VON LISI WASMER | 25.11.2013 16:18

Gleich ist nicht immer fair – Frauenquote

Noch immer ist keine Regierung gebildet, trotzdem versetzen die Verlautbarungen von Union und SPD über „Ergebnisse“ der Koalitionsverhandlungen die Gemüter der Wähler regelmäßig in Wallung. Bestens dazu geeignet ist etwa die Übereinkunft, eine Frauenquote für die Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen gesetzlich einzuführen. Bis 2016 sollen sie zu 30 Prozent mit Frauen besetzt sein. Bei Mangel an Bewerberinnen bleiben die Stellen offen. Es ist ein recht zaghafter Vorstoß, den die Parteien da machen, trotzdem spaltet er die Meinung der Gesellschaft: Den einen geht er nicht weit genug, die anderen sehen die Einführung einer gesetzlichen Quote als geistige Totgeburt. Frauenquote: Fluch oder Segen?


Die Kinderkrippe ein Kindheitstrauma?

Es ist ein Thema, bei dem es scheinbar schwer fällt, objektiv zu bleiben. Kaum ein Politikum spaltet die Meinungen derzeit so stark wie es die Forderung nach einer gesetzlich vorgeschriebenen Frauenquote in der Führungsebene deutscher Unternehmen tut. Nun haben sich Union und SPD im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auf eine 30-Prozent-Quote in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen bis 2016 geeinigt. Ein wichtiger erster Schritt für die einen. Die Politik gehe nicht weit genug, meinen die anderen. Und dann gibt es die dritten, denen nicht klar ist, weshalb die Politik erlaubt, dermaßen in die freie Marktwirtschaft einzugreifen. Leider hat es das Thema naturgemäß an sich, dass eine sachliche Diskussionskultur so gut wie gar nicht aufrecht erhalten wird. Befürworter werden als kopflose Feministen dargestellt, Gegner als chauvinistische Machos. Ein Versuch, Objektivität walten zu lassen.

Worauf kann man sich einigen?

Was allen Streitparteien klar ist: Vor dem Hintergrund einer patriarchalischen Gesellschaft mit festgefahrenen Rollenbildern wurden Frauen in der Vergangenheit stark diskriminiert. Ausläufer zeigen sich auch heute noch in der Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen oder etwa in der häufig zitierten Minderwertschätzung „typischer Frauenberufe“ wie etwa Pflege oder Kindererziehung. Den hier bestehenden Handlungsbedarf dürfte wohl niemand in Frage stellen, der für sich eine objektiv und rational fundierte Grundhaltung beansprucht. Außerdem ist festzuhalten, dass die Gleichberechtigung von Männern und Frauen als erklärtes Ziel der Politik im deutschen Grundgesetz verankert ist – zu Recht. Alles andere wäre einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik nicht angemessen. Soweit die gemeinsame Grundlage.

Was könnte für eine Frauenquote sprechen?

Um weiterhin sachlich zu bleiben, sollen hier Vorwürfe, den Gegnern einer Frauenquote gehe es rein um die Aufrechterhaltung einer patriarchalischen, von Männern dominierten wirtschaftlichen (und somit natürlich auch politischen) Machtausübung, einmal außer Acht gelassen werden. Anstatt das konträre Lager als machohafte Chauvinisten zu brandmarken, soll hier der tatsächliche Nutzen einer gesetzlichen Frauenquote für Wirtschaft und Gesellschaft betrachtet werden.

Fakt ist: Der Männeranteil in den Aufsichtsräten der 160 größten DAX-Unternehmen liegt bei knapp 90 Prozent. Eine andere Zahl: Der Anteil weiblicher Abiturienten pro Schuljahr liegt bei 50 Prozent. Das suggeriert natürlich einen verzerrten Wettbewerb, obwohl sich Spitzenverbände der Wirtschaft schon 2001 dazu verpflichtet haben, die Chancengleichheit von Männern und Frauen in Unternehmen zu verbessern. Heute, über 10 Jahre später, entsteht der Eindruck, dass dies nur über eine gesetzliche Frauenquote gelingen könnte.

Fakt ist außerdem, dass Statistiken in Bezug auf ökonomischen Erfolg für einen höheren Frauenanteil in Unternehmungsführungen sprechen. Das hat zum Beispiel eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey ergeben. Und auch aus sozialpsychologischen Untersuchungen ist bekannt, dass mehrköpfige Teams besser funktionieren, wenn beide Geschlechter vertreten sind. Häufig ist die Rede davon, dass solche Teams in Führungsriegen erst dann zustande kommen, wenn ein Umdenken in der Gesellschaft geschieht, was durch eine Frauenquote beschleunigt, beziehungsweise unterstützt werden könnte.

Was spricht dagegen?

So viel dazu. Nun gilt es, die Nachteile einer gesetzlichen Frauenquote in Betracht zu ziehen. Ebenso wenig wie das Chauvinisten-Argument soll hier auf das Feministen-Kontra eingegangen werden. Es geht hier weder um konfliktbeladene Einzelpositionen noch um moralische Grundsatzentscheidungen (denn dass Diskriminierung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit moralisch verwerflich ist, sollte wohl zu den oben bereits aufgestellten Punkten zählen, die von beiden Seiten gleichermaßen akzeptiert werden). Es geht also rein um die objektive Überlegung, ob oder inwiefern eine gesetzliche Frauenquote zugunsten der Gleichberechtigung von Männern und Frauen wünschenswert sein kann.

Hier liegt auch der Ansatzpunkt für Argumente gegen die Einführung der Quote. Es geht in der Debatte um Gleichberechtigung. Dabei verlieren viele den Blick dafür, was das eigentlich bedeutet. Gleichberechtigung hat nicht unmittelbar mit Prozentrechnung zu tun. Menschen können gleichberechtigt sein, auch wenn mehr Männer als Frauen in der Führungsebene arbeiten. Bei Gleichberechtigung geht es um Chancengleichheit. Wenn aber angenommen wird, diese sei durch eine gesetzliche Frauenquote zu erreichen, so befindet man sich auf dem Holzweg. Der deutsche Philosoph Bernd Gräfrath stellt das in seinem Buch „Wie gerecht ist die Frauenquote“ anschaulich dar: „Quotierung ist kein Mittel zur Chancengleichheit. Quotierungsprogramme zielen eher auf die schnelle Eroberung gesellschaftlicher Macht durch eine Gruppe in der Gesellschaft“ (S. 177, f). Es stimmt, dass eine rasche Veränderung der Geschlechterstrukturen in Führungspositionen durch eine gesetzliche Frauenquote herbeigeführt werden kann. Dass dies die Gleichberechtigung von Männern und Frauen vorantreibt, stimmt deshalb aber noch lange nicht.

Hand in Hand mit dieser Argumentationslinie geht auch die Mahnung, die Einführung einer Frauenquote öffne die Tür zu einer ganz neuen Dimension der Diskriminierung. Es gehört inhärent zum Prinzip der Gleichberechtigung, dass Personeneigenschaften, die für die Grundrechte einer Person irrelevant sind, nicht als Grundlage für eine Bevorzugung oder Benachteiligung dieser Person herangezogen werden dürfen. Fängt man nun an, diesen Grundsatz aufzuweichen, indem man bei der Geschlechterzugehörigkeit eine erste „Ausnahme“ macht, kann nicht mehr garantiert werden, dass weitere interindividuelle Unterschiede folgen: Alter, Gesundheitszustand, Familienstand – die möglichen Ansatzpunkte sind zahlreich.

Was bleibt uns übrig?

Auch unter Berücksichtigung der objektiven Punkte für, beziehungsweise gegen die Einführung einer Frauenquote auf Gesetzesebene bleibt die endgültige Entscheidung scheinbar eine schwierige. Noch schwieriger dürfte es aber sein, die getroffene Wahl vor der Masse emotional aufgeladener Gegenstimmen zu verteidigen. Wer dafür stimmt, erlaubt der Politik aus übertrieben feministischen Beweggründen heraus einen unangemessen starken Eingriff in die freie Marktwirtschaft. Wer dagegen stimmt, verleugnet die jahrzehntelange Unterdrückung der Frauen und outet sich als Speichellecker einer patriarchalischen Wirtschaftslobby. Dass im Grunde auf beiden Seiten ein moralisch reflektiertes wie auch zeitgemäßes Menschenbild vertreten sein kann und vielleicht lieber nach einer Alternative auf Basis der gemeinsamen Befürwortung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen gesucht werden sollte, geht leider meistens unter.