VON MAXIMILIAN REICHLIN | 01.09.2016 16:55

Ich Mann, du Frau - traditionelle Geschlechterrollen von der Steinzeit bis heute

Sie werden oft in Diskussionen herbeizitiert, Feministinnen und Feministen verteufeln sie, Pick-Up Artists verlassen sich auf sie: Die traditionellen Geschlechterrollen. Sie weisen den Männlein und Weiblein unserer Gesellschaft bestimmte Verhaltensweisen, Eigenschaften und Aufgaben zu. Männlich ist es beispielsweise, zu jagen, sich zu prügeln, Feuer zu machen und dem Weibchen seine Dominanz zu zeigen. Weiblich dagegen ist das Aufziehen und Hüten der Kinder, das Kochen und das Weinen bei „10 Dinge die ich an dir hasse“. Traditionell sind diese Geschlechterrollen, weil sie bereits seit der Steinzeit existieren und also „natürlich“ sind – oder nicht?


Viele Männer (und auch ein paar Frauen) stellen sich die Anfänge der Menschheit wie das verlorene Paradies vor: Während die Männer des Stammes jagen gehen, bleibt die Frau zuhause in der Höhle und wartet sehnsüchtig auf deren Rückkehr – während sie Kleider näht, die Kinder hütet und sich mit den anderen Frauen Geschichten erzählt. So ist uns die Altsteinzeit, oder das Paläolithikum, wie es in Fachkreisen genannt wird, seit jeher verkauft worden. Und auf diesen geschlechtlichen Urzustand, diese „ursprünglichen“ Geschlechterrollen, beruft man sich selbst heute noch.

Wie klassische Geschlechterrollen unser Denken beeinflussen

Ein prominentes Beispiel dafür ist ein Zitat aus dem Weltbestseller „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ von Alan und Barbara Pease. Aufgemerkt: „Frauen haben keine guten räumlich-visuellen Fähigkeiten, weil sie von jeher kaum etwas anderes jagen mussten, als Männer.“ Das Buch, das auf humoristische Art und Weise die Unterschiede zwischen den Geschlechtern erläutern will, „basiert auf streng wissenschaftlichen Erkenntnissen“, so zumindest die Autoren im Vorwort. Aus Rücksicht auf die Feministinnen und Feministen in unserer Leserschaft verschweige ich besser, wie oft sich das Buch verkauft hat.

Selbst in alltäglichen Diskussionen kommen die Geschlechterrollen oft und gerne auf den Tisch. Oder wie oft wurdet ihr bereits mit einem Argument konfrontiert, das ungefähr so klang: „Männer sind nicht multitaskingfähig, weil sie sich beim Jagen nur auf eine Sache gleichzeitig konzentrieren mussten. Die Beute!“ Oder auch: „Grillen ist Männersache! Das Fleisch nach Hause zu bringen, das ist Aufgabe des Jägers, nicht der Sammlerin!“ Oder dergleichen mehr.

Unsere ursprünglichen Vorstellung von Männern und Frauen sind wahrscheinlich falsch

Es sind diese traditionellen Vorstellungen des genuin Männlichen und genuin Weiblichen, die dem deutschen Komödianten Mario Barth die Butter aufs Brot bringen und die in sogenannten Pick-Up Artists die Wahnvorstellung auslösen, man könne jede Frau verführen, indem man sich nur ausreichend dominant und (eben) männlich verhält. Wie würde es wohl am Weltbild dieser Menschen rütteln, wenn man ihnen sagte, dass traditionelle Geschlechterrollen höchstwahrscheinlich auch nur eine Erfindung unserer zivilisierten Gesellschaft sind – ähnlich wie Genmanipulation, Antischuppen-Shampoo und einzeln verpackte Schmelzkäsescheiben.

Die prähistorische Geschlechterforschung (ja, das gibt es!) steht den ursprünglichen Männer- und Frauenbildern mittlerweile mehr als kritisch gegenüber. Archäologische Funde zeigen, dass unsere Vorstellung der Steinzeit und ihrer sozialen Normen durchaus falsch sein kann. Dazu gehören Werkzeuge, die, entgegen der klassischen Idee, nicht von Männern, sondern von Frauen hergestellt wurden. Frauen, die zusammen mit prunkvollen Schätzen und Waffen beerdigt wurden. Höhlenmalereien, die darauf schließen lassen, dass Frauen jagen gegangen sind.

Gesellschaft und Mensch im Fluss

Wir projizieren unsere Vorstellungen auf die Vergangenheit

Warum halten wir also trotzdem an unseren Vorstellungen des Jägers und der Sammlerin fest? Wahrscheinlich, so die These der Forscherinnen und Forscher, um die im 18. und 19. Jahrhundert gefestigten Geschlechterrollen zu legitimieren. Mit dem Totschlagargument „Das war schon immer so“ haben wir wahrscheinlich versucht, neue Vorstellungen unserer Gesellschaft zu Männern, Frauen und Familie zurückzuprojizieren auf einen natürlichen Urzustand. Tatsächlich dürfte die Vorstellung des steinzeitlichen „Traumpaares“ also nicht älter sein, als 300 Jahre.

„Solche Befunde zeigen einfach, dass wir mit archäologischen Quellen zu ganz erstaunlichen Erkenntnissen kommen können.“ so die Prähistorikern Brigitte Röder von der Universität Basel. „Die uns auch einen Spiegel vorhalten und zeigen, dass wir mit ziemlichen Klischeevorstellungen aus der heutigen Zeit an geschichtliche Quellen herangehen und eine Neigung haben, unsere eigenen Vorstellungen auf die Vergangenheit zu projizieren."

Die tatsächlichen Geschlechterrollen sind unbekannt

Wie es allerdings tatsächlich war, das weiß auch die Steinzeit-Geschlechterforschung nicht genau. Dafür gibt es zu wenig Funde, außerdem steht die prähistorische Geschlechterforschung noch so gut wie am Anfang. Erst seit 30 Jahren beschäftigt sich die Archäologie mit dem Thema „Männer und Frauen“. Aus akademischer Sicht steckt die Disziplin damit noch in den Windeln. Klar ist nur: Die Steinzeit umfasst einen Zeitraum von rund 2,5 Millionen Jahren. Dass es während eines solch langen Zeitraums ein „klassisches“, das heißt statisches Bild von Männern und Frauen gegeben haben soll, schließen die Forschenden aus.

Wahrscheinlicher ist, dass wir langsam vielleicht anfangen sollten, auch diese längst hinfälligen Konventionen zu hinterfragen. Gerade in einer Zeit, in der wir so gut wie alles mit Mitteln der Wissenschaft zu erklären versuchen, und in der Frauen sich immer öfter als Jägerinnen profilieren, und Männer gerne auch mal sammeln gehen, ist das Festhalten an „traditionellen“ Geschlechterrollen wohl ebenso sinnlos, wie ein Mario-Barth-Programm. Und es hinterlässt in den meisten Fällen einen ebenso schlechten Nachgeschmack, wie einzeln verpackte Schmelzkäsescheiben.