VON MAXIMILIAN REICHLIN
|
21.10.2016 08:14
Kassen zahlen nicht mehr für gefährliche intrakranielle Stents – Warum hat das so lange gedauert?
Mitte September entschied der Gemeinsame Bundesausschuss, dass die umstrittene Behandlungsmethode mit intrakraniellen Stents in Zukunft kein Teil des Leistungsspektrums Gesetzlicher Krankenversicherungen mehr sein soll. Drei Jahre lang hatte der GKV-Spitzenverband für diese Entscheidung gekämpft, denn die als PTAS bekannte Behandlung erwies sich nicht wie gehofft als wirksame Schlaganfalltherapie, sondern als zusätzliches Risiko für die Erkrankten. Dennoch schalteten Krankenhäuser und Ärzteschaft lange auf stur, wenn es um den Ausschluss der intrakraniellen Stents ging. Ein Streit, der auf dem Rücken der Patienten und Patientinnen ausgetragen wurde?
Nach rund dreijähriger Diskussion ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), bestehend aus Ärzten sowie Vertretern von Krankenhäusern und Krankenkassen, endlich zu einem Entschluss gelangt: Die als PTAS (perkutante transluminale Angioplastie mit Stenteinlage) bekannte Methode zur Behandlung von Schlaganfällen ist nun nicht mehr Teil des Leistungsspektrums der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Intrakranielle Stents dürfen daher nur noch in Ausnahmefällen eingesetzt werden. Bislang waren pro Jahr 600 bis 700 von rund 170.000 Schlaganfallerkrankten mit der stark umstrittenen Methode behandelt worden.
Intrakranielle Stents – Mehr Schaden als Nutzen
Seit mehr als zehn Jahren existiert die Behandlungsmethode bereits, bei der den Betroffenen ein kleines Röhrchen aus Drahtgeflecht eingesetzt wird, um verengte Gefäße im Gehirn offen zu halten. Wo sie zunächst noch als neue Hoffnungsträger der Schlaganfalltherapie gehandelt wurden, stellten später mehrere unabhängige Studien fest, dass intrakranielle Stents eher ein zusätzliches Risiko darstellen, als tatsächlich zur Heilung beizutragen.
Erst im vergangenen Jahr erschien eine entsprechende Studie in der Fachzeitschrift JAMA (Journal of the American Medical Association), die nach der Behandlung von 112 Testpersonen abgebrochen wurde. Der Grund: 30 Tage nach Einsatz intrakranieller Stents kam es bei rund 25 Prozent der Behandelten zu schwerwiegenden Zwischenfällen wie einem erneuten Schlaganfall. In der Gruppe der Erkrankten, die nur mit Medikamenten behandelt wurden, waren es nur 10 Prozent.
Stents wurden länger eingesetzt, als nötig – Grund war eine Sonderklausel
Fachleute warnten schon früh vor dem Schadenspotential intrakranieller Stents. Dennoch und auch trotz der negativen Studienergebnisse hielten Ärzteschaft und Krankenhäuser über Jahre hinweg an der umstrittenen Methode fest. Möglich machte das die sogenannte Bahr-Klausel. Zwar gibt es in Deutschland ein Gremium, das über die mögliche Streichung einer Behandlungsmethode aus dem Leistungskatalog der GKV entscheidet – der Gemeinsame Bundesauschuss nämlich – dieser besteht allerdings nicht nur aus Unparteiischen und Vertretungen der Kassen, sondern auch der Leistungserbringenden.
Eine auf FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr zurückgehende Sonderklausel legt fest, das bei gewissen Entscheidungen eine Mehrheit im G-BA für den Ausschluss einer Behandlung nicht mehr ausreicht, sondern dass mindestens neun von 13 Stimmen für einen Entschluss benötigt werden, also auch die Krankenhäuser und Ärzteschaft dem Ausschluss zustimmen müssen. Da diese an der umstrittenen Behandlung verdienen, öffnet die Bahr-Klausel Tür und Tor für die Vermischung medizinischer mit ökonomischen Motiven – egal, als wie schädlich sich eine Behandlung erweist. Zumindest in der Theorie ist das möglich.
Public Health
Dieses in Deutschland recht junge Fach beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen Gesundheit und Krankheit in der Bevölkerung einerseits und den vielen Faktoren, die darauf Einfluss nehmen, andererseits
[...]»
Wird die Entscheidungsfindung im Gesundheitswesen bald reformiert?
SPD und Union sind nun bereit für eine Reform des Neun-Stimmen-Quorums zugunsten der Krankenversorgung. CDU-Gesundheitsexperte Michael Hennrich ist für eine Abschaffung der Bahr-Klausel; vielmehr müsse der Staat „Wege finden, das Allgemeinwohl durchzusetzen.“ Möglich sei das beispielsweise durch die Abschaffung des G-BA in seiner aktuellen Form und durch die Schaffung einer unabhängigen Bundesbehörde, die zukünftig in Streitfragen entscheiden solle.
Seit 2013 arbeitete der GKV-Spitzenverband auf den gesetzlichen Ausschluss der PTAS hin, nun ist der Beschluss endlich erwirkt. Demnach dürfen intrakranielle Stents nun nur noch zum Einsatz kommen, wenn es für die betreffenden Erkrankten keine alternativen Behandlungsmethoden mehr gibt, oder diese nicht anschlagen. Ob mit der Entscheidung des G-BA die umstrittene Behandlung damit tatsächlich aus dem Leistungskatalog der GKV verschwindet, wird sich allerdings noch zeigen – noch könnte das Bundesgesundheitsministerium per Veto den Beschluss beanstanden und den langen Kampf rund um die gefährlichen intrakraniellen Stents damit aufs Neue lostreten.
-
Verfassungsschutz in Deutschland
Spätestens seit der
NSU-Terrorserie in Deutschland und den damit verbundenen Mordfällen an Kleinunternehmern in ganzen Bundesgebiet ist der deutsche
Verfassungsschutz stark unter Beschuss geraten: In Hessen wird Ministerpräsident
Bouffier derzeit stark für die Aufklärung der Mordserie kritisiert, angeblich wusste ein hessischer Verfassungsschutzbeamter Bescheid und war nach dem Mord sogar am Tatort, auch von Kontakten zu rechtsextremen V-Männern ist die Rede. Um diese zu schützen, wurde die Ermittlung im Mordfall Yozgat stark behindert. Berlin fordert nun Aufklärung.
[...]»
-
Überwachung aus dem All – Sind Satelliten eine Gefahr für den Datenschutz?
Satelliten werden immer moderner. Hochauflösende Bilder und sogar Echtzeitaufnahmen stellen mittlerweile für die Himmelskörper kaum mehr ein Problem dar. Aus diesem Grund werden sie auch ständig genutzt, von zivilen Unternehmen aber auch von Militär, Grenzschutz und Geheimdiensten. Bedrohen die technischen Möglichkeiten von Satelliten den Datenschutz? UNI.DE hat sich umgehört.
[...]»
-
Der Dritte Weg – Ein neues Sammelbecken für Neonazis des FNS
Im vergangenen Juli wurde laut Beschluss des bayerischen Innenministeriums die Neonazi-Kameradschaft „Freies Netz Süd“ (FNS) offiziell verboten. Dieser Schritt wird in Politik und Presse durchweg positiv aufgenommen, Kritikern kommt er allerdings zu spät. Bereits zwei Jahre zuvor hatte die bayerische SPD einen entsprechenden Antrag gestellt. Mittlerweile hatten die Mitglieder Zeit genug, sich in einer neuen Organisation zu sammeln, dem „Dritten Weg“. Hier handelt es sich allerdings um eine eingetragene Partei, was den Kampf gegen die Rechtsradikalen erschwert. Warum nicht schneller gehandelt wurde und was von „Der Dritte Weg“ zu halten ist.
[...]»
-
1984 oder 2013? Von Vorratsdatenspeicherung und orwellscher Sprachverwirrung
Die Speicherung von Telekommunikationsdaten ist in Deutschland ein heiß umstrittenes Thema das gerade durch die jüngsten Skandale um die amerikanische NSA und deren Spähprogramm „Prism“ nun wieder ins Gespräch gebracht wird. Neu ist das Thema in der Bundesrepublik nicht. Schon in der Vergangenheit wurde es oft auf den politischen Tisch gebracht. Eine EU-Richtlinie schreibt die Vorratsdatenspeicherung eigentlich für alle Mitgliedsstaaten vor, dennoch wurde sie durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verboten. Die CDU/CSU, vormals Verfechter der Vorratsdatenspeicherung, rückt nun vom ursprünglichen Kurs ab und setzt statt dessen auf eine „Mindestspeicherfrist“. Was sind Vorratsdatenspeicherung und Mindestspeicherfrist und was bedeuten die Begriffe für den Bundesbürger? UNI.de klärt auf.
[...]»
-
Pressefreiheit in der Türkei?
Ob Freiheitsrechte garantiert sein müssen, damit die EU weiter auf die Türkei zugeht, oder umgekehrt eine verbesserte Perspektive auf einen baldigen EU-Beitritt als Mittel zu demokratischen Fortschritten dienen kann, bleibt umstritten. Ohne Zweifel jedoch hat die Pressefreiheit am Bosporus unter der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan in den letzten Jahren massiv abgenommen. UNI.DE wirft ein Schlaglicht auf die Problematik.
[...]»
-
Was vom Tag bleibt: Alles nur Zufall oder wie weit können wir statistischen Vorhersagen trauen?
Nasim Nicolas Taleb, Autor der Bestseller „Der Schwarze Schwan“, „Narren des Zufalls“ und „Anti-Fragilität“ hat einige Thesen aufgeworfen, die wissenschaftlichen Fortschritt, basierend auf statistischen Erkenntnissen, teilweise in Frage stellen und zum Nachdenken über den Zufall und dessen Rolle in unserem Leben anregen.
Ich möchte in diesem Text, aufbauend auf Taleb`s Thesen, für ein selbstbestimmteres Handeln und einen alternativen Blick auf die Welt plädieren.
[...]»
-
Wikis: Die Macht der Schwarmintelligenz
Mit dem Online-Lexikon Wikipedia wurde eine freie Software populär, die auch jenseits der Enzyklopädie eingesetzt wird und so etwa in Vereinen und Unternehmen Kommunikations- und Arbeitsprozesse erleichtert und beschleunigt. Die sogenannten Wikis bilden damit die technische Grundlage von Projekten, die oftmals dem Gemeinwohl dienen. Sie unterstützen flache Hierarchien und größtmögliche Transparenz. Ihre Vorteile überwiegen letztlich alle Nachteile deutlich, wie insbesondere am Beispiel der Wikipedia deutlich wird.
[...]»
-
Wende in Brasilien?
Brasilien steht im Finale des Confederations Cup. Doch die brasilianische Bevölkerung hat dieser Tage etwas anderes als Fußball im Kopf. Der Confederations-Cup sollte die große und glanzvolle Generalprobe zur Fußball-WM nächstes Jahr werden. Stattdessen wurde er zusammen mit den Preiserhöhungen im Nahverkehr zum buchstäblichen Funken, der das Feuer des Unmuts zum Ausbruch und das brasilianische Volk auf die Straße brachte. Die größten Demonstrationen seit 20 Jahren erwecken dabei den Anschein, als könnten sie tatsächlich fundamentale Veränderungen herbeiführen und sind ein eindrucksvolles Beispiel für das Gelingen demokratischer Partizipation von Zivilbevölkerungen, welches optimistisch stimmt.
[...]»
-
Anti-Terror-Datei: notwendiges Instrument oder Überschreitung von Kompetenzen?
Die „Anti-Terror-Datei“ vereint Datenbanken der deutschen Polizeibehörden und der Geheimdienste und verwischt so das Trennungsgebot zwischen beiden Institutionen. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat dies jetzt nur bedingt als verfassungswidrig zurückgewiesen – das zugrundeliegende Gesetz bleibt ein gefährlicher Eingriff in die Grundrechte jedes Menschen.
[...]»
-
Staat weiter in der Verantwortung – Betreuungsgeld verfassungswidrig
Es ist als „Herdprämie“ oder „Hausfrauengehalt“ bekannt. Das Betreuungsgeld benachteiligt Frauen und verschiebt Missstände um Kita-Plätze in die private Ebene, so wetterten die Gegenstimmen. Nun ist der Streit um das Betreuungsgeld, das am stärksten von der CSU verteidigt wurde, durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts beendet. Es erklärte das Betreuungsgeld als verfassungswidrig. Was das Betreuungsgeld überhaupt ist und warum es verfassungswidrig ist, erklärt UNI.DE.
[...]»