Lebendrupf bei Gänsen. Das ist ebenso schmerzhaft und brutal, wie es klingt. Dabei werden Gänse bei vollem Bewusstsein gerupft, um an die weichen Daunen, das Untergefieder, zu gelangen. Man kann sich das in etwa so vorstellen, als würden einem Menschen ganze Haarbüschel mit Gewalt aus der Kopfhaut gerissen. Ohne Narkose, ohne Schmerzmittel, ohne medizinische Nachbehandlung. Praktiziert wird diese Methode zur Gewinnung hochwertiger Daunen vor allem in Ländern wie Polen oder Ungarn, wo auch viele deutsche Hersteller Daunen für Bettdecken, Kissen oder Jacken beziehen. Das belegen Dokumentationen und Untersuchungen von Tierschutzorganisationen wie SOKO Tierschutz oder Vier Pfoten. Daunenhändler verstoßen damit gegen geltendes EU-Recht, denn laut einer Richtlinie über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere ist Lebendrupf in Europa bereits seit 1998 verboten.
Auch deutsche Ware stammt wahrscheinlich größtenteils aus Lebendrupf
Daunendecken sind in Deutschland nach wie vor beliebt und behaupten sich auf dem Markt mit einem Anteil von rund 50 Prozent. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Großteil der in Deutschland produzierten oder verkauften Daunenware mit Daunen aus Lebendrupf hergestellt wurde. Rund 16.000 Tonnen Gänsedaunen werden jedes Jahr nach Deutschland importiert, Hauptexporteure sind Polen, Ungarn sowie China. Im Jahr 2013 untersuchte die Stiftung Warentest 24 in Deutschland verkaufte Daunenprodukte. Das Ergebnis: Neben qualitativen Mängeln wiesen alle Hersteller auch klare Mängel in Tierschutz und Unternehmensverantwortung auf. Kein einziger Anbieter konnte oder wollte auf Nachfrage belegen, woher seine Daunen stammen.
Mehrere Dokumentationen legen nahe, dass deutsche Hersteller immer noch Daunen aus Lebendrupf beziehen: In einem von der Sendung Report Mainz fingierten Verkaufsgespräch mit einem führenden deutschen Bettdeckenhersteller, erklärte dieser laut Angabe der Reporter: „Ich kaufe offiziell immer nur Schlachtrupf. Lebendrupf niemals offiziell. Aber wer kann das schon nachprüfen?“ Ähnlich in einem von der SOKO Tierschutz aufgezeichneten Fall: Ein polnischer Daunenhändler lobte im Gespräch die Qualität der Ware, und gab an, auch an deutsche Firmen zu verkaufen, da der deutsche Verbraucher eben nur beste Qualität wünsche. Auch in diesem Fall gaben sich die Filmer als interessierte Neukunden aus.
Tierschutzaspekte sind schwer zu überprüfen oder zu beweisen
Ein vom Verband der Daunen- und Federnindustrie (VDFI) ins Leben gerufene Gütesiegel soll sicherstellen, dass sich deutsche Hersteller an das EU-Verbot halten. Der sogenannte „Traumpass“ wird bereits seit 40 Jahren als ausreichendes Zertifikat betrachtet. Warum er das nicht ist, erläutert Dr. Martina Stephany, Kampagnenleiterin von Vier Pfoten: Aufgrund der vielen Stationen, die die Daunen auf ihrem Weg zum Hersteller durchlaufen, sei es nötig, jeden einzelnen Arbeitsschritt genau zu auditieren. Eine Leistung, die der Traumpass nicht erbringen könne. Außerdem müsse die Einhaltung der EU-Richtlinie von einer unabhängigen dritten Partei überprüft werden, nicht nur vom Interessenverband selbst. „Erst dann kann ich sicher sein, dass Tierschutzaspekte berücksichtigt werden.“ so Stephany.
Hersteller profitieren vom Lebendrupf – Die Tiere leiden Höllenqualen
Die Gründe für den Lebendrupf: Erschreckend pragmatisch. Es geht ums Geld. In der EU dürfen Gänse und Enten eigentlich nur gerupft werden, wenn sie bereits geschlachtet wurden. Eine tote Gans jedoch lässt sich nur einmal „ernten“, wie es im Fachjargon heißt, während lebende Vögel vier bis siebenmal gerupft werden können, bis sie geschlachtet werden. Dabei werden die Daunen von Lebendrupf zu Lebendrupf immer weicher, die Qualität verbessert sich also. Das rechnet sich nicht nur für die Rupfer, sondern vor allem für die Hersteller, die so hochwertige Ware für weniger Geld beziehen können.