VON MAXIMILIAN REICHLIN | 12.02.2016 15:30

Das blutige Geschäft mit den Daunen – Auch deutsche Hersteller beteiligen sich am verbotenen Lebendrupf

Deutsche Verbraucher schlafen immer noch vermehrt unter Decken mit echten Gänsedaunen oder hüllen sich im Winter in warme Daunenjacken. Was die meisten nicht wissen: Es ist nicht auszuschließen, dass ein großer Teil der in Deutschland verkauften Daunenware aus Lebendrupf stammt. Dabei werden den Tieren bei vollem Bewusstsein die Federn aus der Haut gerissen, oft mit fatalen Folgen für die Vögel. Diese, in der EU eigentlich verbotene Praxis wird zum Beispiel in Polen und Ungarn immer noch praktiziert. Das Hauptproblem: Deutsche Hersteller können kaum nachvollziehen, ob ihre Daunen ethisch korrekt sind oder nicht. In vielen Fällen wollen sie das auch gar nicht.


Lebendrupf bei Gänsen. Das ist ebenso schmerzhaft und brutal, wie es klingt. Dabei werden Gänse bei vollem Bewusstsein gerupft, um an die weichen Daunen, das Untergefieder, zu gelangen. Man kann sich das in etwa so vorstellen, als würden einem Menschen ganze Haarbüschel mit Gewalt aus der Kopfhaut gerissen. Ohne Narkose, ohne Schmerzmittel, ohne medizinische Nachbehandlung. Praktiziert wird diese Methode zur Gewinnung hochwertiger Daunen vor allem in Ländern wie Polen oder Ungarn, wo auch viele deutsche Hersteller Daunen für Bettdecken, Kissen oder Jacken beziehen. Das belegen Dokumentationen und Untersuchungen von Tierschutzorganisationen wie SOKO Tierschutz oder Vier Pfoten. Daunenhändler verstoßen damit gegen geltendes EU-Recht, denn laut einer Richtlinie über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere ist Lebendrupf in Europa bereits seit 1998 verboten.

Auch deutsche Ware stammt wahrscheinlich größtenteils aus Lebendrupf

Daunendecken sind in Deutschland nach wie vor beliebt und behaupten sich auf dem Markt mit einem Anteil von rund 50 Prozent. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Großteil der in Deutschland produzierten oder verkauften Daunenware mit Daunen aus Lebendrupf hergestellt wurde. Rund 16.000 Tonnen Gänsedaunen werden jedes Jahr nach Deutschland importiert, Hauptexporteure sind Polen, Ungarn sowie China. Im Jahr 2013 untersuchte die Stiftung Warentest 24 in Deutschland verkaufte Daunenprodukte. Das Ergebnis: Neben qualitativen Mängeln wiesen alle Hersteller auch klare Mängel in Tierschutz und Unternehmensverantwortung auf. Kein einziger Anbieter konnte oder wollte auf Nachfrage belegen, woher seine Daunen stammen.

Mehrere Dokumentationen legen nahe, dass deutsche Hersteller immer noch Daunen aus Lebendrupf beziehen: In einem von der Sendung Report Mainz fingierten Verkaufsgespräch mit einem führenden deutschen Bettdeckenhersteller, erklärte dieser laut Angabe der Reporter: „Ich kaufe offiziell immer nur Schlachtrupf. Lebendrupf niemals offiziell. Aber wer kann das schon nachprüfen?“ Ähnlich in einem von der SOKO Tierschutz aufgezeichneten Fall: Ein polnischer Daunenhändler lobte im Gespräch die Qualität der Ware, und gab an, auch an deutsche Firmen zu verkaufen, da der deutsche Verbraucher eben nur beste Qualität wünsche. Auch in diesem Fall gaben sich die Filmer als interessierte Neukunden aus.

Tierschutzaspekte sind schwer zu überprüfen oder zu beweisen

Ein vom Verband der Daunen- und Federnindustrie (VDFI) ins Leben gerufene Gütesiegel soll sicherstellen, dass sich deutsche Hersteller an das EU-Verbot halten. Der sogenannte „Traumpass“ wird bereits seit 40 Jahren als ausreichendes Zertifikat betrachtet. Warum er das nicht ist, erläutert Dr. Martina Stephany, Kampagnenleiterin von Vier Pfoten: Aufgrund der vielen Stationen, die die Daunen auf ihrem Weg zum Hersteller durchlaufen, sei es nötig, jeden einzelnen Arbeitsschritt genau zu auditieren. Eine Leistung, die der Traumpass nicht erbringen könne. Außerdem müsse die Einhaltung der EU-Richtlinie von einer unabhängigen dritten Partei überprüft werden, nicht nur vom Interessenverband selbst. „Erst dann kann ich sicher sein, dass Tierschutzaspekte berücksichtigt werden.“ so Stephany.

Hersteller profitieren vom Lebendrupf – Die Tiere leiden Höllenqualen

Die Gründe für den Lebendrupf: Erschreckend pragmatisch. Es geht ums Geld. In der EU dürfen Gänse und Enten eigentlich nur gerupft werden, wenn sie bereits geschlachtet wurden. Eine tote Gans jedoch lässt sich nur einmal „ernten“, wie es im Fachjargon heißt, während lebende Vögel vier bis siebenmal gerupft werden können, bis sie geschlachtet werden. Dabei werden die Daunen von Lebendrupf zu Lebendrupf immer weicher, die Qualität verbessert sich also. Das rechnet sich nicht nur für die Rupfer, sondern vor allem für die Hersteller, die so hochwertige Ware für weniger Geld beziehen können.

Der globale Konsum von Fleisch steigt weiter an

Tierquälerei, befinden Tierschutzorganisationen und Tierärzte. Karl Figuart von der Bundestierärztekammer beschreibt das blutige Prozedere: „Dem lebenden Tier werden die Federn ausgerissen, die zum Teil noch nicht reif sind. So werden auch Hautfetzen mitgenommen. Die Federkiele, die noch blutig sind und in der Haut feststecken, werden herausgerissen.“ Das Videomaterial des SOKO Tierschutz liefert die dazugehörigen Horrorbilder: Die Tiere werden unter schrecklichem Geschrei mit dem Kopf nach unten eingeklemmt und so lange gerupft, bis keine Federn mehr übrig sind. Dabei können die Gänse verletzt werden, Flügel- oder Beinbrüche sind keine Seltenheit. Offene Wunden werden ohne Narkose behelfsmäßig mit Küchengarn vernäht oder von den Rupfern ignoriert. Nicht wenige Tiere sterben beim Lebendrupf.

Alternativen zur Daune: Synthetik oder Pflanzenfaser

Wer sich am blutigen Geschäft mit den Daunen nicht beteiligen will, der sollte kritische Fragen schon beim Kauf neuer Daunenprodukte stellen. Vorsicht ist zum Beispiel bei Billigpreisen geboten, da Daunen aus ordentlichem Schlachtrupf grundsätzlich teurer sind, als die Lebendrupf-Ware. Bescheinigt der Hersteller außerdem die „hohe Qualität“ seiner Daunen, sollten Verbraucher ebenfalls hellhörig werden und gegebenenfalls vom Produzenten selbst Auskunft einfordern. Wer sich nicht sicher ist oder auf Daunendecken verzichten kann, dem rät die Albert Schweitzer Stiftung zu Lösungen aus Pflanzenfasern, beispielsweise Kapok. Die Tierschutzorganisation PETA plädiert dagegen für den Kauf synthetischer Stoffe. Diese seien nicht nur wärmer als Naturdaunen sondern auch robuster. Und vor allem: ethisch zu vertreten.