VON SUSANNE BREM | 22.09.2016 11:29

Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt: selbe Chancen für Mann und Frau?

In Vollzeit berufstätiger Mann, Kinder erziehende und Haushalt führende Frau – das klassische „männliche Ernährermodell“ ist in Deutschland mittlerweile stark rückläufig. Nur noch knapp 20 Prozent aller Paare hierzulande leben in dieser Konstellation. Viele Frauen widmen sich ihrer eigenen Karriere oder steigen nach einiger Zeit der Kindererziehung wieder ins Berufsleben ein. Der Staat versucht, ihnen den Weg dafür zu ebnen; in den letzten Jahren hat sich dabei viel getan, das die Chancengleichheit für Mann und Frau im Arbeitsleben verbessert hat. Gleichermaßen wird die Rolle des Mannes als Vater neben seiner Erwerbstätigkeit mittlerweile stärker berücksichtigt. Wie hat sich das entwickelt und vor welchen Möglichkeiten stehen die Geschlechter heute jeweils?


Auf dem viertletzten Platz in Europa liegt Deutschland, wenn es um Gleichberechtigung für Frauen auf dem Arbeitsmarkt geht – schlechter stehen auf diesem Gebiet nur noch Irland, Italien und Griechenland da. Das hat eine diesjährige Studie der Glassdoor Economic Research offen gelegt. Sie hat die Gleichstellung von Mann und Frau in der Erwerbstätigkeit anhand von zwölf Indikatoren untersucht, darunter die Quote der Beschäftigung, Anteil in Führungspositionen und die „Kosten“ der Mutterschaft. Ein Wert von 1 gilt dabei für die optimale, völlige Gleichstellung der Geschlechter, jeder Wert darunter deutet auf Abstriche hin. Klare Sieger: Schweden, Norwegen und Finnland, sie rangieren zwischen 0,7 und 0,8. Deutschland schafft es, genauso wie die Schweiz und Niederlande, nur auf einen Wert von 0,4. Besonders beim Thema Gender Pay Gap gibt es noch Defizite; mit ganzen 23 Prozent wird die allgemeine Entgeltlücke zwischen Mann und Frau derzeit beziffert (in Deutschland; EU-weit mit 18 Prozent), selbst bei gleicher Qualifikation, gleicher Arbeit und gleichen Merkmalen liegt sie noch bei sieben Prozent.

Frauen oft nur in Teilzeit erwerbstätig

Die Gründe dafür: eine hohe Geschlechtersegregation am Arbeitsmarkt. Daran lassen sich ungleiche Arbeits- und Lebenschancen für Männer und Frauen ablesen. Frauen arbeiten deutlich häufiger in niedrig entlohnten Sektoren. Sie sind zahlenmäßig stärker in sozialen oder personennahen Dienstleistungen als in technischen oder handwerklichen Berufen zu finden. Dazu arbeiten sie, sobald die Kinder es zulassen, nach dem Wiedereinstieg ins Berufsleben häufig nur in Teilzeit und Minijobs; das sind ca. 45 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Frauen. In der Forschung wird vermutet, dass Rollenstereotype und geschlechtsbezogene Zuschreibungen noch immer stark wiegen bei der Bewerberauswahl und beim Bewerten von Leistung und Arbeit.

Gesetzliche Grundsicherung

Veränderte Familien- und Arbeitsmodelle

Die wachsende Zahl an halbtags beschäftigten Frauen in Europa zeigt: Die Strukturen in Familien und auf dem Arbeitsmarkt verändern sich. Dass immer mehr Frauen erwerbstätig sind, ist ein Zeichen verbesserter Chancen und für Gleichstellung beider Geschlechter im Berufsleben. Dennoch liegt die Frau in einigen Punkten noch immer im Hintertreffen. Emotionale Kompetenzen und Interaktionsarbeit etwa, die wichtig sind in den frauenlastigen sozialen Berufen, werden noch zu oft nicht berücksichtigt, sondern bleiben als lohnirrelevant unbeachtet. Für zwei von drei Frauen ist diese Beschäftigung auch ihre Haupteinnahmequelle. Verglichen mit einer Vollzeitanstellung bedeutet das: weniger Lohn, weniger Verantwortung, weniger gesellschaftliche Anerkennung, schlechte soziale Absicherung und ein unsicherer Arbeitsplatz, begrenzte Möglichkeiten in Weiterbildung und Karriere. Sich selbst so finanziell unabhängig zu halten oder zu entwickeln, ist unmöglich.

Fortschritte in der Geschlechtergleichstellung

Aber: Insgesamt ist die Erwerbsquote unter Frauen in den letzten zehn Jahren um knapp neun Prozent gestiegen. Wenn auch häufig durch Teilzeitverträge, hat die Frau heute dennoch bessere Chancen, etwa den Spagat zwischen Kindererziehung und eigener Berufstätigkeit zu schaffen. Am besten stehen die Bedingungen für Mann und Frau auf dem Arbeitsmarkt in Skandinavien: Hier arbeitet die Regierung schon seit den 1970ern aktiv am Ausbau der Kinderbetreuung, an Steuer- und Unterhaltsrecht für Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern. Auch Frankreich hat längst auf sinkende Geburtenzahlen reagiert; dort wird ebenfalls versucht, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten und voranzutreiben, indem gute Betreuungsmöglichkeiten für Kinder geschaffen werden.

Auch die deutsche Bundesregierung hat über die letzten Jahre versucht, die Chancengleichheit von Mann und Frau im Erwerbsleben anzugleichen. Der Mindestlohn etwa kommt vor allem geringfügig Beschäftigten zugute – also vielen Frauen. Auch die Betreuungsmöglichkeiten für Schul- und Kindergartenkinder sind verbessert, Elterngeld und Elternzeit sind eingeführt worden, was Frauen schneller in den Beruf zurückkehren lässt und Männer zu einer Familienauszeit ermuntert. Zudem ist Anfang dieses Jahres die verbindliche Geschlechterquote in Aufsichtsräten eingeführt worden: Mindestens 30 Prozent Frauen müssen dort nun vertreten sein, die bislang wie im gesamten höheren Management unterrepräsentiert waren bzw. sind. So sind einige Maßnahmen getroffen worden – dennoch müssen noch einige Defizite in der Geschlechtergleichstellung in Angriff genommen werden.