VON C.V.A. | 05.05.2014 21:03

Ist Intelligenz vererbbar?

Die Frage nach der Vererbbarkeit von Intelligenz wird seit Langem heftig diskutiert. Wie viel tragen die Gene zum IQ einer Person bei und wieviel wird durch das soziale Umfeld geprägt. Mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" hat Thilo Sarrazin 2010 wieder Öl ins Feuer der Debatte gegossen. Doch was hat es wirklich mit der Vererbung von Intelligenz auf sich? Und welche Rolle spielt das Umfeld und die Gene? Noch gibt es keine endgültig bewiesene These dazu - doch einige Aspekte zum Einfluss von Genen und dem Umfeld wurden inzwischen wissenschaftlich erforscht und gelten als gesichert.


Das Thema "Vererbung von Intelligenz" wird bis heute von vielen nicht richtig verstanden oder durch Halbwissen falsch interpretiert. Insbesondere problematisch sind diesbezüglich rassistisch anmutende Schlussfolgerungen, die eine ethnisch bedingte Umverteilung von Intelligenz zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehen wollen. 1994 vertraten Charles Murray und Richard Herrnstein in ihrem Buch "The Bell Curve" die These, dass zahlreiche soziale Probleme auf einen unveränderter niedrigen IQ von Latinos und Afroamerikanern zurückzuführen ist. Würde die These stimmen, wären Sozialleistungen vollkommen sinnlos. Thilo Sarrazin knüpft mit seinem Buch hier an und vertritt die Ansicht, dass die Intelligenz der Menschen zu bis zu 80 Prozent in den Genen begründet liegt. Daraus folgert er die Behauptung, dass die Immigration von, seiner Meinung nach unterdurchschnittlich intelligenten, Türken oder allgemein muslimischen Immigranten, sowie die hohe Gebärfreudigkeit dieser einen schlechten Einfluss auf die Durchschnittsintelligenz der Deutschen hat.

Epigenetik – wie das Leben so spielt

Dieser These widersprechen zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen - unter anderem die der Intelligenzforscherin Elsbeth Stern der ETH Zürich. Sie sagt, dass sich kognitive Fähigkeiten nur dann entwickeln können, wenn der Mensch in einem Umfeld aufwächst, indem diese auch gefordert und gefördert werden. Wächst ein Mensch mit sehr guten "Intelligenz-Genen" in einem Umfeld auf, in dem weder Schreiben noch Lesen praktiziert wird, wird dieser Mensch auch nicht eine Intelligenz entwickeln, wie wir sie heute verstehen. Auch der Genetiker Diethardt Tautz meint, dass Eigenschaften grundsätzlich voneinander unabhängig vererbt werden und dass eine Koppelung von Intelligenz und Hautfarbe nicht nachweisbar ist. Zudem ist der Mensch eine der homogensten Spezies der Erde - eine Aufteilung in Rassen besteht biologisch gar nicht, vielmehr handelt es sich um kulturelle Einteilungen. Ohne Zweifel spielen die Gene zwar eine gewisse Rolle bei der Entwicklung von kognitiven Fähigkeiten, jedoch kann diese Rolle bisher nur als eine Komponente von vielen bezeichnet werden. Intelligenz kann auch nicht dominant vererbt werden, wie z.B. die Augenfarbe. Ein komplexes Zusammenspiel von Genen und Umwelt beeinflussen also gemeinsam den Intelligenzgrad einer Person.

Intelligenz als Spiegel des Umfelds

Das soziale Umfeld spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Entfaltung von Intelligenz: Intelligenz braucht ein stimulierendes Umfeld, sagt der Epigenetiker Andre Fischer, denn sonst kann sie sich nicht entwickeln. Gute Schulbildung und Förderung trägt zum großen Teil dazu bei, dass die Intelligenz einer Person sich entfalten kann. Die kognitiven Fähigkeiten können sozusagen als Spiegel des Umfeldes bezeichnet werden, die somit bei jedem Menschen und jeder Kultur individuell anders ausfallen. Die wissenschaftliche Grundlage zur Messung von Intelligenz besteht jedoch in verallgemeinerten IQ Tests, die alles andere als individuell angepasst sind. Jede Kultur bräuchte also erst einmal ihren eigenen Intelligenz-Test.

Die These von Sarrazin, der IQ sei bis zu 80 Prozent auf die Erbanlagen zurückzuführen und bei bestimmten Volksgruppen geringer aufgrund der Genetik, kann damit wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Eine differenzierte wissenschaftliche Betrachtung, frei von ethnisch begründeten Vorurteilen, kann vielleicht eines Tages den Rest dieses Rätsels entschlüsseln.