VON SUSANNE BREM | 07.06.2017 13:18

Methodische Wahrheitsfindung? Ein Blick auf die Dialektik

Die Dialektik gilt grundlegend meist als Methode oder Disziplin, die „die Wahrheitsfindung“ als Ziel hat; das funktioniert mithilfe eines Gesprächs, das das Für und Wider einer Sache oder These beleuchtet, diskutiert und (in einem späteren Begriffsverständnis) auch in einen neuen, übergreifenden Zusammenhang stellt. Durch eine solche Unterredung soll ein neues Verständnis der Dinge entwickelt und fortgeführt werden, um so Schritt für Schritt einer umfassenden Wahrheit der Welt und des Seins auf die Spur zu kommen. Ein kurzer Begriffsüberblick



Der Begriff der Dialektik stammt vom griechischen „dialekté“, der Kunst der Unterredung. Erstmals nachgewiesen in Platons Schriften entstanden mit der Zeit verschiedene Auffassungen und Erklärungen dessen, was Dialektik ist, was sie will und was sie kann (oder auch nicht kann). Die antike Philosophie erfasst die Dialektik als eine Disziplin, die als Frage-Antwort-Dialog funktioniert mit dem Ziel, Wissen zu erwerben und zu überprüfen: Festgestellte Prämissen werden argumentativ betrachtet, diskutiert und final bestätigt oder widerlegt. Das grundlegende Vorgehen folgt also logischen Prinzipien. Für Platon ist es die „Wissenschaft von dem wahrhaft Seienden“, also den ursprünglichen „Ideen“, da sie Wahrheit finden will.

Als rhetorisches Analysemittel wandelt es sich im 18. Jahrhundert zur Lehre von den Gegensätzen; der Widerspruch zwischen Dingen rückt in den Fokus. Die Dialektik will dann diese Gegensätze erkennen und aufheben. Verknappt beschreibt dieses Verständnis einen Diskurs, der aus einer These (z. B. einer Idee oder Überzeugung) besteht, einer ihr entgegen gesetzten Antithese und einem finalen neuen fusionierten Verständnis beider in der Synthese.

Hegels Dialektik mit dreifacher Synthese

Diese dreiteilige Grundstruktur deckt sich z. B. mit Hegels Dialektik. Auch er sieht zuerst eine gültige Feststellung als These, dann eine antithetische Verneinung dessen und zuletzt eine „Aufhebung“ dieses Widerspruchs in der Synthese. Die Aufhebung bedeutet bei ihm ein Auflösen des Gegensatzes, gleichzeitig aber auch sein Erhalt und zusätzlich ein Anheben oder Transferieren auf eine neue, höher gelagerte Ebene – einem größeren Zusammenhang, in dem These und Antithese weiterhin im Widerspruch, aber auch in Versöhnung bestehen und infolge dessen ein neues Verständnis der Dinge ermöglichen. Wenn die Synthese stets erneut als These herangenommen und mit einer Antithese konfrontiert wird, kann der dialektische Prozess unendlich fortgeführt werden, bis die Dinge in einen sehr weiten, alles umfassenden Zusammenhang gebracht sind – der Wahrheit. In diesem Sinne bedeutet Dialektik, dass Wahrheit nicht einfach existiert und feststeht, sondern prozesshaft ist und Entwicklung unterliegt und bedarf. Sie verändert sich mit der Zeit und ist geschichtlich. Einzelne Abschnitte und Thesen sind demnach nie die „Wahrheit“, sondern nur in ihrer Summe und Verwobenheit.

Geisteswissenschaften: Nutzlos und hinfällig?

Kritische Sichtweisen auf die Dialektik (Hegels)

Hegel knüpft damit an Kants transzendentale Dialektik an, die sich jedoch einer solchen entgegenstellt, die rein mit formaler Logik arbeitet (wie Hegel später). Laut Kant produziere dieses „Blendwerk“ lediglich Antinomien (wie Paradoxa). Diese Antinomien möchte Hegel gerade dialektisch aufheben und auf einer höheren Ebene vereinen. Dieses Ziel findet häufige Kritik: Adorno entwickelt darauf bezogen z. B. im 20. Jahrhundert seine „negative Dialektik“, die nicht mehr danach strebt, Widersprüche auf höherer Ebene zu vereinen, sondern sie unverträglich nebeneinander koexistieren zu lassen. Das Wissen um die Gegensätze ist für ihn zentraler als eine alles einende Synthese zu erarbeiten. Auch Marx und Engels, ursprünglich Hegel-Anhänger, entwickeln in Abgrenzung zu Hegel eine materialistische Dialektik, in der sich die materielle Welt dialektisch entfaltet und dadurch erst auch unser Denken (bei Hegel umgekehrt). Gegensätze bleiben hier als „Triebkraft der Entwicklung“ ebenfalls unversöhnt in der materiellen Welt.

Teils wird die Dialektik als generelle Methode abgelehnt; Popper z. B. stößt sich an der Absolutheit, die Hegels Dialektikbegriff in Bezug auf Wahrheit ausmacht. Er plädiert stattdessen für das „trial and error“-Verfahren: Dabei wird von einer Prämisse oder einem Phänomen ausgehend deren Erklärung versucht und im nächsten Schritt aber genau dieser Prozess direkt auf Fehler oder Ungereimtheiten geprüft. Darauf basierend wird eine neue Erklärung gewagt, die wiederum direkt auf Fehler geprüft wird usw. Für Poppers ist also lediglich ein fortlaufendes Annähern an die Wahrheit durch konstante und immer diffizilere Fehlerkorrektur möglich. Eine absolute Wahrheit ist in seiner Dialektik unerreichbar. Einzig, was alle Begriffe verbindet: ihr prozesshafter Charakter.