VON CLEMENS POKORNY | 04.09.2015 11:21

Adel: Privilegien durch Erben

Einen Adelstitel zu erwerben ist auch heute noch ein Traum nicht weniger nicht allzu komplex gestrickter Menschen. Zeitschriften und das Fernsehen – auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk – bedienen solche Sehnsüchte. Dabei weist ein deutscher Adelstitel seinen Träger heute mitnichten als besonders verdientes Mitglied der Gesellschaft aus. Im Gegenteil: Viele Familien der Titelträger beuteten die große Mehrheit des Volkes jahrhundertelang aus.


Deutschland ist ein Land der Ungleichheit: bei den Vermögen, bei den Einkommen und infolgedessen auch bei den Bildungschancen. Dazu haben die beiden Weltkriege und insbesondere die aus dem zweiten resultierenden Zerstörungen und Fluchtbewegungen das Ihre beigetragen. Eine weitere Ursache für Chancenungerechtigkeit gibt es auch in anderen Ländern. Sie wird weniger breit diskutiert als die Faktoren Geld und Bildung, und genau um sie soll es hier gehen. Die Rede ist von einem mächtigen Netzwerk, dessen Angehörige schon durch ihren Namen erkennbar sind: vom Adel.

Die Erbenrepublik

Europas letzten sich behauptenden Monarchen jubeln die Massen zu. Dabei arbeiten die Damen und Herren nicht gerade hart für die Länder, die sie repräsentieren. Schärfer formuliert: Sie leisten nichts und leben im Luxus. Auch ihre Vorfahren haben sich nicht immer durch Ehrenhaftigkeit ausgezeichnet. Die Fürsten von Monaco etwa tragen das Verbrechen, das ihnen bis heute Macht sichert, sogar im Wappen: Ein Vorfahre der Grimaldi schlich sich bewaffnet und als Mönch verkleidet in eine Festung am Mittelmeer ein und eroberte sie auf diese hinterhältige Weise. Bis heute befindet sie sich im Besitz seiner Nachfahren.

Doch der eigentliche Skandal, den die Privilegien des Adels bedeuten, liegt darin, dass sie meist nicht gerechtfertigt sind. Der erste Adelige einer Familie kann seine herausragende soziale Position auf moralisch akzeptable oder inakzeptable Weise errungen haben. In jedem Fall aber erbten seine Nachkommen ohne jede Eigenleistung nicht nur sein Vermögen und seine gesellschaftlichen Kontakte, sie trugen auch seinen Namen – bis heute. Wer nämlich ein „von und zu“ ist oder wenigstens „König“ o.ä. heißt, hat erwiesenermaßen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt: Der Wohlklang solcher Namen erhöht den Wert eines Bewerbers, Adelstitel suggerieren Zugang zu „besseren Kreisen“ und damit zu Geld und potentiellen Aufträgen. Personaler erliegen da ihrem Unterbewusstsein genauso wie Grundschullehrerinnen, die bei gleichen Leistungen eher Johannes und Katharina als Kevin und Chantal für das Gymnasium empfehlen.

Diese unverdienten Vorteile haben die Blaublütigen durchaus nicht weltweit. Österreich zum Beispiel schaffte 1919 zusammen mit der Habsburgermonarchie auch sämtliche Adelstitel ab. Freilich ist die Zugehörigkeit zu adeligen Familien oftmals auch in der Alpenrepublik im gesellschaftlichen Bewusstsein geblieben. Und gerade der berühmte Österreicher Herbert (von) Karajan steht beispielhaft für das Festhalten des Adels an von den Vorfahren ererbten Privilegien. Ausgerechnet er, der durch seine Arbeit und sein Genie bereits weltweites Ansehen erworben hatte, drohte, in Österreich nicht aufzutreten, wenn sein „von“ auf Plakaten nicht verwendet würde.

Man kann die Kritik an Adelsprivilegien ebenso als neidisch abtun wie die Forderung nach höheren Vermögens- und Erbschaftssteuern. Fakt ist aber erstens, dass solche Maßnahmen in einer Gesellschaft, in der sich die Schere zwischen Arm und Reich zunehmend öffnet, mehr Chancengerechtigkeit herstellen würden. Und ein Blick in die Geschichte zeigt – zweitens –, dass sich der Adel seine soziale Position jahrhundertelang durch Unterdrückung seiner Untergebenen, also der Vorfahren der allermeisten von uns, sicherte und ausbaute. Bauern schufteten, während die feinen Damen und Herren von deren Arbeit profitierten und „blaublütig“ blieben, also keine von der Sonne gebräunte Haut bekamen, durch die man die Adern kaum mehr hätte sehen können.

Jahrhundertelang blieb Bürgerlichen der Zugang zu höherer Bildung und vielen hohen Positionen in der Gesellschaft verwehrt. Selbst als Nicht-Adelige allmählich in hohe Beamtenpositionen aufsteigen durften, mussten sie dafür eigens nobilitiert werden, denn bis ins 20. Jahrhundert hinein blieben diese den Adeligen vorbehalten.

Bei der Ausbeutung half dem Adel die katholische Kirche. Sie erzog die Menschen von klein auf zum Gehorsam und schrieb ihnen vor, was sie zu glauben hatten. Weil Lesen und Denken die Unbildung des Volkes gefährdet hätten, hielt der Klerus die Leute unwissend und verbot ihnen beispielsweise lange Zeit, die Bibel selbst zu lesen. Sprichwörtlich für das Verhältnis des Adels zum Klerus wurde ja der Satz: „Halte du sie dumm, ich halte sie arm.“

Nach Jahrhunderten der Ausbeutung tritt man also keine Neiddebatte los, wenn man die Adelsprivilegien in Frage stellt. Natürlich gibt es heute längst einen neuen „Adel“, einen Geldadel der Bestverdiener und Millionenerben, die ihre Macht zur dauerhaften Besitzstandswahrung oder besser noch -ausweitung ge- und nicht selten missbrauchen. Doch das ändert nichts daran, dass der Adel seine unverdienten Privilegien behält – wenigstens in Form seiner Titel. Doch auf ein „von“, das ein ferner Vorfahre mit oder ohne echte Leistung erworben hat, kann eigentlich niemand stolz sein.