VON ALEXANDER STIEHLE | 22.07.2013 15:13

Die USA – Macht und Willkür

We the People“ – So beginnt das amerikanische Gründungsdokument, womit eine neue Union konstituiert wurde. In dieser Demokratie sollten Freiheit und Gerechtigkeit die Leitsterne politischen Handelns sein. Die beiden Whistleblower Bradley Manning und Edward Snowden hatten der Welt gezeigt, dass diese Ideale mittlerweile eine pervertierte Ambivalenz erfahren haben: Freiheit und Gerechtigkeit wurden gegen Macht und Willkür eingetauscht.

Der 11. September hatte eine epochale Wirkung auf das Selbstverständnis der USA: Die unangreifbare Supermacht wurde innerhalb der eigenen Grenzen schwer getroffen und der Terror hatte sein Ziel erreicht: Die USA legte die Freiheit ab. Seitdem greift eine stetige Terrorangst um sich. Was hatte das zur Folge? Eine Radikalisierung des Kongresses, der Rechtsstaat verlor seine Grenzen, die Bürgergesellschaft verstummte und ein krakenartiges Netz aus Cyberüberwachung wurde im Geheimen ins Leben gerufen.

Die Grundrechte - Recht für Jedermann

David gegen Goliath

Edward Snowden führte der Welt vor Augen, dass der Informationswahn der USA keine Grenzen mehr kennt. Der US – amerikanische Auslandsgeheimdienst ist bestrebt jegliche digitalen Informationen abzufangen und auszuwerten. Die Grundlage für das Prism – Programm schafft der „Protect America Act“, der es den Behörden erlaubt mit einer unspezifischen Erlaubnis Daten zu sammeln. Seit 2001, nach 09/11, wurde dieses Gesetz stets erweitert und aufgeweicht. Dank Snowden weiß heute die internationale Gemeinschaft um ihre digitale Durchsichtigkeit. Snowden mag gegen das amerikanische Gesetz verstoßen haben, doch nur um noch größeres Unrecht aufzudecken – und wird dafür gejagt.

Was Snowden blühen könnte, wenn die USA ihn zu fassen kriegen, zeigt der Fall um Manning: Bradley Manning, Angehöriger der US – Streitkräfte, wurde im Mai 2010 unter dem Verdacht verhaftet, Dokumente an WikiLeaks weitergegeben zu haben. Der Inhalt dieser Dokumente war äußerst brisant: Darin enthalten war das von WikiLeaks betitelte Video „Collateral Murder“, in dem der Beschuss von irakischen Zivilisten und Journalisten zu sehen ist. Außerdem werden darin 303 Fälle von Folter durch ausländische Einheiten im Irak im Jahre 2010 dokumentiert.

Mannigs Haftbedingungen waren katastrophal: Er befand sich in Einzelhaft, musste sich 23 Stunden am Tag in seiner Zelle aufhalten. Ihm wurde ohne Erklärung seine Kleidung abgenommen und er wurde gezwungen sieben Stunden lang nackt in seiner Zelle auszuharren. Dann habe er nackt vor seiner Zelle antreten müssen. Das Ganze wurde öfters wiederholt. Erst auf öffentlichen Druck hin wurden die Haftbedingungen gelockert. Der Prozess gegen Manning begann am 3. Juni 2013. Es ist anzunehmen, dass Snowden ein nicht minder schweres Schicksal droht. Er könnte zu Jahrzehnte langer Haft, wenn nicht sogar zum Tode verurteilt werden. Wobei Letzteres eher unwahrscheinlich ist, weil der internationale Aufschrei immens wäre.

Muss nun Snowden immer in der Angst leben vom NSA im Geheimen ermordet zu werden, wenn er in einem Land Asyl findet? Er hat Vorkehrungen getroffen: Snowden hat verschlüsselte Dateien an mehrere Personen auf der ganzen Welt verteilt. Sobald ihm etwas passiert werden die Dateien freigeschaltet. Die Wahrheit kommt also ans Licht, egal was passiert.

Die Glaubwürdigkeit der USA hat in diesen Tagen einen schweren Bruch erlitten. Wie kann es sein, dass ein demokratischer Rechtstaat zu solchen Mitteln greift? Damit erfährt auch die stets kritisierte chinesische Politik zweifelhafte Legitimation. Die „South China Morning Post“ schreibt:

„Die US – Amerikaner verstehen sich als leuchtendes Beispiel für gute Regierungsführung, als moralischer Richter über Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und Grundrechte. Die US – Regierung praktiziert nicht immer selbst, was sie predigt, nicht einmal im eigenen Land.“

Einschüchterungskampagne

Man bekommt teilweise das Gefühl, dass die US – Regierung darum bemüht ist möglichst cool in der Causa Snowden zu wirken. In Wirklichkeit arbeitet das Weiße Haus jedoch fieberhaft daran Snowden jeden Ausweg zu verbauen und ihn zu isolieren. Länder, die Snowden Aussicht auf Asyl geben, werden eingeschüchtert. Als er in Ecuador einen Antrag auf politisches Asyl gestellt hat, plusterte sich die USA gleich auf und drohte dem lateinamerikanischen Land mit der Streichung von Handelserleichterungen für den Fall, dass es dem Whistleblower Asyl gewährt. Das ging Ecuador zu weit: Es kam den USA zuvor und kündigte seinerseits das Handelsabkommen. Ein mutiger Schritt, denn die Vereinigten Staaten sind der wichtigste Handelspartner von Ecuador.

Vor kurzem ist bekannt geworden, dass Snowden Russland offiziell um Asyl ersucht hat. Falls der Antrag angenommen wird, könne sich Snowden ein Jahr in Russland aufhalten, um leichter in lateinamerikanische Länder zu reisen, die ihm Asyl angeboten haben. Das würde den Amerikanern natürlich gar nicht schmecken. Manche US – Politiker haben sogar zum Boykott der olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi aufgerufen. Der republikanische Senator Lindsey Graham geht an die Decke:

„Ich würde den Russen das eindeutigste Signal schicken, das möglich ist. Wir haben unsere Beziehungen zu Russland sicherlich nicht zum Positiven verändert. Und wenn sie diesem Kerl Asyl gewähren, ist das ein Rechtsbruch und eine Ohrfeige für die Vereinigten Staaten.“

Grahams heuchlerische Bezugnahme auf die Rechtsstaatlichkeit ist absurd. Russland hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, immerhin hat Amerika seine Partner heimlich ausspioniert. Die komplette Situation erscheint sowieso paradox: Amerika, dessen Selbstverständnis auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fußt, jagt einen Mann, der quasi diese Prinzipien verteidigen will und beantragt Asyl in einem Staat, der normalerweise alles daran setzt politische Gegner von der Bildfläche verschwinden zu lassen.