VON CLEMENS POKORNY | 04.09.2014 16:28

Du sollst nicht töten? Über Kirche und Militär

Jesus von Nazareth lebte die unbedingte Gewaltfreiheit. Schon der Kirchenvater Augustinus brach damit und legte damit die ideologische Grundlage für ein Verhältnis zwischen Kirche und Militär, das seit 1700 Jahren dem 5. Gebot widerspricht. Bis heute begleiten christliche Geistliche die Bundeswehr und unterstützen Soldaten beim Krieg. Wie ist das zu begreifen?

„Du sollst nicht töten“, lautet das 5. Gebot, eines der Fundamente des christlichen Glaubens. Jesus von Nazareth lebte darüber hinaus die bedingungslose Gewaltlosigkeit und predigte sogar die Feindesliebe. Doch die Realität der Amtskirchen sah schon immer anders aus: Heilige Kriege im Mittelalter, Unterstützung für den 1. Weltkrieg, eigene Seelsorge für Soldaten heute. Lässt sich das zwiespältige Verhältnis der Kirche zu Krieg und Militär überhaupt verstehen?

Dazu muss man Grundzüge der Verquickung von Staat und Kirche betrachten. Der römische Kaiser Konstantin zog 312 getreu der Prophezeiung „Unter diesem Zeichen (nämlich dem Kreuz) wirst du siegen“ mit dem christlichen Symbol in die Schlacht an der Milvischen Brücke gegen seinen Rivalen Maxentius – und siegte. Das Kreuz wurde vom Zeichen der Gewaltfreiheit zu einem Symbol des Militärs. Unter Konstantin konnten nur noch Christen Soldaten werden. Und seit dieser Zeit begleiten Militärpfarrer die Kriegszüge der weltlichen Fürsten.

Töten mit Gottes Erlaubnis

Der Kirchenvater Augustinus begründete wenig später die Lehre vom Gerechten Krieg (bellum iustum) und brach damit endgültig mit der Gewaltfreiheit Jesu. Papst Gelasius begründete um 500 die Zwei-Schwerter-Lehre, die unter Rückgriff auf die Passionsgeschichte zwei oberste Gewalten in der christlichen Welt bezeichnet und Gewaltanwendung im Sinne des Christentums legitimieren sollte: die geistliche und die oberste weltliche Macht, Papst und Kaiser. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich verstehen, dass Urban II. im Jahr 1095 zum Kreuzzug gen Jerusalem aufrufen konnte. Aber auch Martin Luther befürwortete später Gewalt als legitimes Mittel zur Niederschlagung von Bauernaufständen. Und evangelische wie katholische Kirche unterstützten 1914 den 1. Weltkrieg mit Begeisterung. Auch Hitlers 2. Weltkrieg legitimierten die Kirchen geistlich. Pfarrer und Bischöfe stellten den Eroberungskrieg der Nazis schon 1939 als göttlichen Auftrag dar. Christen im 3. Reich beteten und sangen für den Endsieg, nur wenige – wie etwa Dietrich Bonhoeffer – hielten an ihrer Überzeugung fest und bezahlten dafür mit dem Leben.

Doch nach 1945 veränderten die Kirchen ihr Verhältnis zum Staat nicht. Bereits 1957 wurde die Militärseelsorge beider großer christlicher Glaubensgemeinschaften in Deutschland auf neue vertragliche Grundlagen gestellt. Heute gibt es jeweils einen Militärbischof und etwa 100 Militärpfarrer pro Kirche, die für diese Aufgabe für sechs Jahre von ihren kirchlichen Pflichten entbunden werden und als Zivilisten in der Bundeswehr dienen – bezahlt vom Steuerzahler. Bis zu 50 Millionen Euro kostet uns die Militärseelsorge pro Jahr insgesamt. Dabei nehmen die Soldaten der Bundeswehr deren seelsorgerisches Angebot kaum in Anspruch: Zwar befürworten 80% von ihnen, dass Militärpfarrer ihre Auslandseinsätze begleiten, doch nur einer von hundert „Staatsbürgern in Uniform“ sucht einen Geistlichen auf, um mit ihm über seine seelischen Nöte zu sprechen.

Und noch immer hält insbesondere die katholische Kirche an der Ideologie vom gerechten Krieg fest, während aus der evangelischen Kirche vermehrt kritische Töne zu hören sind. Doch auch der ehemalige protestantische Pfarrer und heutige Bundespräsident Gauck stimmt die Bevölkerung auf eine zunehmende Zahl von Kriegen von deutschem Boden aus ein – obwohl die Kirche zugibt, dass (Waffen-)Gewalt Konflikte prinzipiell nicht lösen kann. Mit der Militärseelsorge unterstützen die großen Kirchen aber die (Auslands-)Einsätze der Bundeswehr. In der DDR gingen Soldaten in Zivil in die Kirche, es gab keine eigene seelsorgerische Betreuung für sie. Warum müssen heute Militärpfarrer vom Staat bezahlt und in die Streitkräfte integriert werden, wo sie in einer strengen Hierarchie stehen und kaum neutral bleiben können? Als prinzipiell eher konservative Institutionen bleiben die Amtskirchen offenbar noch immer ihrer unseligen Geschichte verhaftet, in der sich Obrigkeit und Kirche immer gegenseitig unterstützt haben (die heutige Militärseelsorge geht auf einen noch mit Hitler geschlossenen Vertrag zurück!). Und nicht zuletzt bedeutet diese von der öffentlichen Hand finanzierte Institution für die Kirchen schlicht Geld vom Staat und Einfluss auf seine Soldaten. Eine „Ökumenische Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge“ hat denn auch bislang keine Erfolge vorzuweisen. So bleibt es wohl vorerst dabei, dass etliche Lebensschützer sich ohne Rücksicht auf werdende Mütter für ungeborenes Leben einsetzen, aber vom 5. Gebot nichts wissen wollen, wenn es um Krieg geht.