VON ANGELA SCHWEIZER | 28.11.2014 14:49

Flüchtling in Zeiten des Neoliberalismus

Für die einen ist es eine Odyssee aus Flucht und dem Kampf um ein menschenwürdiges Leben, für die anderen ein boomendes Geschäft: Private Betreibergesellschaften verdienen inzwischen ein Vermögen mit dem Bau von Flüchtlingsunterkünften, da kommunale Wohnungsbaugesellschaften versagen. Verbessert haben sich die Lebensbedingungen der Flüchtlinge dadurch nicht.


Im Internet posiert der 27-jährige als Fotomodell. Auf Presseanfragen kommt die Antwort, er sei gelernter Betriebswert, Interviewanfragen lehnt er ab. Über wichtige Kontakte verfügt Tobias Dohmen in jedem Fall: Er ist Geschäftsführer der Gierso Boardinghaus GmbH, einem Betreiber privater Sammelunterkünfte, und außerdem Patensohn des Präsidenten des Landesamtes für Gesundheit und Soziales in Berlin, Franz Allert. Sein Onkel spielte ihm und dem anderen Marktführer im Berliner Flüchtlingsgeschäft, der Betreibergesellschaft PeWoBe, immer wieder Aufträge zu. Bisher im Wert von 22 Millionen Euro, dazu kommen weitere laufenden Kosten. Wohin die Gelder tatsächlich fließen, ist unklar. Frontal 21 berichtet über gravierende Mängel in den Unterkünften: Schimmel an den Wänden, kein warmes Wasser, eine fehlerhafte Brandanlage. Die provisorischen Räume sind teilweise nur durch Sperrholzwände abgetrennt. Es werden außerdem Kosten für Personal in Rechnung gestellt, das dort gar nicht arbeitet, berichten ehemalige Mitarbeiter der Betreibergesellschaften vor laufender Kamera. Aufgedeckt hatten die gravierenden Mängel Ehrenamtliche der Initiative Neue Nachbarschaft Moabit. Reaktion der Gierso: Sie setzte die Ehrenamtlichen vor die Tür. Gegen Franz Allert ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Vetternwirtschaft beim Bau und Betrieb von Flüchtlingsheimen.

Niemand darf wegen seiner Rasse benachteiligt oder bevorzugt werden.

Geld ohne Ende

Dies ist kein Einzelphänomen: Bundesweit gibt es immer mehr private Betreiber, die Sammelunterkünfte in staatlichem Auftrag betreiben. „Geld ohne Ende“ wittern auch Investoren in Bayern. Dort kaufen sie vermehrt alte Pensionen auf, die sie dann dem Staat zur Verfügung stellen. So verbinden sich neoliberale Marktmechanismen mit gesellschaftlicher Marginalisierung. Das Land bezahlt eine Pauschale pro Flüchtling und Tag. Wie das Geld tatsächlich verwendet wird, wird dabei gar nicht oder kaum kontrolliert. Flüchtlinge beschweren sich oft nicht über die katastrophalen Zustände oder die willkürlichen Leistungskürzungen. Tun sie es doch, wird ihnen seitens der Ausländerbehörde oft unterstellt, „zu viel zu fordern“, wie in einem Fall, den das ARD Magazin Monitor mit versteckter Kamera aufzeichnete. Der Sozialrechtsexperte Georg Classen bezeichnet solches Verhalten als offenen Rassismus.

Die Flüchtlinge, die es wagen, ihren Kampf für menschenwürdige Lebensbedingungen sichtbar zu machen und sich auf einem öffentlichen Platz in den Hungerstreik zu begeben, wie kürzlich in München, erhalten wenig Solidarität, sondern werden von vorbeigehenden Passanten als „Sozialschmarotzer“ beschimpft.

Flüchtlingshass als mobilisierender Faktor

In welchem gesellschaftlichen Milieu ist es möglich, dass mit den schutzbedürftigsten und marginalisiertesten Menschen so umgegangen wird? 40 Prozent der deutschen Bevölkerung vertreten flüchtlingsfeindliche Einstellungen. Anschläge auf Flüchtlingsheime haben sich im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr bereits jetzt mehr als verdoppelt. Inzwischen finden wöchentlich Demonstrationen statt, bei denen sich Bürgerinitiativen wohlwissentlich mit Neonazis zusammentun und deren menschenverachtende Parolen mitgrölen. Rechtsextreme Organisation und Parteien haben sich in letzter Zeit vor allem die Flüchtlingshetze zum Thema gemacht, da sie wissen, dass sie damit in der Mitte der Gesellschaft anknüpfen können. Dabei herrscht der eigenartige Konsens, sie seien bedroht, und nicht die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. Gewalttäter rechtfertigen Gewalt stets damit, selbst Opfer zu sein. Die größte Bedrohung für Deutschland ist und bleibt jedoch Rassismus und die Abwendung von demokratischen Grundwerten, von denen wir alle profitieren.