VON JOACHIM SCHEUERER
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11.10.2013 15:24
Kunst kann doch eh nichts bewirken, oder? Vom Einfluss der Kunst auf die Politik.
Im September zog die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh zusammen mit anderen Autoren zum Bundeskanzleramt, um Angela Merkel eine ursprünglich als offener Brief geplante Petition mit 68.000 Unterschriften zu überreichen, die eine restlose Aufklärung der schnell wieder unter den Teppich gekehrten NSA-Affäre forderten. Dies war, abgesehen von den unglücklichen Äußerungen Günter Grass' zu Israel, eine der wenigen politischen Aktivitäten in den vergangenen Jahren aus den Reihen der intellektuellen Künstlerriege. Doch woher kommt diese Zurückhaltung auf Seiten vieler Kunstschaffender, wenn es um die politische Positionierung oder sogar den Eingriff in spezifische Debatten geht? Ist Kunst per se etwas Unpolitisches? Darf Kunst sich nicht mehr einmischen?
Ai Weiwei und die Freiheit der Kunst
Mit seiner Kunst übt er vielfach Kritik am chinesischen Regime und erlitt dafür, gerade in den letzten zwei Jahren, wiederholt massive Einschränkungen seiner Bürgerrechte
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Die Frage nach den Aufgaben der Kunst und ihrer Legitimation, sowie Kompetenz im Umgang mit realen, politischen Problemen reicht mindestens zurück bis zu Aristoteles und dessen Mimesis-Begriff. Aristoteles Konzept von Kunst als Nachahmung der Welt mit dem Ziele der Katharsis und Läuterung ist dabei aktueller denn je und trifft bereits damals einen auch heute noch gültigen und gewichtigen Kern des Problems. Denn Kunst hat nicht die Aufgabe, noch die Kompetenz realpolitische Lösungen zu liefern und Entscheidungen zu treffen. Doch liegt ihre große Kraft im kreativen und visionären Horizont, den sie eröffnet. Man denke nur an das beliebte Musterbeispiel auch im Hinblick auf die aktuelle NSA-Atmosphäre: George Orwells „1984“. Literatur erlaubt den flexiblen Perspektivwechsel, die Spekulation, das Gedankenspiel, sowie das Nachempfinden von Situationen und Verhältnissen, fördert also auch das Mitgefühl. Gleichzeitig vermag sie zu motivieren, Impulse zum Handeln zu liefern, ohne immer schon eine klare, dogmatische Richtung vorzugeben, sofern sie nicht zum reinen parteipolitischen Instrumentarium verkommt wie etwa zu Zeiten des Nationalsozialismus oder des sozialistischen Realismus.
Juli Zeh formuliert ihr Credo dementsprechend, wenn sie schreibt:
„Ich möchte den Lesern keine Meinungen, sondern Ideen vermitteln und den Zugang zu einem nicht journalistischen und trotzdem politischen Blick auf die Welt eröffnen.“ Der Schriftsteller hat dabei die Möglichkeit öffentlich Stellung zu beziehen und Einfluss zu nehmen ohne dabei explizit politische Literatur zu verfassen oder sich dabei irgendeiner parteipolitischen Strömung anschließen zu müssen, was Juli Zeh vor dem Hintergrund der deutschen Erfahrungen mit kollektiven Irrungen als einen der Hauptgründe für die Zurückhaltung der Deutschen (Künstler) in Sachen politischer Partizipation anführt. Heinrich Böll ist ein weiteres gutes Beispiel für diese Art des Engagements. Seine symbolischen
Blumengrüße an Beate Klarsfeld, nachdem sie den früheren NSDAPler und damaligen Bundeskanzler Kiesinger geohrfeigt hatte, sind nur eine kleine Möglichkeit von vielen des gesellschaftlichen Statements, welches ihm zufolge fast schon geboten scheint:
„Ich kann’s mir leisten und leiste es mir, spiele den „Freiheitsbock“ für viele, von denen ich weiß, daß ihre Freiheit nicht so weit geht wie meine.“
Die öffentliche Rückendeckung und Parteinahme durch renommierte Größen kann wichtigen Debatten zum Durchbruch verhelfen. Laut Juli Zeh ist dazu nicht einmal großes Expertentum von Nöten. „Gesunder Menschenverstand“ und ein Herz reichten aus. Sicherlich hat sie Recht mit ihrer Feststellung eines Mangels an öffentlich-künstlerischer Anteilnahme und Betroffenheit. Dennoch ist auch nichts einzuwenden gegen gut informierte Künstler. Allgemein scheint sich ein Großteil, egal ob Literaten, Musiker oder bildende Künstler in den vergangenen Jahren dem distanzierten Zynismus und der Ironie verschrieben zu haben. Das ist oftmals legitim, doch vom Elfenbeinturm herunter lachen alleine reicht nicht aus. Ein wenig mehr Mut zur Ernsthaftigkeit könnte manchmal nicht schaden.
Und trotzdem darf der politische Protest auch Spass machen. Schon Horaz sprach davon, dass Kunst zugleich erfreuen und belehren müsse.
Ein eindrückliches Beispiel für die gelungene Realisierung jenes Anspruches ist bestimmt die Soul-Musik der 60er und 70er Jahre, die quasi den Soundtrack zur afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung lieferte und maßgeblich an der Formulierung und Behauptung einer schwarzen Identität beteiligt war. Songs wie „Say It Loud (I´m Black and Proud)“ (James Brown), „Get Ready“ (Curtis Mayfield) oder „What´s Going On“ (Marvin Gaye), gaben den Hoffnungen, Erwartungen und Emotionen der Afroamerikaner das nötige Ventil, die Energie und eine mitreißende und griffige Erscheinung. Jene Künstler riefen zum Kampf und zum Tanz zugleich auf. Das ist nämlich kein Widerspruch, wie es unsere von unangenehmen Störquellen befreite Popwelt oftmals suggeriert.
Auch die musikalischen Erben der Soul-Ära, die HipHopper, haben sich das politische Potenzial zu Nutze gemacht, wenn auch teilweise mit drastischeren Mitteln. Von „Public Enemy“ über „N.W.A.“ und „Tupac“ zur gemäßigteren Counscious-Bewegung der ausgehenden 90er um Gruppen und Künstler wie „The Roots“, „Mos Def“ oder „Talib Kweli beteiligten sich viele Rapper an den drängenden Diskursen ihrer Zeit wie Rassismus und Armut. Im Falle der
Präsidentschaftskandidatur Barack Obamas 2008 wurden einige von ihnen sogar zu Wahlhelfern, die sich offenkundig zu Obama bekannten, um ihre Hörerschaften zu mobilisieren. Mittlerweile ist jener Zuspruch der HipHop-Community zwar stark abgeflaut, bis hin zu direkter Kritik wie im Falle des Rappers
Lupe Fiasco angesichts der Drohneneinsätze der Obama-Regierung. Dennoch zeigt dies, dass Künstler durchaus Einfluss auf politische Prozesse nehmen können. Mit dieser Macht geht viel Verantwortung einher, der natürlich nicht jeder Künstler in gleichem Maße gerecht werden kann. Dennoch wäre es begrüßenswert, wenn sich wieder mehr Kunstschaffende ihrer positiven Macht bewusst würden und bedienten. Der amerikanische Rapper „Common“ kommentiert das Verhältnis zwischen medialer Aufmerksamkeit und Verantwortung in seinem Song „
The People“ folgendermaßen:
„A gift from the skies, to be recognized, I´m keeping my eyes on the people, that´s the prize“.