Der Begriff „Postdemokratie“ bezeichnet nach Crouch keinen Zustand der Demokratielosigkeit, sondern einen Status Quo, in dem demokratische Institutionen zwar immer noch vorhanden und unter Umständen stabiler denn je sind, aber nur noch geringe Macht und Entscheidungsgewalt beispielsweise im Verhältnis zu den Wirtschaftseliten und globalen Unternehmen ausüben. Politische Debatten werden von PR-Abteilungen gesteuert, je nachdem, womit sich gerade Stimmen fangen lassen, werden Themen lanciert und aufgeblasen, unabhängig davon welche Probleme gerade wirklich drängen. Die echte Politik geschieht jedoch hinter verschlossenen Türen.
Ein Großteil der Bevölkerung begegnet Fragen der Politik mit Apathie und Indifferenz, macht keinen Gebrauch von seinen politischen Partizipationsmöglichkeiten, und begnügt sich mit der vermeintlich ohnmächtigen Rolle als Spielball der Trends. Das knappe Fazit diesbezüglich lautet: „Der Konsument hat über den Staatsbürger gesiegt“. Und in selber Konsequenz die Unternehmen über die Politik.
Als Beispiel hierfür nennt Crouch u.a. die, durch die Globalisierung wesentlich erleichterte, Standort- und Produktionsverlagerung großer Unternehmen, welche gegenüber Regierungen auch häufig und gerne als Druckmittel verwendet werden kann, um z.B. Steuervergünstigungen zu bekommen oder unliebsame Gesetzesentwürfe zu blockieren.
Politische Unmündigkeit wird zusätzlich verstärkt durch die, zunehmend privatisierte und ökonomischen Zwängen unterworfene, Medienlandschaft, welche ihre Komplexität zugunsten einer größeren Wettbewerbsfähigkeit abbaut und so ihre Rezipienten am differenzierten Nachvollziehen des politischen Geschehens hindert. Es kommt zu einer regelrechten Unterforderung der Leser, Hörer und Zuschauer.
Gleichsam bedienen sich viele Parteien besonders aus dem rechten Lager im vermeintlichen Durcheinander der Politik einer einfachen Argumentation, um sich mit simplen Weltsichten und Problemlösungsstrategien attraktiv für entsprechende Wählerschaften zu machen.
Dabei sehen die Parteien sich allgemein einer derart heterogenen Bevölkerung gegenüber, die es schwer macht eine gemeinsame und motivierende Identität für den Großteil der arbeitenden Unter- und Mittelschicht zu formulieren. Die durch die Deindustrialisierung schrumpfende Arbeiterklasse steht isoliert da gegenüber der Mittelschicht aus Freiberuflern, Beamten, Büroangestellten, Beschäftigten des Finanzsektors etc., obwohl beide Schichten mit vielen gemeinsamen Problemen konfrontiert sind.
Den etablierten Parteien wirft Crouch zudem vor, sich zu sehr der neoliberalen Ideologie angepasst und dabei ihre traditionellen Wählergruppen aus den Augen verloren zu haben. Genau in der Rückbesinnung auf diese Menschen läge jedoch eine Möglichkeit zur demokratischen Erneuerung, sowie in der Bereitstellung einer neuen, gemeinsamen Identität, die jene weniger anfällig für Populisten von rechts machte.
Letztlich gilt es nach Crouch den Einfluss der Wirtschaft wieder stärker zu reglementieren und die politische Mündigkeit und Aktivität der Bürger zu reanimieren.
Kritik musste Crouch dabei einstecken für seinen Vorschlag, sich auch am kreativen Potenzial radikaler Gruppen zu orientieren, die ihm zu folge nicht nur auf ihre Gewaltbereitschaft reduziert werden können, sondern durchaus auch ein Interesse an Lösungen für unsere neue Weltordnung haben und sinnvolle und wegweisende Inhalte bereitstellen können.
Jene Ideen Crouchs jedoch als Rechtfertigung der Gewalt zu verstehen wäre falsch und naiv. Crouch verweist zu Recht darauf, vielleicht einmal jenen zuzuhören, die sich angesichts der Trägheit und scheinbaren Ignoranz der politischen und ökonomischen Eliten, nicht mehr anders als durch drastische Methoden zu helfen wissen. Ihr Verhalten könnte man am besten und schnellsten verhindern, indem man ihre Belange endlich einmal ernst nimmt und versucht sie zu integrieren. Es geht Crouch also um tragfähige und deeskalierende Alternativen, wenn er folgende Frage stellt: „Wenn es nicht tatsächlich zu jener massiven Eskalation des Protests und des Widerstands kommt, auf die diese Demonstranten setzen, was könnte den globalen Unternehmen dann eine solche Angst um ihre Gewinne einjagen, dass ihre Vertreter an den Verhandlungstisch zurückkehren?“
Ja, das ist die Frage, was könnte das sein? Wirkliche Lösungen vermag Crouch auch nicht anzubieten.
Dennoch bietet sein Buch einen konstruktiven Einstieg in die Auseinandersetzung mit den demokratischen Verfallserscheinungen unserer Zeit an, mag es stellenweise auch übertrieben und radikal erscheinen. Es leistet wichtige Arbeit auf dem Weg zu einem umfassenderen Verständnis dessen, was sich weltweit gerade abspielt oder wie Thomas Assheuer es formuliert: „Oft genug sind »Post«-Theorien alarmistische Zuspitzungen, sie enthalten Warnbegriffe, die das Eintreffen jener Realität verhindern sollen, die von ihnen in schwarzer Farbe an die Wand gemalt wird.“ Vieles, was in Crouchs Buch steht ist jedoch längst Realität und kein abschreckendes Hirngespinst mehr! Fazit: Unbedingt lesen!
Crouch, Colin: „Postdemokratie“
edition suhrkamp 2540, 2008. 159 Seiten
ISBN 978-3-518-12540-3, Taschenbuch. Preis. 10,00 €