VON CLEMENS POKORNY | 20.01.2014 12:47

Die amerikanisch-amerikanische Grenze

Die Grenze zwischen den USA und Mexiko gleicht auf über einem Drittel ihrer Länge der Berliner Mauer: Meterhohe Zäune und bewaffnete US-Wachmannschaften sichern sie und geben immer wieder tödliche Schüsse auf illegale Immigranten ab. Der Grenzzaun schafft nur Probleme, während die USA von der Armutsimmigration profitieren. Trotzdem wollen die Verantwortlichen derzeit nichts an dieser Lage ändern.

Ein hunderte Kilometer langer Zaun mit Patrouillen und illegalen Grenzgängern, von Soldaten erschossen, die für ihre Taten nie verurteilt werden: Deutsche kennen diese Zustände aus der eigenen jüngeren Vergangenheit. Doch zwischen den USA und Mexiko sieht die Realität noch heute so aus. Dabei richten sich die Grenzanlagen nicht in erster Linie gegen Armutsmigration von Mexikanern. Das wäre auch ökonomisch unsinnig, ist die US-amerikanische Grenzregion doch auf die billigeren Arbeitskräfte aus dem Süden angewiesen. Vielmehr betrachten die Vereinigten Staaten Mexiko als einen Puffer gegen Immigration aus südlicheren Ländern Mittel- und Südamerikas. Die Mexikaner, die an der Grenze leben, fühlen sich – wie Einheimische selbst berichten – allerdings ihrem Land besonders verbunden, wehren sich mehr als ihre Landsleute weiter im Süden gegen die Amerikanisierung ihres Lebens. Die meisten Mexikaner finden freilich in der Wirtschaft der USA einen Ausweg aus ihrer Armut, die 70% von ihnen betrifft. Jedes Jahr wandern ca. 350.000 Menschen illegal über die mexikanische Grenze in die USA ein, die spanischsprachige Bevölkerung im US-amerikanischen Grenzgebiet wächst fünfmal so schnell wie die anglo-amerikanische. Die Devisen, die in den USA arbeitende Mexikaner erwirtschaften, bilden den zweitgrößten Posten in der Außenhandelsbilanz Mexikos. Doch auch Uncle Sam profitiert vom südlichen Nachbarn, vornehmlich als Absatzmarkt für seine Produkte.

Der "Protect America Act"

Obwohl die allermeisten jährlich ca. 250 Millionen Grenzüberquerungen (Weltrekord!) legal sind, beschlossen die USA im Jahr 2006, den schon bestehenden Grenzzaun zu Mexiko auf über ein Drittel (1125 Kilometer) der Gesamtlänge (3144 Kilometer) auszudehnen. Offiziell wird das u.a. damit begründet, dass Mexiko zu wenig gegen illegale Einwanderung insbesondere von Terroristen unternehme und der schwunghafte Rauschgifthandel unterbunden werden müsse. Kritiker halten dem entgegen, dass Terroristen meist auf anderen Wegen in die USA einreisten, wenn sie nicht ohnehin einheimisch seien, und dass der Drogenschmuggel gewöhnlich über Flugzeuge laufe. Bis heute gibt es zwischen den beiden Ländern keine Verträge zu Themen wie Umweltpolitik oder eben Migration. Stattdessen wird die Grenze von Polizei und Militär gesichert, wenn auch nicht so lückenlos wie etwa an der Berliner Mauer oder an der Eisernen Mauer zwischen Israel und dem Westjordanland. Doch in den USA wird schneller geschossen: Alleine zwischen 1994 und 2002, also vor der Verlängerung des Grenzzauns, waren rund 2000 Todesopfer unter illegalen Einreisewilligen zu beklagen – fast dreimal so viel wie in 28 Jahren Berliner Mauer –, wenngleich nicht alle davon auf das Konto der Sicherheitskräfte gehen. Für den Zeitraum 2007 bis 2012 sind mindestens zehn Fälle bekannt, in denen US-amerikanische Sicherheitskräfte unbefugt über die Grenze geschossen und dabei sechs Mexikaner getötet haben sollen. Die verantwortlichen Beamten wurden in keinem der Fälle strafrechtlich verurteilt.

Binationale Abkommen könnten nicht nur diese Todesopfer künftig vermeiden helfen, sondern die Einwanderung im Sinne aller Beteiligter regeln. Jenseits dieser Fragen stehen natürlich Erwägungen, wie der strukturellen Armut in vielen mittel- und südamerikanischen Ländern begegnet werden könnte. Solange sich aber die USA und Mexiko nicht einmal auf ein Abkommen über die Migration an ihrer gemeinsamen Grenze einigen können, bleiben auch die skizzierten Probleme ungelöst.