Für viele ist der Herbstanfang gleichbedeutend mit dem Ende von Sonne, Strand, Feiern, Eis und guter Laune. So schön die Komposition Herbstanfang auch klingen mag, verbirgt sich nichts weiter dahinter als sinkende Temperaturen, aufkommender Wind, Dunkelheit, Nässe und rutschige Ahornblätter auf dem Gehweg. Und auch der Schulbeginn wirft düstere Gedanken im Kopf der Schüler auf: Zensuren, früh aufstehen, lernen und das Gänsehaut-Geräusch von Fingernägeln an der Tafel. Zur Einschulung als ABC-Schütze gab es wenigstens noch eine voll gepackte Schultüte mit Leckereien und Spielzeug, nun heißt es Bücher kaufen, Beiträge zahlen und die Einführung der nullten Stunde im Stundenplan – die bedingungslose Kapitulation vor der Müdigkeit.
Aber Moment, wir gehen die Sache völlig falsch an. Zuerst kommt die positive Kritik, dann erst die Verbesserungsvorschläge. Nun dann, versuchen wir dem Herbst und der Schule etwas Positives abzugewinnen. Neustart. Der Herbst färbt die Welt in eine farbenfrohe Wunderlandschaft, wie sie Fontane nicht schöner beschreiben und die Schüler nicht schöner auswendig lernen und zitieren könnten: „ O du wunderschöner Herbst / Wie du die Blätter golden färbst / Deiner reinen Luft so klar und still / Noch einmal ich mich freuen will“. Die frische Herbstluft ist ein Pluspunkt für alle Asthmatiker. Zudem kommen auch die Pilzsammler voll auf ihre Kosten. Und was die Kinder in ihrer Schultüte missen mussten, können sie an Halloween von Tür zu Tür für sich ergattern. Die Bauern ernten, kein eintöniges Vogelgezwitscher zerstört den friedvollen Morgen, denn das Geflügel ist gen Süden unterwegs und die Kreislaufbeschwerden nehmen parallel zur Sonneneinstrahlung ab. Und für die Männerwelt gibt es ein weiteres dickes Plus auf der Habenseite, denn die eingangs erwähnte Bundesliga kommt ins Rollen und mit Champions League, Europa League und DFB Pokal überlebt man jeden noch so düsteren Tag. Auch wenn das Grün auf den Wiesen und in den Wäldern verschwindet, der Fußballrasen strahlt voll satter Farbe. Und während die Herren der Schöpfung ihr Pils vor dem Fernseher sammeln, können die Frauen zahlreichen Serienstarts entgegenfiebern, so dass endlich wieder Ruhe und Ordnung im Haushalt herrscht: Die Kinder sind in der Schule oder früh im Bett, die Hausfrau verzweifelt zusammen mit den desperate housewives vor dem kleinen Fernseher im Schlafzimmer und der Herr des Hauses sitzt in Al Bundy-Manier vor dem Plasmagerät im Wohnzimmer und hört die süße Stimme von Marcel Reif und die noch süßeren Stimmen der grölenden Fans im Stadion.
Nun wird es aber schon schwieriger nach Pluspunkten im Schulbereich zu forschen. Natürlich lernt man viel, man sieht seine Schulfreunde regelmäßig und übt sich im Kugelstoßen und Kopfrechnen. In der Pause spielt man die Bombe platzt oder erzählt sich lustige Witze. Noch plagt man sich nicht mit Begriffen wie Hartz IV, Steuern oder Überstunden herum. Mitunter gibt es Klassenfahrten und Wandertage, auf denen man die Lehrer mal von einer ganz anderen Seite kennen lernt – im Schlafanzug, ohne Kreidefinger und ab und zu blitzt auch mal ein Lächeln durch. Und zu guter Letzt kommen stets die gefürchteten Zeugnisse, für die man aber dann doch immer einen kleinen Schein von Oma absahnen kann, auch wenn sich die ein oder andere vier eingemogelt hat. Aber immerhin hat man ja in Kunst und Sport eine zwei geschafft.
Und was ist die Moral von der Geschicht’? Dass in allen negativen Dingen auch etwas Positives steckt? Dass das Ende einer Sache gleichzeitig der Anfang einer anderen ist? Dass der Alltag nicht nur schwarz und weiß, sondern bunt wie ein Herbsttag sein kann? Sicher ist, dass, auch wenn jedes Jahr der Herbst einkehrt, er dennoch viele Gesichter zeigen kann. Wir hatten bisher bereits den härtesten Winter seit Jahren und die heißesten Sommertage seit einer Ewigkeit, folgt nun der schönste Herbst mit den schönsten Farbspielen seit es meteorologische Aufzeichnungen gibt. Eine Jahreszeit, in der keine Klagen laut werden, dass es zu heiß oder zu kalt ist. Und der September bringt nicht nur den Herbst, sondern auch viele Sprösslinge, denn bekanntlich werden die meisten Kinder im neunten Monat geboren. Und die Geburt ist doch die wundervollste Sache der Welt und zudem der Ursprung aller Anfänge.
Und wieder ein Neustart.