Der erstmals 1984 erschienene Roman, der von einer Liebesbeziehung zwischen dem freizügigen Chirurg Tomas und der treuherzigen Fotoreporterin Teresa erzählt, verhandelt jenes Spannungsfeld zwischen Exklusivität und rastlos, zwanghafter Untreue zu Zeiten des „Prager Frühlings“ in der damaligen Tschechoslowakei, also in einer vermeintlich langsameren, prädigitalen und konservativeren bzw. diktatorischen Gesellschaft.
Liest man Kunderas Liebesgeschichte als Geschichte des privaten Widerstandes und als Versuch der Behauptung und Rettung des zwischenmenschlichen Glücks entgegen aller äußerlichen Widrigkeiten, so fällt es trotz der großen zeitgeschichtlichen Unterschiede zwischen damals und heute nicht schwer, sich Teresa und Tomas auch zur heutigen Zeit vorzustellen. Auch heute erscheint die exklusive, private Liebesbeziehung oftmals als letzte Bastion gegen die gefühlte Auflösung aller äußeren Verbindlichkeiten und Sicherheiten. Damals begrenzte die Diktatur die Freiheit der Menschen, heute bewirkt die vermeintlich grenzenlose Freiheit paradoxerweise fast schon wieder ein Gefühl der Enge und Unfreiheit.
Gleichzeitig sehen wir uns wie Tomas und Teresa in unseren Beziehungen mit einem steten Nähe-und-Distanz-Problem konfrontiert, mit einem Hin und Her zwischen dem Wunsch nach partnerschaftlicher Verbindlichkeit auf der einen Seite und sexueller Unabhängigkeit und amouröser Freiheit auf der anderen. Natürlich ist nicht jeder so ein ausgeprägter Erotomane wie Kunderas männlicher Hauptprotagonist. Und auch die selbstquälerische Duldsamkeit Teresas gegenüber den Affären Tomas´ hat etwas Extremes und Ungesundes. Dennoch spiegelt sich in ihrer Beziehung die moderne Auffassung von Liebe als schöpferischem Akt und Arrangement zwischen freien und gleichberechtigten Partnern wider, welche versuchen vermeintliche Differenzen zu integrieren und tolerant zwischen Selbstaufgabe und Selbstverwirklichung hin und her zu jonglieren. Erlaubt ist das, was für beide funktioniert, solange es funktioniert und nicht das, was irgendeine gesellschaftliche Konvention vorgibt.
Liebe bekommt hier etwas Spielerisches, Erkenntnisbringendes und Welterfahrendes, im Falle Tomas´ sogar naturwissenschaftlich Forschendes, wenn man davon erfährt, wie sehr ihn das unterschiedliche Gebaren der Frauen beim Liebesakt reizt und fasziniert.
Genau dieses Spielerische, diese Leichtigkeit des Seins aufgrund des Fehlens letztendlicher Wahrheiten und die zahlreichen Möglichkeiten zur freien Selbstbestimmung, dessen was Liebe darf und was nicht, macht sie so schwer und beängstigend, zugleich aber auch so lustvoll und spannend.
Im Einfangen all dieser Dimensionen menschlicher Liebesbeziehungen mitsamt der Freude aber auch Melancholie liegt die große Brillianz und Zeitlosigkeit dieses Romans.
Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (1987)
Fischer Taschenbuchverlag;
ISBN 3-596-25992-4 Preis € (D) 10,00