VON JOACHIM SCHEUERER
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26.08.2013 17:24
Neu ist immer besser: über die Gier nach Neuem und unsere Unfähigkeit zu genießen
Am 10. September sollen gleich zwei neue iPhones der Öffentlichkeit vorgestellt werden, eine Premium- und eine preisgünstigere Version. Wenngleich die Apple-Hysterie der vergangenen Jahre etwas abgeebt zu sein scheint und abzuwarten bleibt, ob und mit welchen tatsächlichen Neuerungen die neuen Modelle aufwarten werden, wird Apple sicherlich wieder massenhaft Abnehmer finden können. Denn das iPhone ist nach wie vor Kult und steht wohl wie kaum ein anderes Produkt der vergangenen 10 Jahre für unsere moderne Konsumkultur, die allzu häufig das Neue dem Alten vorzuziehen scheint, ohne Rücksicht darauf, ob jenes auch wirklich einen Fortschritt bedeutet, sondern schlicht und einfach aus dem Grund, weil es neu ist.
Macht Konsum glücklich?
Geld allein macht nicht glücklich, weiß der Volksmund. Eine materialistische Lebensweise schadet nicht nur unseren Mitmenschen, sondern auch uns selbst. Aber kann nicht auch im Konsum der Schlüssel zum Glück liegen?
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Egal ob beim Kauf von Nahrung, Kleidung, Elektronik oder auch von kulturellen Gütern, die Haltbarkeit der Produkte ist zumeist von kurzer Dauer und Kaputtes, Altes oder vermeintlich Abgelaufenes wird schnell durch etwas Neues ersetzt. Moden und Trends wechseln so schnell, dass es so gut wie unmöglich ist, den Überblick zu behalten. Sobald man den neusten Hype erkannt hat, ist er bereits wieder am Abflauen. Jährlich werden tonnenweise
Lebensmittel und
elektronische Geräte weggeworfen, die eigentlich noch benutzbar wären. Die Industrie bietet dazu durch
geplante Obsoleszenz, Werbung,
künstlich erzeugte Knappheit und Nachfragen sowie zahlreiche
psychologische Tricks, die zum Kauf animieren sollen, die passenden Anreize, um ein selbsterzeugtes System am Laufen zu halten, dessen Glücksverheißungen mehr als fraglich sind und dennoch oft als alternativlos dargestellt werden. Das Designprinzip "form follows function" scheint ausgedient, die Oberfläche den Inhalt abgelöst und Geschwindigkeit und Quantität die Qualität ersetzt zu haben, sei es im Bereich der Bildung, der Berufswelt oder eben in der Wirtschaft. Und der als deckungsgleich mit dem egoistischen Konsumenten imaginierte Mensch spielt mit, ob bewusst oder unbewusst, ob gewollt oder ungewollt. Die Mechanismen scheinen mittlerweile so komplex, unüberschaubar und hartnäckig, dass Widerstandsbestrebungen oft einem gleichgültigen, resignativen oder fatalistischen Konsumverhalten weichen. Wie sonst wäre unser beharrlich anhaltender Massenkonsum und die stete Gier nach Neuem trotz der faktisch negativen Auswirkungen sowohl auf das soziale als auch auf das globale Klima zu erklären? Die Feministin und Umweltaktivistin
Vandana Shiva vergleicht den westlichen Konsumwahn mit einem "fiedelnden Nero zwischen den brennenden Trümmern Roms".
Aber ist unser Verhalten wirklich so pathologisch oder steckt dahinter vielleicht noch etwas anderes?
Karl Marx spricht in "Das Kapital" von der gesellschaftlichen Funktion der Dinge und des Geldes, welche das gesellschaftliche Beziehungsgefüge und die Machtverhältnisse zwischen den Menschen repräsentieren. Seit Abschaffung des Absolutismus wurde das Verhältnis zwischen Herr und Knecht auf die Ebene der Dinge verschoben, wodurch es an der Oberfläche verschwunden zu sein scheint. Mit der zunehmenden Emanzipation des Bürgertums im 18. Jahrhundert steigt auch außerhalb des Adels die Rolle von
Konsumgütern als Statussymbol. Überfluss und Verschwendung werden zu Zeichen des Wohlstands und des Einflusses.
Der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem
fetischistischen Verhalten, das jedoch nicht wie bei Marx beendet werden muss, sondern ein Stück weit notwendig ist und der Stabilisierung, Organisation und Gestaltung der Gesellschaft dient. Der exzessive Konsum entspricht dabei gewissen sozialen, sinnlichen und symbolischen Bedürfnissen. Konsum ist also auch Kommunikation, verbindendes Ritual und festigt Beziehungen.
Doch in einer Zeit,in der man nie lange an einem Ort verweilt, stets nach dem Neuen sucht und deren Bindungen von äußerster Kurzlebigkeit geprägt sind, ist jene vermeintliche Stabilität durch einen derart entfesselten Konsum äußerst fragwürdig. Vielleicht kann man auf die Dinge und das Geld nicht ganz verzichten, aber auf die Art und Weise, wie wir damit umgehen schon. Dabei deutet unsere Austauschswut vielleicht auch ein Stück weit auf eine Unfähigkeit zu genießen hin. Wer sich ausgiebig an einer Sache erfreuen kann, ist nicht ständig gezwungen, sich neue Dinge anzuschaffen. Das gilt auch für unsere zwischenmenschlichen Beziehungen.