VON NORA GRAF | 27.01.2015 12:42

Orwellsche Medizin à la „1984“? Über die neue elektronische Gesundheitskarte

Seit Anfang 2015 gibt es sie, die elektronische Gesundheitskarte (eGK), und das verbindlich für alle. Man hört erstaunlich wenig darüber, zumindest scheint es nur wenig Protest zu geben. Gerade in Zeiten von NSA, Google und der Vorratsdatenspeicherung, lässt einen ein solcher Vorstoß doch aufhorchen. Sind wir alle schon so daran gewöhnt immer mehr von uns preisgeben zu müssen? Oder ist die eGK eigentlich gar nicht so schlimm, nur zum Vorteil aller und die negativen Seiten kann man als Verbraucher daher auch vernachlässigen?


Seit dem 1. Januar 2015 gilt die neue Krankenversicherungskarte, auch wenn die alten Karten ein längeres Gültigkeitsdatum besitzen. Darauf haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und der GKV-Spitzenverband geeinigt. Das Ziel der eGK ist es den Datenaustausch zwischen Ärzten, Kliniken und Apotheken zu verbessern, um beispielsweise Wechselwirkungen von Medikamenten zu vermeiden. Auf der Karte sind nur Stammdaten wie Name, Anschrift, Versicherungsnummer, Angaben zur Krankenkasse sowie zu Versicherungs- und Zuzahlungsstatus gespeichert, und nicht, wie manchmal fälschlicherweise angenommen, weitere Krankheitsdaten. Diese werden über spezielle Systeme gespeichert.

Zukünftig sollen also die Patientenakten und Arztbriefe problemlos weitergegeben werden, aber auch nur, wenn der Patient dem zustimmt. Der Patient dürfe selbst darüber verfügen, wer welche seiner Patientendaten und in welchem Umfang speichert. Er muss dann – wie bei einer Bankkarte – eine Kennzahl eingeben, um seine Daten frei zu geben, so dass die Informationen von einem Apotheker oder Arzt gelesen werden können. In Zukunft können auch Notfalldaten in die elektronische Behandlungsakte eingegeben werden. Behandelnde Ärzte erhalten somit wichtige Informationen über ihre Patienten. In einer Notfallsituation kann das Leben retten.

Compliance

Das Problem der Datensicherheit

Kritiker jedoch haben Bedenken, wegen der Sammlung der Daten auf externen Speichersystemen. Schon allein die Tatsache, dass die Einführung der elektronischen Karte neun Jahre gedauert hat – geplant war dies nämlich schon 2006 – zeigt, dass das ganze Projekt doch nicht ganz einfach umzusetzen ist. Und das liegt vor allem an dem IT-System, das rund um die eGK besteht. Denn auch wenn die Patienten zustimmen müssen, ob bestimmte Daten weiter gegeben werden können, werden die Daten erst einmal gesammelt. Und – wie vielerorts befürchtet – kann damit auch Missbrauch getrieben werden. Gerade, wenn persönliche und sensible Krankheitsdaten in die falschen Hände gelangen. Auch wenn sich das System derzeit noch in der Testphase befindet, funktioniert es in etwa folgendermaßen: Die medizinischen und Sozialdaten werden vom Arzt eingegeben, über das Internet übertragen und in zwei bis drei Rechenzentren gesammelt und gespeichert.

Durch die sogenannte Telematik-Infrastruktur (d.h. verschiedene IT-Systeme, die Daten aus unterschiedlichen Quellen miteinander vernetzen) „entsteht eine undemokratische Machtfülle, die einzigartige Gefahren und Optionen für die Zukunft bereithält“, so der IT-Experte Rolf Lenkewitz. Gerade die Verbindung der Praxiscomputer mit dem Internet ist bisher wenig ausgereift. Auf die Router könnte von außen zugegriffen werden – auch von Unbefugten. Somit sind auch die Daten, die vertraulich bei den jeweiligen Ärzten liegen, nicht sicher. Und auch wenn Politiker beteuern, dass die hochsensiblen Daten verschlüsselt werden, halten Skeptiker dagegen, dass diese Verschlüsselungsverfahren früher oder später geknackt werden können.

Totalitarismus der Transparenz?

Es ist verständlich, dass man versucht bestimmte Prozesse und Verfahren in einer Gesellschaft zu optimieren, doch muss man sich auch immer vor Augen halten zu welchem Preis und wer davon profitieren könnte. Vor allem sehen Kritiker einen grundsätzlichen Verlust an Demokratie: Denn der Bürger kann sich der neuen Karte nicht entziehen, er hat keine Wahl, sondern wird gezwungen mitzumachen, ohne dass ihm oder den Ärzten eine Alternative geboten wird. Es bleibt abzuwarten, ob ein weiterer Schritt in Richtung gläserner Patient und Bürger die erhofften Verbesserungen aufwiegen wird.