VON MAXIMILIAN REICHLIN | 10.08.2016 16:58

Cum-Ex – Die dubiosen Geschäfte mit den Dividenden

Die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte, die die deutschen Steuerzahlenden zwischen 2002 und 2012 bis zu 12 Milliarden Euro gekostet haben dürfte, sind wieder in aller Munde. Neue Beweise lassen darauf schließen, dass Banken und Bankenverband früh von den krummen Dividendengeschäften gewusst haben sollen, ohne jedoch die zuständigen Behörden zu informieren. Gegen mehrere ehemalige Vorstände wurden bereits Ermittlungsverfahren wegen Steuerbetrugs eingeleitet. Wie genau funktionierten die Cum-Ex-Geschäfte und wer betrog dabei wen?



Cum-Ex-Geschäfte: Haben Bankverband und BaFin versagt?

Bereits im letzten Monat hatte die Staatsanwaltschaft in Düsseldorf Ermittlungsverfahren gegen mehrere frühere Vorstände der Landesbank West LB eingeleitet. Der Verdacht lautet auf Steuerbetrug und bezieht sich auf die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte, die in Deutschland vermehrt zwischen 2002 und 2012 getätigt wurden. Neuesten Informationen zufolge soll der Deutsche Bankenverband bereits früh von den dubiosen Geschäften gewusst haben. Die Finanzverwaltung hatte der Verband allerdings zunächst nicht eingeschaltet. Später soll er eine Rechtsänderung vorgeschlagen haben, die gezielt darauf ausgerichtet war, die bestehenden Gesetzeslücken für die Cum-Ex-Geschäfte offen zu halten. Dem Spitzenverband gehören zahlreiche Banken an, die bei vielen Cum-Ex-Geschäften die Hände mit im Spiel hatten.

Vorwürfe werden auch gegen die Bankaufsicht BaFin laut. Diese habe „gar nicht verstanden, dass Cum-Ex ein Geschäftsmodell war, und nicht nur ein Steuerthema“, so der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick, Mitglied eines seit April tagenden Untersuchungsauschusses der Bundesregierung. Die BaFin selbst verteidigt sich mit Hinweis auf die mangelnde Kommunikation zwischen den Behörden, zum Beispiel mit der Steuerfahndung. Bis 2015 war man in der Bankaufsicht noch von einigen wenigen Einzelfällen ausgegangen. Tatsächlich hatten die Cum-Ex-Geschäfte der Banken den Staat bis dahin bereits an die 12 Milliarden Euro gekostet. Erst 2012 konnten die letzten Gesetzeslücken geschlossen werden, um Cum-Ex-Geschäfte gänzlich zu unterbinden.

Was sind Cum-Ex-Geschäfte?

Cum-Ex-Geschäfte sind für Außenstehende schwer zu begreifen. Grundsätzlich geht es dabei um den Handel mit Aktien und um die Einsparung von Steuern. An einem Cum-Ex-Geschäft sind in der Regel viele Personen beteiligt, in erster Linie allerdings Institutionen wie Banken oder private Fonds, die mithilfe eines sehr komplizierten Systems aus Käufen und Verkäufen den Staat bislang um mehrere Milliarden Euro betrogen haben. Um die Funktionsweise der Cum-Ex-Geschäfte zu verdeutlichen, hat UNI.DE ein einfaches Zahlenbeispiel vorbereitet:

Cum-Ex-Geschäfte beginnen beim Aktienkauf …

Wir stellen uns vor, dass der Dividendenstichtag naht. Das ist der Tag, an dem ein Unternehmen Dividenden für Aktien ausschüttet. Kurz vor diesem Stichtag haben die Aktien einen hohen Wert, immerhin wird derjenige, der die Aktien hält, bald eine Dividende darauf erhalten. Man nennt diese Aktien cum-dividend, also vor der Dividende. Das Gegenteil davon sind die Aktien ex-dividend, also nach der Dividende, die in der Regel weniger Wert sind, da ein potentieller Investor mit diesen Aktien ein weiteres Jahr auf seine Ausschüttung warten müsste.

In unserem Beispiel hält Investor A insgesamt zehn Aktien im Wert von je 100 Euro, das bedeutet er besitzt 1.000 Euro in Aktien. Kurz vor dem Dividendenstichtag möchte Investorin B Aktien im selben Wert erwerben, sie kauft sie aber nicht von Investor A, sondern von einem sogenannten Leerverkäufer. Dieser besitzt die Aktien, die er verkauft, überhaupt nicht, kassiert aber dennoch schon die 1.000 Euro. Die Aktien wird er später liefern – er plant, sie nach der Dividendenausschüttung von Investor A zu erwerben, da die Wertpapiere dann sehr viel billiger zu haben sein werden.

… laufen weiter über die Dividendenausschüttung …

Wenn der Stichtag schließlich kommt, erhält Investor A eine Dividende von 10 Prozent, also 100 Euro. Zunächst bekommt er davon allerdings nur 75 Euro ausgezahlt. Den Rest, 25 Prozent, streicht der Staat zunächst einmal als Steuer ein. Private Anlegende würde diese 25 Euro niemals wiedersehen, bei Institutionen steht die Sache aber anders: Diese können sich, gegen Vorlage eines Bescheides, die 25 Prozent vom Staat zurückerstatten lassen, da für sie andere Steuerregelungen gelten. Investor A tut das selbstverständlich auch, immerhin will er die volle Dividende erhalten. Noch ist alles vollkommen koscher: Investor A hat Steuern auf seine Dividende gezahlt und diese rechtmäßig vom Fiskus zurückerhalten.

Nun schaltet sich der Leerverkäufer wieder in die Cum-Ex-Geschäfte ein: Er erwirbt die Papiere ex-dividend von Investor A und bezahlt dafür 900 Euro, da die Aktie nach der Ausschüttung im Wert gefallen ist. Anschließend liefert er die Aktien, für die ihm ja bereits bezahlt wurde, an Investorin B und legt von seinen 100 Euro Gewinn noch 75 Euro oben drauf. Das ist die Summe, die Investorin B durch die Dividendenausschüttung erhalten hätte. Der Clou ist nun: Da Investorin B die Aktien, die sie nun ex-dividend vom Leerverkäufer erhalten hat, auf dem Papier bereits vor der Dividendenausschüttung besaß, hat sie nun, ebenso wie Investor A, ein Anrecht auf die Rückzahlung der Steuer – obwohl es sich um die selben Papiere handelt, für die Investor A bereits eine Rückzahlung erhalten hat.

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… und am Ende wirft die Steuerrückzahlung den Gewinn ab

Bei diesem komplizierten Spiel macht Investorin B zunächst keinen Gewinn: Sie hatte Aktien im Wert von 1.000 Euro gekauft und besitzt nun auch 1.000 Euro. Ebenso wenig kann Investor A einen Gewinn verbuchen: Er hatte 1.000 Euro in die Aktien investiert und davon 900 Euro vom Leerverkäufer und 100 Euro durch die Dividende zurückerhalten. Sowohl Investor A als auch Investorin B haben, so scheint es, ein Nullsummenspiel gespielt.

Der tatsächliche Gewinn liegt zunächst ausschließlich beim Leerverkäufer: Dieser hatte Aktien im Wert von 900 Euro von Investor A gekauft und für die Lieferung im Vorfeld bereits 1.000 Euro von Investorin B erhalten. Abzüglich der Dividende von 75 Euro, die er Investorin B zusätzlich zu den Aktien gegeben hatte, behält der Leerverkäufer also einen Gewinn von 25 Euro. Das Schurkenstück ist perfekt: Da nämlich Investor A, Investorin B und der Leerverkäufer alle von diesem krummen Geschäft wussten, können sie nun den Gewinn unter sich aufteilen. Sie haben den Fiskus, und damit letztendlich die Steuerzahlenden, um satte 25 Euro betrogen.

Warum Cum-Ex-Geschäfte heute nicht mehr funktionieren

Selbstverständlich geht es in der Realität nicht um Beträge bis 1.000 Euro, sondern um Millionen. Dementsprechend schockiert war die Bundesregierung, als die Tragweite der Cum-Ex-Geschäfte offenbar wurde. Mittlerweile funktioniert der Trick mit den Dividenden aber nicht mehr, da nun auch Ausgleichszahlungen (wie in unserem Beispiel vom Leerverkäufer an Investorin B) hoch versteuert werden müssen und dadurch das Spiel um die Steuerrückzahlungen nicht mehr profitabel ist. Eine entsprechende Gesetzesänderung hatte der Bundestag im Jahr 2012 erlassen. Ein zuvor im Jahr 2007 verabschiedetes Gesetz hatte die krummen Cum-Ex-Geschäfte lediglich ins Ausland verlagert.