VON MAXIMILIAN REICHLIN
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29.11.2015 13:45
Das Konzept Finanzkooperative – Geld, das allen gehört
Sogenannte Finanzkooperativen haben es sich zum Ziel gesetzt, eine alternative Art des Geldverdienens und -ausgebens zu erproben. Mit gemeinsam verwalteten Pools, in die alle Mitglieder einzahlen und aus denen alle gleichermaßen schöpfen können, erfinden Sie die private Geldwirtschaft völlig neu. Vertrauen, Transparenz und eine gesunde Portion Kapitalismuskritik sind die Grundlagen einer solchen Kooperative. Wie funktioniert das? Was bringt das? UNI.DE hat sich die Sache angesehen.
Stell dir vor, dein Konto wäre nicht mehr dein Konto. Stell dir vor, nicht nur du hättest eine Karte für den Geldautomaten, sondern zusätzlich noch sechs oder sieben andere Menschen, die alle aus den gleichen Rücklagen schöpfen. Stell dir vor, dein ganzes Gehalt fließt in einen großen Topf, aus dem all deine Freunde sich bedienen können. Unmöglich? Nicht ganz. Das Konzept heißt Finanzkooperative und findet in Deutschland bereits Anwendung. Menschen teilen sich zusammen ein einziges Konto, zahlen gemeinsam ein und geben gemeinsam aus.
Die Finanzkooperative in der Realität: Eine ehemalige WG geht mit gutem Beispiel voran
Damit lösen sich die Mitglieder von der Idee des kapitalistischen Wirtschaftens. Nicht auf den Reichtum der oder des Einzelnen zielt die Idee ab, sondern auf den Erhalt und die Förderung der kleinen Gemeinschaft. Da alles allen gehört, müssen auch alle dafür Sorge tragen, dass das Geld sinnvoll genutzt wird und niemand zu viel oder zu wenig bekommt. Man kennt diese Vorgehensweise von Experimenten wie dem Cohousing. Anders als Ökodörfer oder Aussteiger-Kommunen steht eine Finanzkooperative allerdings mitten im Leben. Die Mitglieder wohnen in der Stadt, haben Familien und feste Jobs. Wie viele solcher Verbände bereits existieren ist nicht ganz klar, es gibt keine Datenbank für so etwas.
Sicher ist nur: Es funktioniert, so verrückt es auch klingen mag. Schon Anfang 2006 berichtete die taz über eine WG aus Marburg, die sich im Laufe der Jahre zu einer Finanzkooperative entwickelt hat. Heute, fast zehn Jahre später, existiert die Koop immer noch, obwohl es die WG in Marburg schon lange nicht mehr gibt. Mittlerweile leben die Mitglieder alle in unterschiedlichen Teilen Deutschlands. Nur alle sechs bis acht Wochen treffen sie sich, um größere Ausgaben zu diskutieren und Bilanz zu ziehen. Dabei leisten bei weitem nicht alle den gleichen Beitrag. Das eine Mitglied verdient mehr, das andere weniger. Ein drittes ist möglicherweise gerade auf Jobsuche und kann gar kein Geld einzahlen.
Das Bedingungslose Grundeinkommen
Jeden Monat 1000 Euro auf dem Konto, ohne etwas dafür zu tun? Utopisches Wunschdenken, oder realistische Gesellschaftsform?
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Das Wirtschaften in der Finanzkooperative kostet Vertrauen, öffnet aber auch neue Wege
Dass ein solches Konzept über so viele Jahre stabil bleibt, hat natürlich viel mit Vertrauen zu tun. Die Basis des Ganzen ist aber wohl in erster Linie eine gepflegte antikapitalistische Grundeinstellung. Hier kann niemand sagen: „Das gehört mir und ich entscheide, was ich damit mache!“ Vielmehr entscheiden alle gemeinsam, was wann mit welchem Geld angeschafft wird. Man könnte auch sagen, Finanzkooperativen seien gelebte Kapitalismuskritik auf privater Ebene. Die Kommune der 60er-Jahre wird neu erfunden: Statt zusammen zu leben und zu arbeiten, verdient und wirtschaftet die Finanzkooperative gemeinsam.
Das bedeutet nicht, dass die Mitglieder einer Finanzkooperative radikal sparsam sein müssen, im Gegenteil. Die Sicherheit des gemeinsam verwalteten Geldes
kann völlig neue Perspektiven eröffnen: Da setzen einzelne Mitglieder Geschäftsideen um, die sie wahrscheinlich niemals angegangen wären, wenn sie nicht die Gemeinschaft im Rücken gehabt hätten. Da leistet sich die überarbeitete Ärztin ein paar Wochen unbezahlten Urlaub. Da kann sich der junge Student endlich den neuen Computer leisten – selbst wenn er am wenigsten in die Gemeinschaftskasse einzahlt.
Das Überwinden von Problem führt zum wirtschaftlichen Umdenken,
denn die Mitglieder einer Finanzkooperative sind keine Geschäftspartner, kein e.V., keine GmbH. Es sind Freundschaften, die einen alternativen Umgang mit Geld und Besitz anstreben. Wünsche werden transparent kommuniziert, Entscheidungen zusammen getroffen und die eigene Einstellung zu Geld und Konsum ständig hinterfragt. Manchmal gibt es auch Streit. Etwa, wenn ökologisch eingestellte Mitglieder dagegen sind, dass das gemeinsame Geld für klimaschädliche Flugreisen ausgegeben wird. Oder wenn die Frage aufkommt, ob es statt der teuren Markenjacke nicht auch ein Teil von der Stange tut.
Nicht unwahrscheinlich, dass schon die eine oder andere Finanzkooperative an solchen Problemen zerbrochen ist. Deswegen sind manche Konzepte deutlich dogmatischer als andere, legen strenge Regeln fest, diskutieren verbindliche Obergrenzen für einzelne Ausgaben – und scheitern am Ende vielleicht doch. Doch das Beispiel der Marburger WG zeigt, dass diese innovative und alternative Art der Geldverwaltung funktionieren kann, wenn alle Mitglieder an einem Strang ziehen. Das ist mehr als ein Experiment, das ist mehr als eine fixe Idee. Das ist die Bekämpfung des Problems sozialer und finanzieller Ungleichheit, zumindest im Kleinen. Und vielleicht ein großer Schritt in die richtige Richtung.