VON MAXIMILIAN REICHLIN | 08.09.2015 12:53

Von „Raus mit Lanz“ zu „Raus mit Rösler“ - Die Macht von Petitionen

Petitionen als Instrument der Demokratie sind in der letzten Zeit immer wieder diskutiert und kritisiert worden. Zu unbedacht gingen manche Petenten in den vergangenen Jahren mit der Möglichkeit um, sich Gehör zu verschaffen, zu wenige wirklich sinnvolle Petitionen wurden unterstützt. Dabei sollten wir nicht vergessen, wofür Petitionen eigentlich da sind: Nicht als Mittel, effektiv unsere eigenen Vorstellungen durchzusetzen, sondern als Möglichkeit, auf einen offensichtlichen Bedarf hinzuweisen und öffentliches Aufsehen dafür zu erregen. Ich versuche, die Ehre dieses altehrwürdigen Instruments zu retten, und gehe den Fragen nach: Was sind Petitionen, wie funktionieren sie und was können sie bewirken?


Die erste Frage ist schnell beantwortet: Petitionen sind im Grunde Bittgesuche an zuständige Behörden oder die Regierung. Wenn ich mich als Einzelner ungerecht behandelt fühle oder der Meinung bin, dass ein bestehendes Gesetz geändert werden sollte, dann kann ich das in einer Petition deutlich machen. Mein Recht dazu ist in Artikel 17 des deutschen Grundgesetzes verankert. Jeder kann eine solche Petition einreichen, unabhängig von Alter und Nationalität des sogenannten Petenten. Das Schöne (oder das Traurige; siehe unten) an der Sache ist: Egal welchen Inhalt mein Antrag hat, er muss von der zuständigen Stelle gehört und überprüft werden. In Deutschland ist das der Petitionsausschuss des Bundestages. Dieser sammelt und überprüft alle eingehenden Petitionen und leitet sie gegebenenfalls weiter. Seit 2005 können Gesuche als sogenannte e-Petitionen auch online direkt beim Ausschuss eingereicht, und, sofern sie veröffentlicht werden, in einem Forum diskutiert und von Gleichgesinnten mit wenigen Klicks unterzeichnet werden. Daneben gibt es noch einige inoffizielle Petitionsplattformen im Netz, zum Beispiel openPetition, Campact oder change.org.

Direkte Demokratie

Dass von den über 15.000 Petitionen, die alleine im vergangenen Jahr beim Ausschuss eingegangen sind, nur ein Bruchteil veröffentlicht wurde und noch weniger davon tatsächlich durchgesetzt werden konnten, hat einen Grund. Manche sind sogenannte Einzelpetitionen, deren Inhalt vertraulich behandelt wird, weil er die Öffentlichkeit nicht betrifft. Andere Petitionen haben klar rassistische oder homophobe Züge und werden alleine deswegen nicht veröffentlicht. Wieder andere sind schlicht und ergreifend blödsinnig. So zum Beispiel eine im vergangenen Jahr auf openPetition gestartete Petition „Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag“ mit sage und schreibe 230.000 Unterschriften. Zum Vergleich: Eine e-Petition für eine Beteiligung Deutschlands am innovativen Regenwaldschutz-Projekt Yasuni-ITT unterschrieben nur rund 1.200 Bundesbürger. Verkehrte Welt. Es ist, wie es immer ist: Wenn eine Sache schnell und ohne Aufwand über das Internet geregelt werden kann, wird damit eben auch viel Murks gemacht.

Aber immerhin: Nur weil eine Petition viele Unterschriften hat, muss sie deswegen nicht auch eine große Wirkung haben. Aufgepasst, hier besteht immer noch Verwechslungsgefahr: Eine Petition ist kein Volksbegehren oder Volksentscheid. Selbst wenn ein Gesuch beim Petitionsausschuss geprüft und von diesem im Internet veröffentlicht wird, hat sie nicht unbedingt eine direkte Auswirkung. Letztlich entscheidet die Regierung, auf welche Bittgesuche sie eingehen will und auf welche nicht, denn der Ausschuss selbst trifft keine Entscheidungen. Dementsprechend sind Petitionen auch keine direktdemokratischen Instrumente, sie können also nicht dazu eingesetzt werden, schnell und effektiv Gesetzesänderungen zu erwirken. Sie zeigen für die Bundesregierung höchstens einen Bedarf auf, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen.

Was die Sache also letzten Endes bringt? Gar nichts, zumindest nicht, wenn von der Petition erwartet wird, dass sie sofort bestehende Strukturen verändert und von heute auf morgen Wirkung zeigt. Dazu sind Petitionen nicht da. Sie sind in erster Linie ein Instrument, um auf einen Missstand hinzuweisen und möglicherweise Anhänger für eine Idee zu gewinnen. Denn klar ist auch: Je mehr Unterstützer eine Petition hat, desto mehr Menschen teilen die Informationen dazu im Internet, desto mehr Menschen lesen darüber, desto mehr Menschen wissen Bescheid. Ein kluger Volksvertreter sollte also, spätestens wenn es sich um eine medienwirksame öffentliche Petition handelt, zumindest Stellung zum Gesuch beziehen, wenn er nicht als Ignorant verschrien sein will. So erntete etwa der ehemalige FDP-Vorsitzende Philipp Rösler harsche Kritik, weil er 2013 die Annahme einer gut 240.000 Unterschriften starken Petition gegen die Wasserprivatisierung verweigerte. Maritta Strasser von Campact nannte dies ein politisches „Eigentor“, vor allem in einem Wahljahr. Rösler hat sich mittlerweile aus seinem Amt verabschiedet, die FDP ist in der Versenkung verschwunden. Vielleicht auch aufgrund dieser kleinen Geschichte. Weil er sich geweigert hatte, einer Viertelmillion Wählern sein Gehör zu schenken.