VON ANGELA SCHWEIZER | 10.04.2015 15:04

Die Erbenrepublik

Das nächste Jahrzehnt gilt in Deutschland als Dekade der Erben. Dies liegt an den beträchtlichen Reichtümern, die die Nachkriegsgeneration in wirtschaftlich paradiesischen Zeiten anhäufen konnte, und die bald weitervererbt werden. Das Institut für Altersvorsorge berechnete, dass im nächsten Jahrzehnt jedes Jahr 250 Milliarden Euro an Privatvermögen an die nächste Generation transferiert werden. Die Gesamtsumme liegt irgendwo zwischen zwei und vier Billionen Euro. Was macht dieser einzigartige Vermögenstransfer mit einer Gesellschaft, in der schon jetzt die Herkunft maßgeblich ist für Wirtschafts- und Bildungserfolg?


Vor nicht allzu langer Zeit saßen sie noch gemeinsam im Vorlesungssaal. Bald darauf kamen die ersten Erfahrungen im Berufsleben. Die Biographien waren ähnlich, auch die Zukunft schien ähnlich gestaltet zu werden. Doch plötzlich konnten sich die gleichen Freundinnen und Freunde Häuser kaufen für eine halbe Million Euro. Was passiert da, wunderte sich die Journalistin und Autorin Julia Friedrichs. Sie fragte nach, und stieß zunächst auf eine Mauer aus Schweigen. In ihrem Buch „Wir Erben. Was Geld mit Menschen macht“, schreibt sie über diesen gesellschaftlichen Tabubereich: denn ist in Deutschland schon wenig über die Reichen bekannt, so wissen wir noch weniger über deren Erben. Das liegt zum einen daran, so die Autorin, dass es für Menschen schwierig sei zuzugeben, dass die Herkunftsfamilie das eigene Leben doch viel mehr vorbestimmt, als es von einem selbst und von der Gesellschaft vermittelt wird. Zum anderen wird in Deutschland keine kontroverse Diskussion übers Erben geführt, wie beispielsweise in USA oder Frankreich. Geerbtes Geld gilt in Deutschland als sehr spezielles Geld, das dem „Clan“ gehört, so die Autorin.

Armut - Alltag in Deutschland

Die geheime Luxusklasse der Erben

Die Nachkriegsgeneration konnte in Zeiten des Friedens und wirtschaftlichen Wachstums große Vermögen anhäufen. Daher und durch die geringe Besteuerung von Kapital sind die Privatvermögen in Deutschland heute auf einem historischen Höhepunkt: Insgesamt belaufen sie sich auf rund zehn Billionen Euro, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Der Haken: Das Geld ist extrem ungleich verteilt. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung besitzen die reichsten zehn Prozent in Deutschland zwischen 63% - 74% des Privatvermögens. Dies legt den Schluss nahe, dass sich Deutschland in der Zukunft in eine Erbenrepublik verwandeln wird, in der die Hälfte gar nichts oder schlimmstenfalls Schulden erben wird, während über 40 Prozent des gesamten deutschen Vermögens an nur acht Prozent der Bevölkerung vererbt werden. Obwohl bereits im vergangenen Jahr 250 Milliarden Euro vererbt wurden, nahm der Staat nur etwa 5,5 Milliarden Erbschaftssteuer ein, was einer Steuerquote von zwei Prozent entspricht. Ist Deutschland eine Steueroase für Erben?

Die Erben und der Rest von uns

Was macht dieser einzigartige Vermögenstransfer mit unserer Gesellschaft? Er wird Deutschland verändern, soviel steht fest. „Erbschaften werden über Glück und Unglück einer Generation entscheiden – ganz so, als lebten wir wieder im 19. Jahrhundert “, so die Autorin. Der Kern der entstandenen Ungleichheit besteht darin, dass Arbeit viel stärker besteuert wird als Vermögen oder Erbe. So entstand ein riesiges Ungleichgewicht, welches die ganze Gesellschaft ins Wanken bringt. Erstmalig waren in Deutschland im letzten Jahr die Erträge auf Kapital höher als die Erträge auf Arbeit, was sich in den nächsten Jahren wiederholen wird. Schon jetzt ist der Unterschied zwischen Superreichen und Habenichtsen in keinem anderen europäischen Land so ausgeprägt wie in Deutschland. Ausgerechnet im Land der Erfinder der sozialen Marktwirtschaft.