VOM MAXIMILIAN REICHLIN | 23.08.2016 16:48

Luftbelastung durch Stickstoffoxide – Die Diesel-Abgaswerte sind immer noch zu hoch

Die Luftbelastung mit schädlichen Stickstoffoxiden lag auch im Jahr 2015 über den europäischen Grenzwerten. Das teilte das Umweltbundesamt mit. Hauptquelle der schädlichen Emissionen ist weiterhin der Straßenverkehr, besonders in den Innenstädten. Der Grund dafür liegt bei den Dieselfahrzeugen, die zwar auf dem Papier sauber aussehen, im Realbetrieb die zulässigen Abgaswerte allerdings oft um das zehnfache übersteigen. Eine Lösung könnte die Einführung einer neuen Umweltplakette sein – doch die kann erst erfolgen, wenn die Bundesregierung entsprechende Vorgaben macht.

Trotz der verschärften Abgasnorm Euro 6 ist die Luftbelastung in deutschen Innenstädten immer noch kritisch. Der vor einigen Jahren umstrittene Feinstaub hat sich zwar reduziert, die Emission von Stickstoffoxiden ist allerdings auch im Jahr 2015 noch zu hoch. An 27 Prozent der deutschen Messstationen lag die Belastung mit den gesundheitsgefährdenden Schadstoffen über dem Grenzwert. Das ergab die Auswertung der Messdaten durch das Umweltbundesamt (UBA). Alle Grenzüberschreitungen traten dabei an verkehrsnahen Messstationen auf. Hauptverursacher der Stickoxid-Belastung ist also weiterhin der Straßenverkehr: Rund 70 Prozent der Stickstoffoxid-Belastung stammen von Fahrzeugemissionen, alleine 67 Prozent von Dieselfahrzeugen.

Euro 6 scheitert, weil Automobilkonzerne bei Stickstoffoxiden schummeln

Seit dem 1. September 2015 ist deshalb die neue Abgasnorm Euro 6 für alle Erstzulassungen verbindlich. Die Grenzwerte der europäischen Norm wurden bereits 2014 nach unten korrigiert: Nur bis zu 80 Milligramm Stickstoffoxide dürfen neue PKW demnach pro Kilometer emittieren, davor waren es noch 180 Milligramm. Auf dem Papier erfüllen neue Modelle diese Norm auch. Die Konzerne betonen die Sauberkeit der neuen Dieselfahrzeuge in Sachen Stickstoffoxid-Emission. Unabhängige Tests entlarven die angeblich sauberen PKW allerdings als Umweltbelastung: So werden die Grenzwerte der Euro 6 im Realbetrieb im Schnitt um das sieben bis zehnfache überschritten.

Zuletzt war im vergangenen Jahr VW in die öffentliche Kritik geraten, weil das Unternehmen bei Tests der amerikanischen Umweltbehörde mit den Abgaswerten betrogen hatte. Gerd Lottsiepen vom alternativen Verkehrsbund VCD erkennt einen Trend: „Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass neben VW auch andere Konzerne die Abgaswerte manipulieren. Und das nicht nur in den USA.“ Schon lange versuchen die großen Automobilfirmen Dieselfahrzeuge als saubere Alternative zum abgasärmeren Benziner anzupreisen. Nun fürchtet die Branche, dass es nach den Enthüllungen um VW zu einer generellen Umstellung kommen könnte – weg von der „Dreckschleuder“ Diesel.

Erneuerbare Energien studieren

Mögliche Lösungen für das Abgasproblem: Umweltplakette oder Fahrverbot

UBA-Präsidentin Maria Krautzberger will genau hier ansetzen und pocht auf eine neue Umweltplakette „für Fahrzeuge, die Euro 6 auch im realen Fahrbetrieb einhalten.“ Fahrzeuge ohne eine solche Abgas-Plakette dürften dann nicht mehr in besondere Zonen einfahren – in erster Linie die Innenstädte deutscher Großstädte, die besonders mit Stickstoffoxiden belastet sind. Damit sei es aber noch nicht getan. Auch alternative Verkehrsmittel, wie Elektrofahrzeuge, Fahrräder, der öffentliche Nahverkehr oder Car-Sharing-Programme sollen attraktiver gestaltet werden. „In Innenstädten muss eine verkehrspolitische Zäsur stattfinden“, so Krautzberger.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht noch einen Schritt weiter. Geschäftsführer Jürgen Resch spricht sogar von einem generellen Fahrverbot in Innenstädten. Eine ähnliche Maßnahme hatte der Europäische Gerichtshof bereits 2014 für Großbritannien erlassen, ab 2017 könnte es auch für Deutschland so weit sein. „Wir überschreiten konstant die Belastungsgrenzen unserer Umwelt und unserer Gesundheit bei weitem. Als Gesellschaft sind wir verpflichtet zu handeln.“, so Resch im Gespräch mit der Tageszeitung junge Welt.

Die Umsetzung stockt – Städte können ohne die Bundesregierung nichts unternehmen

Obwohl die schädlichen Auswirkungen der Stickstoffoxide auf Gesundheit und Umwelt schon lange bekannt sind, tut sich kaum etwas in deutschen Innenstädten. Ein Beispiel dafür ist München. Erst im Juni hatte das bayerische Verwaltungsgericht den Freistaat aufgrund der anhaltenden Stickstoffoxid-Belastung in die Pflicht genommen. Wirksamere Maßnahmen der Luftreinhaltung sollten zügig umgesetzt werden. Das Problem: Solche Maßnahmen können nicht aus den Städten kommen, sondern müssen gesetzlich vom Bund beschlossen werden. So beispielsweise die Einführung einer neuen blauen Plakette oder einer Citymaut.

Obwohl der Münchener Stadtrat der Einführung einer blauen Abgas-Plakette bereits zugestimmt hat, hapert es nun an den entsprechenden gesetzlichen Regelungen „von oben“. Das Problem wird „verschleppt“, so Resch. Mit katastrophalen Folgen: Rechnungen des UBA gehen davon aus, dass die starke Luftbelastung noch bis zum Jahr 2030 geltende EU-Grenzwerte überschreiten wird. Selbst bei einer baldigen Einführung neuer Umweltplaketten könne man erst ab 2025 damit rechnen, die Abgaswerte von Euro 6 konsequent umzusetzen. Man müsse also nach Alternativen suchen, um die starke Belastung durch Stickstoffoxide effektiv zu stoppen.