VON CLEMENS POKORNY | 14.08.2013 15:30

Neugier als Schlüssel zum Erfolg in der Uni?

Neugier ist zusammen mit Gewissenhaftigkeit ein wesentlicher Faktor für den Lernerfolg an Schulen und Hochschulen. Sie muss allerdings nicht zwangsläufig zu guten Noten führen, im Gegenteil: Es gibt sogar Belege dafür, dass intellektuelle Neugier und selbstständiges Denken dem Fortkommen an der Universität schaden. Warum ist das so? Dazu reflektiert UNI.DE über die Rolle der Neugier in unserer christlich geprägten Kultur.


Muss ich ein Genie sein, um einen guten Uniabschluss zu schaffen? Eine schon Ende 2011 im Fachmagazin „Perspectives on Psychological Sciences“ veröffentlichte Metastudie zeigt: Für den schulischen oder universitären Erfolg mindestens halb so wichtig wie die in Form des IQ gemessene analytische Intelligenz ist die Neugier. Zusammen mit Gewissenhaftigkeit kann Neugier einen nur durchschnittlichen IQ im Hinblick auf akademische Leistungen ausgleichen. Zu diesem Ergebnis kommen die Psychologen Sophie von Stumm von der University of Edinburgh, Benedikt Hell von der University of Applied Sciences Northwestern Switzerland und Tomas Chamorro-Premuzic von der Goldsmiths University of London. Die drei Forscher werteten dazu Daten von über 200 wissenschaftlichen Untersuchungen mit insgesamt über 50.000 Teilnehmern aus. Laut ihrer Studie „The hungry mind“ hilft intellektuelle Neugier ebenso beim Wissens- und Kompetenzerwerb wie der Erfahrungshunger von Menschen, die offen z.B. für neue kulinarische Genüsse sind oder gerne fremde Länder bereisen.

Karriere trotz schlechter Noten?

Kalter Kaffee? Wissenschaft, wie sie an der Universität betrieben wird, kann schließlich als die institutionalisierte Neugier gelten – kein Wunder, dass neugierige Studenten eher Erfolg haben als Kommilitonen, die eher ihren Eltern zuliebe oder aus Mangel an Alternativen studieren. Wie entscheidend intrinsische Motivation im Allgemeinen den Lernerfolg schon in der Schule beeinflusst, wissen Lehrkräfte und Schulpädagogen schon lange. Einer der wichtigsten Grundsätze für guten Unterricht oder auch gute Lehrveranstaltungen an der Uni lautet daher „Selbsttätigkeit“: das eigenständige Tätigsein des Selbst an der Sache (dem Lern- oder Forschungsgegenstand), das im Gegensatz zu Instruktion, Auswendiglernen und bloßer Reproduktion von Lehr-Lern-Inhalten steht und sich besonders gut in „entdeckendem Lernenverwirklichen kann.

De facto wird in Bildungsinstitutionen wohl aber selbstständiges, kritisches Denken und Neugier weniger mit guten Noten oder Hilfskraftstellen honoriert als ängstliche Anpassung und ordentliche Aufgabenerfüllung. Das ist das Ergebnis zweier Analysen, die kürzlich an schwedischen Oberstufen durchgeführt wurden. Je nach Studienfach dürfte dies auch an der Uni gelten. Über die Ursachen dafür wurde bisher nichts bekannt. Warum wird in unserem Bildungssystem mit Neugier eine Eigenschaft ausgebremst, die offensichtlich für Innovation, ja den Fortschritt der Menschheit unverzichtbar ist?

Vielleicht liegen die Gründe dafür in unserem kulturellen Gedächtnis gespeichert. Schon der antike Polytheismus verdammte in der Figur der Pandora die Neugier als Ursache aller Übel in der Welt. Vom Baum der Erkenntnis zu essen galt und gilt dem Christentum als Sündenfall statt als Fortschritt. Die marxistisch beeinflussten Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno diskutierten „Aufklärung“ (im Sinne der rationalen Fortschrittsbewegung der Menschheit insbesondere in Europa seit der Antike) als dialektisch: Jede Entfremdung von Gott und der Natur durch deren Bezwingung und Instrumentalisierung, zum Beispiel durch die Entwicklung von Werkzeugen und Maschinen, verstricke den Menschen paradoxerweise zugleich immer mehr in die Natur im Sinne von Irrationalität. In diesem Sinne führt Neugier den Menschen zwar einerseits aus seiner Abhängigkeit von der Natur und damit aus einem gewissermaßen „paradiesischen“ Zustand der Naivität und Unschuld heraus, doch die Beherrschung der Natur um uns und in uns kettet uns umso fester an sie (man denke an die Anfälligkeit unserer Zivilisation für Naturkatastrophen und deren Abhängigkeit von begrenzten fossilen Ressourcen). Neugier hat uns also, ungeachtet ihrer segensreichen Implikationen, unwiderruflich aus einem „Paradies“ vertrieben. Insbesondere religiöse und konservative Kräfte an Schulen und Universitäten dürften daher eigenständiges Denken eher kritisch sehen, auch als Gefährdung ihrer Autorität, die als solche nicht hinterfragt werden soll.

Ob gute Noten an der Universität Neugier voraussetzen, kann somit nicht generell beantwortet werden. In Grundlagenfächern wie Mathematik und Philosophie dürfte sie unverzichtbar sein. Wer sich „kindliche“ Neugier und vermeintlich naives Staunen ob der Wunder und Rätsel dieser Welt bewahrt hat, erzielt deshalb nicht unbedingt Erfolge an der (Hoch-)Schule und läuft vielleicht sogar Gefahr, verkannt zu werden. Aber er wird dem Erkenntnisstreben, das die Universität charakterisiert, am ehesten entsprechen und kann insofern glücklich und erfüllt studieren.