VON CLEMENS POKORNY | 12.05.2014 12:44

Betreuung: Wenn der Mensch Hilfe braucht

Wer als Hilfsbedürftiger sein Leben nicht mehr alleine meistern kann, sollte sich überlegen, einen rechtlichen Betreuer zu engagieren. Dieser wird nötigenfalls vom Staat bezahlt und organisiert vor allem die Geschäfte des Betreuten. Wo aber seine Verantwortung beginnt und wo sie endet, lässt sich gesetzlich nicht detailliert regeln und ist auch unter Betreuern selbst umstritten.

2050 wird nach Schätzungen jeder zweite Bundesbürger über 60 Jahre alt sein. Die Probleme des demographischen Wandels sehen wir schon jetzt: Immer mehr Demente, darunter immer mehr Kinderlose. Da stellt sich nicht nur die Frage, ob die Betroffenen sich die anfallenden Kosten für professionelles Pflegepersonal leisten können. Sondern auch: Wer übernimmt die Verantwortung für sie, wenn sie geistig oder seelisch auf Hilfe angewiesen sind?

Irgendwas Soziales studieren...

Es gibt ganz verschiedene Menschen, die ihre Angelegenheiten nicht mehr vollständig regeln können: Demente, aber auch Spielsüchtige, psychisch Kranke oder Drogenabhängige. Ist ihre Hilfsbedürftigkeit absehbar, können sie Personen ihres Vertrauens – meistens Familienangehörigen – eine Vollmacht ausstellen. Die Vertrauten handeln dann stellvertretend für den Vollmachtgeber, der auch die Verantwortung für ihre Handlungen trägt – sofern sie seinem Willen entsprechen. Wer für den Fall vorsorgen möchte, dass er einmal auf Hilfe angewiesen sein könnte, kann schon in gesundem Zustand eine Vorsorgevollmacht erteilen, die erst im Fall der Hilfsbedürftigkeit wirksam wird.

So weit, so klar – doch was passiert, wenn der zu Betreuende keine Vertrauenspersonen hat oder wenn diese gegen sein Wohl oder gegen seinen Willen handeln? Dann kann, bestenfalls aber nicht notwendigerweise auf seinen Wunsch hin, ein Betreuer von einem speziellen Betreuungsgericht bestellt werden. Ein Betreuer hat im Wesentlichen die gleichen Aufgaben wie ein Bevollmächtigter. Historisch ist seine Aufgabe aus der des Vormunds entstanden. Denn bis einschließlich 1991 konnten Hilfsbedürftige entmündigt werden, also selbst gar keine Entscheidungen mehr treffen. Sie waren dann in krassem Gegensatz zu ihrem grundgesetzlich garantierten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2, Abs. 1) ihrem Vormund ausgesetzt. Dagegen hat bei einer Betreuung der Wille des Betreuten Vorrang. Der Betreuer handelt nur stellvertretend für ihn und darf seinem Willen nur dann und auf eigene Verantwortung zuwiderhandeln, wenn nur so Gefahren vom Betreuten abgewendet werden können.

In der Praxis sieht das im Idealfall so aus: Wer aus welchen Gründen auch immer Hilfe braucht, kann sein Leben mit Hilfe eines Betreuers selbstbestimmt meistern. Der Betreuer kümmert sich um Rechnungen, führt stellvertretend Gespräche mit Behörden oder Dienstleistern und hilft bei der Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte, z.B. beim Wählen. Doch manchmal reicht das nicht. In der Süddeutschen Zeitung berichtete kürzlich ein Betreuer von einem Spielsüchtigen, der Geld vom Staat vom Konto abhob und verzockte, bevor der Betreuer dies verhindern konnte. Wie ich mein Geld ausgebe, liegt zwar grundsätzlich auch im Falle einer Betreuung allein in meiner Verantwortung. Der Spielsüchtige hatte aber auch eine Geldstrafe zu bezahlen, andernfalls drohte ihm Haft. Deshalb durfte der Betreuer beim Betreuungsgericht einen sogenannten Einwilligungsvorbehalt beantragen. Hinter dem umständlichen Juristendeutsch steckt ein einfaches Instrument: Jedes Geschäft des Betreuten bedarf der Einwilligung des Betreuers. Damit wird etwa verhindert, dass Hilfsbedürftige unsinnige oder für sie nachteilige Käufe etwa per Telefon oder an der Haustür schließen und ihre Notlage dadurch ausgenutzt wird. Ein Einwilligungsvorbehalt setzt eine gerichtlich festgestellte, erhebliche Gefahr für Person oder Vermögen des Betreuten voraus – er ist also keine Entmündigung durch die Hintertür.

Welche Spielräume ein Betreuer nutzt und wann er einen Einwilligungsvorbehalt beantragt, bleibt aber ihm überlassen. Mancher Betreuer würde etwa die vermüllte und mit Fäkalien verseuchte Wohnung eines Betreuten ausräumen – doch der in der SZ zitierte Betreuer pocht da auf den freien Willen des Bewohners: Es gebe schließlich kein Gesetz, das es verbiete, im Dreck zu leben. Als Betreuer muss man also immer abwägen, wie weit die Verantwortung für einen Betreuten gehen soll. Muss eine dreckige Wohnung nicht deshalb ausgeräumt und gesäubert werden, weil sich der Betreute sonst schwere Krankheiten zuziehen kann? Oder muss man so lange warten, bis das schon passiert ist? Und woran erkennt man, dass jemandes Wille nicht mehr frei ist? Die Betreuer – immer mehr professionelle sind darunter – dürfen das bislang im Rahmen ihrer ohnehin erheblichen Machtfülle selbst ermessen. So waltet oft genau diejenige Willkür, die der Gesetzgeber mit der Abschaffung der Vormundschaft im Sinne der Hilfsbedürftigen eigentlich beseitigen wollte. Angesichts des demographischen Wandels brauchen wir deshalb mittelfristig eine gesellschaftliche Diskussion über diese Fragen.