VON CLEMENS POKORNY | 02.05.2014 10:30

Corporate Social Responsibility: Fortschritt oder Feigenblatt?

Mit der Corporate Social Responsibility (CSR) haben Unternehmen ein Konzept an der Hand, mit dem sie ihre ökonomische, gesetzliche, ethische und philanthropische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, die sie trägt, wahren können. Die CSR ist wirtschaftswissenschaftlich reflektiert und wird von der EU als Leitbild formuliert. Doch insbesondere, wenn nur ökonomische Motivation hinter der CSR einer Firma steckt, wird diese fragwürdig – und sie reicht nicht aus.



Raubbau an der Natur, Vernichtung der Regenwälder, Ausbeutung abhängiger Arbeitskräfte in den Entwicklungsländern: Viele der schlimmsten Ungerechtigkeiten und der gravierendsten Gefahren für das Fortbestehen unseres Planeten gehen nicht von Einzelnen, sondern von Firmen und Konzernen aus. Korrupte Regierungen schauen weg oder leisten Gesetzesbrüchen noch Vorschub. Nichtregierungsorganisationen kommen wie die Feuerwehr oft erst dann, wenn schon viel verloren ist. Und warum muss sich die Zivilgesellschaft mit viel Mühe und Geld gegen verbrecherische oder verantwortungslose Unternehmen wehren? Ein Ansatz dazu, diese Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen, liegt in der Corporate Social Responsibility, kurz CSR.

Survival of the fittest?

Darunter versteht die EU in ihrem „Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“ (2001) ein „Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren.“ Als Stakeholder werden all jene definiert, die ein berechtigtes Interesse an den Auswirkungen unternehmerischer Aktivitäten auf Menschen und Umwelt haben – zum Beispiel die Mitarbeiter und ihre Familien oder die Umwelt in unmittelbarer Umgebung des Werksgeländes. Damit ist nach betriebswirtschaftlichem Verständnis ein Teils des „mittleren Verantwortungsbereiches“ einer Firma abgedeckt. Dazu gehören auch Lieferketten. Darin Verantwortung zu tragen bedeutet z.B., dass Hersteller von Automobilen oder Computern die Zusammenarbeit mit Zulieferern an die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards knüpfen. Zum „inneren Verantwortungsbereich“ im Rahmen der Corporate Social Responsibility gehören die Aspekte Markt und Gesetz. Ein Unternehmen handelt dann verantwortlich, wenn es sich einerseits auch dann an Gesetze hält, wenn dies von staatlichen Behörden nicht oder nicht ernsthaft überprüft wird; man spricht in diesem Fall von Compliance. Andererseits setzt innere Verantwortung voraus, dass die Maxime der Gewinnmaximierung nicht zulasten Dritter durchgesetzt wird – fairer und echter Wettbewerb ist die Devise. Unter die „äußere Verantwortung“ eines der Corporate Social Responsibility verpflichteten Unternehmens fallen schließlich alle Aspekte der Wohltätigkeit.

Die Corporate Social Responsibility lässt sich also inhaltlich als „ökonomische, gesetzliche, ethische und philanthropische Verantwortung eines Unternehmens“ zusammenfassen. „Social“ wird sie dennoch – scheinbar einschränkend – genannt, weil letztlich alle vier Gesichtspunkte auf einen verantwortlichen Umgang mit dem Menschen abzielen. Damit steht das Konzept der Corporate Social Responsibility dem Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit nahe, das ökonomische, ökologische und soziale Aspekte im Hinblick auf einen verantwortlichen Umgang mit unserer Umwelt (im weitesten Sinne) vereint. Doch anders als die primär normativ motivierte Nachhaltigkeit kann unternehmerische Verantwortung auch in erster Linie ökonomische Ziele verfolgen: Wer einen Grünen Punkt, Blauen Engel oder ein Fair-Trade-Siegel auf seine Produkte kleben kann, verbessert seine Marktposition und damit auch seinen Umsatz.

Genau an diesem Punkt setzt die Kritik an der Corporate Social Responsibility an. Die vielen publik gewordenen Fälle von Greenwashing zeigen etwa, dass Unternehmen Verantwortung vor allem deshalb übernehmen, um ihre Produkte besser bewerben und damit verkaufen zu können – es geht ums Image. Wirtschaftlich ist die Corporate Social Responsibility auch deshalb, weil die unternehmensinterne Formulierung und Einhaltung von über die Gesetze hinausgehenden Standards Folgekosten vermeiden kann. Ein verbesserter Schutz der Mitarbeiter vor dem Kontakt mit krebserregenden Substanzen kann zum Beispiel verhindern, dass diese später das Unternehmen wegen einer durch ihre Arbeit zugezogenen Krebserkrankung verklagen können. Das ist freilich im Sinne aller Beteiligten. Doch mit einigen Regeln im Rahmen der Corporate Social Responsibility können Firmen auch dem Staat zuvorkommen und so strengere Gesetze verhindern, die eigentlich nötig wären. Heimische Beispiel dafür wären die lange Zeit nicht eingelösten Selbstverpflichtungen von Unternehmen, Auszubildende einzustellen oder Toppositionen mit Frauen zu besetzen, die einem gesetzlichen Zwang dazu vorbeugen sollten.

Nicht zufällig kommt das Konzept der Corporate Social Responsibility aus den USA – weil im Lande des Turbokapitalismus, anders als in Old Europe, das Leitbild des „Ehrbaren Kaufmanns“ keine Tradition hat, zu dessen Selbstverständnis die Übernahme von Verantwortung über seine gesetzlichen Pflichten hinaus gehört. Die Skandale um Greenwashing und unmenschliche Arbeitsbedingungen bei Zulieferern großer Unternehmen oder gar bei diesen selbst zeigen, dass Corporate Social Responsibility alleine nicht ausreicht. Schärfere Gesetze würgen Innovation und Wachstum nicht ab, wenn sie in internationaler Abstimmung verabschiedet werden. Und darüber hinaus müssen wir uns fragen, ob gesellschaftliche Missstände dauerhaft mit Almosen von Unternehmensstiftungen gelöst werden sollen – oder nicht doch eher dadurch, dass Firmen und Konzerne über Steuern und Abgaben entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit weltweit stärker in die Pflicht zur Verantwortung gegenüber der sie tragenden Gesellschaft genommen werden als bisher.