VON CLEMENS POKORNY | 04.04.2017 18:03

Fahrverbote gegen Feinstaub?

Das grün regierte Stuttgart will vorangehen: Ab kommendem Jahr werden dort an Tagen mit besonders hoher Feinstaub-Belastung Fahrverbote über ältere Dieselfahrzeuge verhängt werden. Allerdings hat die Forschung die Politik bereits überholt: Die schlimmsten Feinstaub-Quellen im Kraftfahrzeugverkehr liegen nicht im Motor. Langfristig wird nur eine generelle Reduktion des Straßenverkehrs helfen – Fahrverbote können uns aber jetzt schon daran gewöhnen, öfters den ÖPNV zu nutzen.

Er ist mikroskopisch klein und doch eine große Gefahr für uns: Feinstaub, definitionsgemäß bestehend aus Teilchen kleiner als 15 µm. Wir können ihn nicht sehen und nur bei hohen Konzentrationen riechen. Doch mittel- bis langfristig verstärkt er Allergiesymptome, beeinträchtigt das Nervensystem, begünstigt Asthma, Atemwegsbeschwerden sowie Lungenkrebs und steigert das Risiko von Mittelohrentzündungen bei Kindern. In Deutschland werden immer häufiger Feinstaubkonzentrationen gemessen, die über dem EU-Grenzwert von 50 µg pro Kubikmeter Luft liegen. Besonders betroffen sind die Großstädte, allen voran Stuttgart. Es liegt in einem Talkessel, sodass Smog kaum verweht wird. Nach der Industrie sind Kraftfahrzeuge die Hauptemittenten von Feinstaub, vor allem solche mit Dieselmotor. Da Diesel weniger stark besteuert wird als Benzin, nimmt die Zahl der Dieselfahrzeuge seit Jahren zu. Aus verschiedenen Gründen gab es im Jahr 2016 so viele Pendler wie nie zuvor in Deutschland – und somit auch immer mehr Individualverkehr. Eine unumkehrbare Entwicklung hin zu noch mehr Feinstaubemissionen?

Antworten auf dieses Problem kommen vor allem aus dem stark betroffenen Stuttgart. Mit dem regelmäßig wiederkehrenden „Feinstaubalarm“ setzt die Stadt bislang auf Freiwilligkeit: Pendler sollen ihre Autos stehen lassen und auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Doch schon ab nächstem Jahr werden Dieselfahrzeuge, die die Euro-Abgasnorm 6 (ab Zulassungsdatum 01.09.2014) nicht erfüllen, einige besonders belastete Straßen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt nicht mehr befahren dürfen – zumindest nicht an „Alarmtagen“.

Kein Geld mehr für Diesel

Fachleute bezweifeln allerdings den Sinn solcher Fahrverbote. Zum einen hat sich die Schadstoffbilanz von Dieselfahrzeugen bereits seit der Euro-Abgasnorm 5 (ab Zulassungsdatum 01.09.2009) nicht mehr wesentlich verbessert – warum dann auch diese etwas älteren Fahrzeuge aussperren? Zum anderen trägt der Reifen-, Bremsen- und Straßenabrieb wesentlich mehr zur Feinstaubbildung bei als die Verbrennungsmotoren, wie man mittlerweile weiß. Zudem könnten weitere Feinstaub-Quellen trockengelegt werden, die nichts mit Verkehr zu tun haben: In Unterjesingen etwa, einem zu Tübingen gehörenden Dorf etwa 30 Kilometer südwestlich von Stuttgart, maß ein Experte kürzlich höhere Feinstaubwerte als in Peking. Diese stammen allerdings nachweislich selbst an der viel befahrenen Durchgangsstraße zu bis zu 37% aus Holzfeuerung. Wer seinen Ofen falsch anfeuert, trägt besonders stark zu den Emissionen bei. Das weiß man auch in Stuttgart – und fordert die Besitzer von Holzöfen dazu auf, bei Feinstaubalarm ihre Heizung kalt zu lassen. Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) erwägt darüber hinaus sogar, das besonders feinstaublastige private Feuerwerk zu Silvester künftig zu verbieten.

Langfristig könnte sich das umstrittene Thema „Fahrverbote“ von selbst erledigen: Plänen des Bundesrats zufolge sollen in Deutschland ab dem Jahr 2030 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge neu zugelassen werden – Feinstaub wird somit aber weiterhin anfallen. Es bleibt zu hoffen, dass der ÖPNV vor allem auf der Schiene weiter ausgebaut wird – und auch der soziale Wohnungsbau, damit Erwerbstätige sich arbeitsplatznahen Wohnraum leisten können (Wien macht's vor!).