VON MAXIMILIAN REICHLIN | 03.06.2016 16:15

Rezension: „Kapitalfehler“ von Marc Friedrich und Matthias Weik - Wie die Finanzwirtschaft funktioniert und warum das keiner verhindert

Bücher über die internationale Finanzwirtschaft haben auch rund acht Jahre nach der Krise immer noch Konjunktur. Auch die Bestsellerautoren Marc Friedrich und Matthias Weik haben sich dem Thema noch einmal gewidmet. Nach bereits zwei erschienenen Bestsellern legt das Ökonomen-Duo nun sein drittes Buch zum Thema vor. „Kapitalfehler – Wie unser Wohlstand vernichtet wird und warum wir ein neues Wirtschaftsdenken brauchen“ erklärt in gewohnt allgemeinverständlichem Ton die Welt der Finanzen, zeichnet die Krise(n) und ihre Ursache(n) nach und gibt Lösungsvorschläge. Dass die Autoren dabei nicht immer zu einhundert Prozent objektiv und sachlich bleiben, ist verzeihlich. Dafür stecken ausreichend Humor und frische Ideen im „Kapitalfehler“.


Die Finanzkrise: Lange vorbei und nur noch eine unliebsame Erinnerung? Auf keinen Fall. Die Auswirkungen des letzten großen Crashs von 2008 sind noch immer spürbar, noch lange hat sich die internationale Finanzwirtschaft nicht von der Krise erholt. Das beste Beispiel: Griechenland. Doch auch anderswo liegen die Dinge im Argen. Oft ist das für uns mehr als unverständlich, denn die Welt der Finanzen ist für den Otto Normalverbraucher noch immer ein Buch mit sieben Siegeln. Der „Kapitalfehler“ der Bestseller-Autoren Marc Friedrich und Matthias Weik soll das ändern. Nach „Der größte Raubzug der Geschichte“ und „Der Crash ist die Lösung“ legen die beiden Ökonomen nun ihr drittes Buch vor.

Der „Kapitalfehler“ erklärt uns unsere Kapitalfehler

Das Ziel der Autoren: In ihrem aktuellen Buch wollen sie die Kritik an ihren beiden ersten Werken gezielt einarbeiten: Statt der oft vorgeworfenen „oberflächlichen Krisendiagnose“ stehen diesmal vermehrt grundsätzliche, theoretische und leicht ablesbare Fakten auf dem Programm. Weik und Friedrich gehen der Frage nach, wie und warum der Kapitalismus das geworden ist, was er heute ist: Ein „System, in dem nur noch die Interessen von ein paar Dutzend globalen Konzernen, einer immer kleineren Zahl von Superreichen und einer von der Realwirtschaft fast vollständig abgeschotteten Finanzelite zählen.“

Weitere behandelte Fragen im „Kapitalfehler“ lauten: Wer hat das Geld erfunden? Was sind eigentlich Kredite und wie funktionieren sie? Warum kommt es in unserem System mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit zu großen Krisen? Und warum zum Geier verhindert das eigentlich niemand? In sieben Kapiteln und auf rund 350 Seiten zeichnen Friedrich und Weik den Werdegang des kapitalistischen Wirtschaftssystems nach, für Laien leicht verständlich. Manchmal etwas zu leicht verständlich, so dass der Leser sich fragen könnte, ob er gerade „Der Kapitalismus für Dummies“ in den Händen hält, an anderer Stelle aber wieder mit beeindruckendem Tiefgang und erkennbarem Sachverstand.

Der „Kapitalfehler“ zwischen Polemik und Sachlichkeit

Dabei beschränken sich die Autoren nicht alleine auf gewohnt pessimistische Prognosen und (beizeiten) polemischen Humor – beides kennen wir bereits aus „Der größte Raubzug der Geschichte“ und „Der Crash ist die Lösung“ – sondern schlagen tatsächlich mögliche Wege aus der Krise vor. Am Beispiel Griechenlands illustrieren Weik und Friedrich etwa, was ein Land während der Krise alles falsch machen kann. Als Gegenentwurf gilt dann Island: Von der Krise ebenso stark gebeutelt, wie der Mittelmeerstaat, mittlerweile aber auf dem Weg der Besserung, mit sinkenden Arbeitslosenquoten und steigendem Bruttoinlandsprodukt. Der „Kapitalfehler“ zeigt die Gründe dafür auf, unterstützt durch harte Zahlen und einige informative Schaubilder.

Schon an den einleitenden Worten ist allerdings abzulesen, dass sich Weik und Friedrich doch noch nicht vollständig der Sachlichkeit verschrieben haben. Oft genug werden die theoretischen und zahlengestützten Betrachtungen von reißerischen Phrasen aufgebrochen, oft genug wird mit dem Finger gezeigt auf „die da oben“, die „Bösen“, die das Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs geführt haben. Oft genug werden wir, die kleinen Sparer, auf deren Rücken die Krise abgeladen wird, beinahe schon propagandistisch zum Widerstand gegen die Banken und die Spekulanten aufgerufen. Da wird eine zunächst sehr sachlich vorgetragene Abhandlung über die Probleme Griechenlands eben auch mal mit der Forderung beendet: „Mehr Punkrock bitte!“

Mehr Punkrock für das Finanzsystem!

Friedrich und Weik: Die Punks der Finanzwirtschaft

Dieser zentrale Slogan könnte im Grunde auch das Motto des „Kapitalfehlers“ sein. Der „Kapitalfehler“, Sachbuch gewordener Punk: Die Gitarren wie die Witze etwas schief, die Aussagen manchmal etwas zu polemisch (deswegen aber noch lange nicht unwichtig) und die Message mit einer Spur zu viel Pathos (deswegen aber noch lange nicht falsch). Als Punkrocker wollen wir Marc Friedrich und Matthias Weik denn auch sehen, denn die Rollen der mondänen und grundobjektiven Wirtschaftsweisen nehmen wir ihnen, spätestens nach dem „Kapitalfehler“, nicht ganz ab. Dafür lesen wir zu oft abgenutzte Parolen wie: „Nieder mit der Stromsubvention!“ oder „Die Infrastruktur muss nach unserer festen Überzeugung in öffentlicher Hand liegen. Punkt.“

So lautet also das UNI.DE-Fazit: Wer lesen kann, der lese, denn langweilig oder gar irrelevant ist der „Kapitalfehler“ in keinem Fall. Weik und Friedrich bringen es fertig, einen ernsten und höchst komplizierten Themenkomplex verständlich und unterhaltsam zu durchleuchten und bewältigen dabei eine Gratwanderung zwischen plakativem Klischee und pragmatischem Zahlenmasochismus. Zwar rutschen sie dabei immer mal wieder in eines der beiden Extreme ab, bleiben aber doch bis zum Schluss fesselnd. Und dafür, dass wir nun auch endlich verstanden haben, wie unsere Finanzwirtschaft eigentlich funktioniert (zumindest im Ansatz), verzeihen wir Marc Friedrich und Matthias Weik auch diese kleinen Ausrutscher.

Kapitalfehler
von Marc Friedrich und Matthias Weik
Eichborn Verlag
384 Seiten
ISBN: 978-3847906056
19,99 € inkl. MwSt.