VON ALEXANDER STIEHLE | 08.08.2013 13:44

Anna Politkowskaja – Ein Portrait über eine Journalistin, die nie aufgab

Anna Politkowskaja war eine kremlkritische Journalistin, die insbesondere über die Menschenrechtsverletzungen im Tschetschenienkrieg berichtet hatte. Am 7. Oktober 2006 wurde sie im Aufzug ihres Hauses in Moskau ermordet. Nun soll der Prozess beginnen, und ihre Kinder wollen ihn boykottieren.


Anna Politkowskaja war eine investigative Journalistin, die vor allem Reportagen über den Tschetschenienkrieg für die Zeitung „Nowaja Gaseta“ schrieb. Dafür war sie berühmt, sie erhielt zahlreiche Preise und Ehrungen. Sie schrieb über Kriegsverbrechen der russischen Armee und ihrer paramilitärischen Verbündeten. Doch ihre Kritik sollte sie das Leben kosten: Viele glauben, dass ihre Ermordung politisch motiviert gewesen sei.

Ein Leben im Brennpunkt

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Politkowskaja wurde am 30. August 1958 in New York geboren. Ihre Eltern waren ukrainischer Abstammung, doch sie besaß ihr Leben lang auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Mit 20 Jahren schloss sie das Studium der Journalistik an der Staatlichen Universität Moskau ab und arbeitete danach als Buchautorin und für verschiedene russische Zeitungen, zuletzt für die „Nowaja Gaseta“, eine der letzten unabhängigen Tageszeitungen Russlands. In Russland war sie eher weniger bekannt, weil dort ihre Bücher nicht verlegt wurden. Nur einem engen Kreis von Bürgerrechtlern sagte ihr Name etwas. Sie recherchierte und berichtete über Themen, vor denen die Mehrzahl der Journalisten in Russland bis heute zurückschreckt: Korruption, menschenunwürdige Politik, Gewaltherrschaft, sowie insbesondere die militärischen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung. „Ein Krieg lässt sich sehr leicht beginnen, unvergleichlich schwerer ist es, danach all der Ungeheuer Herr zu werden, die er hervorgebracht hat“ (A.P.).

Während des Tschetschenienkriegs berichtete sie über den dort herrschenden grausamen Alltag. 2003 veröffentlichte sie das Buch „Tschetschenien – Die Wahrheit über den Krieg“. In dem Buch schreibt sie über das Schicksal der Menschen in Tschetschenien. Folterung, Hinrichtung und Plünderung seitens der russischen Truppen standen auf der Tagesordnung. Politkowskaja enthüllt in ihren Büchern Wahrheiten, die Putins autoritäres Reich fürchtet. Mit ihrer Arbeit begab sie sich oft selbst in Gefahr: Sie bezog ihre Informationen aus erster Hand, knüpfte Kontakte zu tschetschenischen Untergrundkämpfern und russischen Soldaten. Auf ihren über 50 Reisen durch die Region spricht sie mit Opfern über ihre Schicksale und erforscht die Hintergründe von sogenannten „Säuberungsaktionen“. All ihre Erfahrungen brachte sie dann nach Moskau und teilte sie der Öffentlichkeit mit.

Im Februar 2001 trifft es sie dann selbst: Sie wird im tschetschenischen Vedeno von russischen Soldaten verhaftet und tagelang festgehalten und verhört. Man drohte ihr mit Gewalt gegen sie selbst und gegen ihre Kinder. Man warf ihr vor, einem tschetschenischen Rebellennetzwerk anzugehören. Der Oberstleutnant ließ sie mit den Worten „Wäre es nach mir gegangen, hätte ich dich erschossen“ wieder frei. Trotz Morddrohungen und Verhaftungen schrieb sie weiter und kritisierte Putin für seine rassistische Staatsführung und die Kriege in Tschetschenien. Nachdem sie 2001 eine Morddrohung erhalten hatte verlässt sie Moskau und lebt einige Monate in Wien. Eine, ihr angeblich sehr ähnlich sehende Nachbarin wurde einen Tag nach ihrer Abreise ermordet aufgefunden. Politkowskaja kehrt schließlich doch nach Moskau zurück. „Wenn ich aufhöre zu schreiben, haben meine Feinde ihr Ziel erreicht“ (A.P.).

Ein Messer im Dunkeln

Am 7. Oktober 2006, dem Geburtsdatum von Putin, wird Politkowskaja im Aufzug ihrer Wohnung erschossen. Die Polizei nahm an, dass mehrere Personen an dem Mord beteiligt gewesen waren. Die Identität der Täter blieb jedoch im Dunkeln.

Die russische Staatsanwaltschaft nahm am 23. August 2007 zehn Tatverdächtige fest, fünf davon wurden nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Am 19. Februar 2009 endete der Prozess für alle Angeklagten mit einem Freispruch. Wenige Monate später wurden die Freisprüche vom Obersten Gerichtshof wieder aufgehoben, weil Verfahrensfehler begangen wurden. Im Dezember 2012 wurde Dmitri Pawljutschenko wegen Beihilfe zum Mord an Politkowskaja zu elf Jahren Straflager verurteilt. Pawljutschenko war ein ehemaliger Oberst der Kriminalpolizei. Der Mörder an Politkowskaja und die Auftraggeber waren aber immer noch nicht gefasst.

Sieben Jahre nach dem Mord stehen nun wieder fünf Tatverdächtige vor Gericht. Am 24. Juli diesen Jahres begann der Prozess. Rustam Machmudow soll der mutmaßliche Mörder sein. Machmudows Brüder Ibragim und Dschabrail, sowie der Ex-Polizist Sergej Chadschikurbanow sind auch angeklagt. Lom-Ali Gaitukajew habe den Mord organisiert und sei der Drahtzieher. Die beiden Kinder von Politkowskaja wollen den Prozess boykottieren, weil die Richter die Geschworenen ohne ihr Beisein ausgewählt haben. Das Gericht habe damit die Rechte der Angehörigen verletzt.

Beobachter bezweifeln, dass das Verbrechen je vollständig aufgeklärt wird. Ljudmila Alexejewa, Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation „Moskauer Helsinki-Gruppe“ ist davon überzeugt, dass die russischen Behörden den Hintermann des Mordes geheim halten wollen: „Das unwürdige Spiel, das um den Prozess geführt wird - darunter die Auswahl der Geschworenen - deutet darauf hin, dass der Auftraggeber des Mordes der Staatsmacht sehr nahe steht“.