VON SUSANNE BREM | 16.01.2017 13:24

Fake News: Die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge

Der Vorwurf der Fake News (früher noch schlicht „Ente“ genannt) kommt mittlerweile bei beinahe allen großen Themen in der Berichterstattung rund um Politik und Weltgeschehen auf. Um dem Problem der Manipulation zu begegnen, hat die EU deshalb Anfang 2016 gemeinsam mit den amerikanischen Social Media-Riesen einen Verhaltenskodex beschlossen: Digitale Hasskommentare sollen konsequenter und schneller verfolgt und mit stärkeren Sanktionen bestraft werden. Ist das notwendig? Ist das umsetzbar? Und: Sollte es überhaupt umgesetzt werden?



Bundesjustizminister Heiko Maas spricht sich für eine strengere Verfolgung und Ahndung von diffamierenden Fehlinformationen aus. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz stößt in dieselbe Richtung und kritisiert, dass mithilfe wissentlich platzierter Falschmeldungen Persönlichkeitsrechte verletzt würden. Maas wie auch andere Personen der Politik schießen dabei v. a. gegen die Sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Youtube. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, wittert gerade im Internet zu viele, „die destabilisieren wollen, die falsche Meinungen verbreiten, die manipulieren wollen“. Ihm schlug nach seinen Aussagen allerdings viel Kritik entgegen: destabilisieren? Falsche Meinungen?

Das Veröffentlichen von persönlichen Statements bis hin zu Hetz- oder auch fatalen Falschnachrichten funktioniert gerade im World Wide Web schnell, einfach und mit potentiell riesiger Reichweite. Der Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder sieht die geforderte Kontrolle entsprechender Nachrichten allerdings als übertrieben und gar heikel an; er fürchtet ein „Zensurmonster“. Denn persönliche Angriffe und Diffamierungen seien bereits verboten, ihre strafrechtliche Verfolgung habe bereits eine Grundlage. Davon abzugrenzen sind jedoch uneindeutige und „Mischfälle“, z. B. wenn Äußerungen aus ihrem Kontext genommen und so verbreitet werden oder wenn, selbst nur im Ansatz, Meinungen enthalten sind. Solches kann in einer Demokratie nicht einfach gelöscht werden, auch wenn die Inhalte für so manchen unangenehm sein mögen und er um seinen Ruf bangt.

Die Wirkungsmacht von Fake News

Heise.de schiebt diese Offensive auf den Vorwahlkampf (im Herbst steht die Bundestagswahl an): Eine für die eigene Person oder Partei negative Beeinflussung der Bevölkerung soll nun wohl besonders tunlichst vermieden werden. Dabei ist die Macht der klassischen Leitmedien nicht geringer, genießen etablierte Zeitungen doch den Ruf von Seriosität und Verlässlichkeit. Schließlich kann hier nicht „jeder“ „Nachrichten machen“ und verbreiten. Hinterfragen Lesende jedoch deshalb auch weniger streng? Immerhin: Als wahr angepriesene Fehlinformationen sind an dieser Stelle auch umso gravierender.

2003 etwa unterbreitete Colin Powell, damaliger amerikanischer Außenminister, dem UN-Sicherheitsrat Beweise für Massenvernichtungswaffen, die der Irak im Geheimen gehalten haben soll. Dieser scheinbare Fakt sollte zur Rechtfertigung des Zweiten Irakkriegs genutzt werden. Dass verlässliche Quellen für einen Bio- und Atomwaffenbestand im Irak fehlten, wurde zunächst unter den Tisch gekehrt. Infolge der Berichterstattung in Radio und Fernsehen konnte so jedoch in der US-Bevölkerung Legitimation für einen angeblich notwendigen kriegerischen Akt gegen den Irak abgeschöpft werden – in Misstrauen und Angst gegenüber dem möglichen Feind vereint es sich schließlich leichter. In Reichweite und dem Potenzial zu fatalen Folgen stehen klassische Medien den sozialen also in nichts nach.

Der Mensch in der "Filter Bubble"

Wer weiß, was wahr ist?

Was zuerst nach einer lebenswissenschaftlichen Frage klingt, ist zentral für die Fake News-Zensur-Debatte: Was ist die Wahrheit? Wann wird etwas als Wahrheit akzeptiert? Die Antwort lautet nicht: durch Fakten, durch nachvollziehbare, wissenschaftliche Belege. Ihre Anerkennung und Legitimation finden Wahrheiten durch die Menschen, denen sie vorgelegt werden. Derjenige verbreitet Meldungen als „wahr“ weiter, der sie für genau das hält: für wahr. Das können einzelne Privatpersonen sein, aber auch Politiker oder Vertreter großer Medienhäuser. Der Überbringer einer Nachricht besiegelt also noch nicht ihren Wahrheitsgehalt – wie man am Beispiel der US und des Zweiten Irakkriegs sieht.

Rohleders „Zensurmonster“ könnte sich in der von Teilen der Politik geforderten „Rechtsschutzstelle für soziale Netzwerke“ wiederfinden: Wo keine klare Definition und Grenzziehung zwischen Diffamierung und meinungsgefärbtem Kommentar möglich ist, zwischen Unwahrheit und Informationen, die aus ihrem Kontext gelöst wurden – dort ist Zensur nicht weit und die Meinungsfreiheit in Gefahr. Ein offizielles „Ministerium“, das über die zu geltenden Wahrheiten entscheidet und gegen Übriges vorgeht, würde dann bedeuten, dass die „Wahrheit“ von Einzelnen für Andere definiert und bestimmt wird. Angefangen bei Hasskommentaren, deren klare Abgrenzung ebenfalls vage ist, kann dies den fließenden Übergang bedeuten zur Löschung von aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten mit meinungsgefärbten Kommentaren. Eine Rechtsschutzstelle nähme dem Einzelnen die Entscheidung aus der Hand, was legitim und „verbreitbar“ ist und was nicht - aber nicht, was „wahr“ ist und was nicht. Das wäre das „Zensurmonster“.