VON ANNABELLA MARTINZ | 02.06.2017 13:51

Mit bestem Wissen und Gewissen lügen

Lügen ist eine Strategie, ein Mittel, um etwas zu erreichen oder etwas Unangenehmem aus dem Weg zu gehen. Doch was hat das mit Politik zu tun? „Politische Kommunikation ist – das hat sich herumgesprochen – strategische Kommunikation, die darauf zielt, im Wettbewerb um Stimmen und Macht Punkte zu sammeln.“, meint Stefan Marschall in der Zeit Online. Und um die eigenen, in dem Fall politischen und oder parteilichen Interessen durchzusetzen, wird gelogen.

Auf den ersten Blick hört sich das etwas Befremdlich und nicht gerade wie ein wünschenswerter Zustand an. Umfragen aus dem Herbst 2016 zeigen, dass 64% der Bevölkerung politischen Parteien eher nicht vertraut. Immerhin ist die Zahl verglichen zum Frühjahr 2016 um 8% gesunken, ein positiver Wert, könnte man sagen. Doch anders ausgedrückt misstrauen fast 2/3 der Bevölkerung den aktuellen politischen Parteien. Kein guter Wert für eine demokratische Regierung, wo doch die Macht vom Volke ausgehen sollte und dieses nun mal durch die Parteien repräsentiert wird.

„Vertrauen kann nur durch Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit erreicht werden.“, schreibt Utz Schliesky in der Süddeutschen Zeitung. Doch könnte man den Politikerinnen und Politikern vertrauen, wenn offensichtlich wäre, dass sie manche Probleme nicht lösen können? Würde man dann nicht, ganz im Gegenteil, das Vertrauen und den Glauben an sie verlieren?

Grundsätzlich kann niemand, außer unter Eid, dafür bestraft werden, die Unwahrheit zu sagen, das gilt auch für die Politik. Doch das Volk sollte erwarten werden können, dass gewisse Personengruppen die Wahrheit sagen und glaubwürdig sind, vor allem dann, wenn sie das Volk repräsentieren. Würde man jede Behauptung auf ihre Richtigkeit überprüfen, würde man wahrscheinlich nie fertig werden. Deshalb brauchen wir glaubwürdige Quellen. Doch wie schon im Wortstamm versteckt ist: Der Glaube, etwas Irrationales, ein Gefühl, das auf Vertrauen basiert. Und Vertrauen ist ein elementarer Grundbaustein der repräsentativen Demokratie.

Wie viel Wahrheit in den Aussagen der deutschen Politiker/-innen steckt, haben Studierende einer Kölner Hochschule analysiert. Ihr Projekt „Faktenzoom“ ist zwar keine repräsentative Studie, kann aber dennoch als interessanter Punkt in die Diskussion einfließen.

Die Studierenden analysierten in einem Zeitraum von vier Monaten die Aussagen, die von ausgewählten Politikern/-innen in den Polit-Shows „Maischberger“, „Maybrit Illner“, „Anne Will“ und „Hart aber Fair“ getroffen wurden, und zwar auf ihren Wahrheitsgehalt.

Frauke Petry von der AfD dürfte mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden gewesen sein. Rund 26,3 Prozent ihrer Aussagen wurden als falsch/überwiegend falsch ausgewertet. Gefolgt von Markus Söder von der CSU mit 21,9 Prozent.

Das Propaganda-Dreieck

Wie kommt es also dazu, dass Personen des öffentlichen Interesses lügen?

Der Soziologe Armin Nassehi nennt die Lüge ein erfolgsversprechendes Machtinstrument. In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur geht er darauf ein, wie erschreckend – oder erstaunlich – es ist, wenn Politiker wie Donald Trump in aller Öffentlichkeit die Unwahrheit sagen. Und es geht vorrangig nicht einmal um die Tatsache, dass eine Lüge ausgesprochen wird. Noch viel interessanter ist, dass Politiker (in diesem Falle Trump) eine solche Machtposition innehaben, dass es irrelevant zu sein scheint, ob das Gesprochene die Wahrheit ist. Vielmehr sollen Vertrauen, Glauben und Gefühl transportiert werden. Mit welchen Mitteln das geschieht und dass Fakten durch Meinungen und Tatsachenbehauptungen ersetzt werden, spielt nur noch nachrangig eine Rolle.

Die Behauptungen, die in den Raum gestellt werden, ohne dass sie validiert, geschweige denn falsifiziert werden können, sind auf Gefühlsebene einfacher, kürzer und simpler zu transportieren als die Wahrheit: Und gleichzeitig scheinen sie das Geheimrezept des Populismus zu sein.

An diesem Punkt beißt sich die Katze selbst in den Schwanz. Was ist schon Lüge und was ist die Wahrheit? Die eine allmächtige Wahrheit ist kaum zu finden, wo es zu jedem Thema Experten, Meinungen und Perspektiven aus verschiedenen Disziplinen gibt. Leider ist es schwierig geworden, die „richtigen“ Experten von den schwarzen Schafen zu unterscheiden. Denn wenn sogar der amerikanische Präsident offensichtlich Lügen erzählt, die nachweislich keinen Funken Wahrheit beinhalten und auch die deutschen Politiker einen Hang zum Postfaktizismus haben, kann man nur froh sein, dass Gewaltenteilung herrscht und schließlich die Macht von der Mehrheit ausgeht. Der Mehrheit, die sich hoffentlich nicht blenden lässt.

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