kurzzeitig in einen Rausch und zwingt uns so dazu, es immer und immer wieder zu erhaschen, weil wir verlernen, was wahrhaft glücklich macht. Zudem ist es ein egoistisches Glück, das dasjenige anderer Menschen eher verhindert. Aus bewusstem Konsum aber, der in Eintracht steht mit den Bedürfnissen unserer Umwelt, will sagen: aller Lebewesen um uns herum, und der paradoxerweise auch in seiner Negation – bewusstem Verzicht – bestehen kann, kann ein tiefes Glücksgefühl erwachsen. Es liegt, wenn auch die anderen Glücksfaktoren vorliegen, in der Eintracht mit uns selbst und der Welt. Kann es ein größeres Glück geben?