VON JASCHA SCHULZ | 15.07.2016 13:40

Mediale Gerechtigkeit: Ist die Partei die Linke in deutschen Nachrichtensendungen unterrepräsentiert?

Das Fernsehen spielt als Informationsmedium für die Deutschen noch immer eine herausragende Rolle. Das weiß auch Oscar Lafontaine. Entsprechend groß war sein Ärger aufgrund einer Studie des Instituts für empirische Medienforschung: Politiker der Linken hatten von allen deutschen Parlamentsparteien die wenigsten Auftritte in Nachrichtensendungen der deutschen TV-Landschaft. UNI.DE hat nachgeforscht, ob Lafontaines Ärger berechtigt ist und Politiker der Linken in deutschen Nachrichten systematisch unterrepräsentiert sind.


Nach der Veröffentlichung des InfoMonitors holte Oscar Lafontaine zum Rundumschlag gegen die Medienlandschaft aus: „Demokratie setzt unabhängige Medien voraus, davon sind wir weit entfernt“, so der Anfang seines vielbeachteten Facebook Posts, der die aktuelle Studie des Instituts für empirische Medienforschung (IFEM) kommentierte. Diese untersuchte die Nachrichtenberichterstattung von Tagesschau, Heute, RTL Aktuell, Sat1 Nachrichten, Tagesthemen und heute journal im April 2016. Dabei förderte sie zutage, dass Politiker der Linken mit 52 Auftritten, also Nennungen, Auftritten in Video-Einspielern und O-Tönen, weit hinter den Regierungsparteien zurücklag. Die CDU kam demnach auf 402 Auftritte, die SPD auf 238 und die CSU auf 80. "Nach wie vor", so Lafontaine weiter, "wird die Linke als einzige Partei, die gegen Lohndumping, Rentenkürzung, Sozialabbau und Kriege kämpft, auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten bekämpft. Von den Medien, die sich in privaten Händen befinden, ganz zu schweigen." Im Gegensatz zum Privatrundfunk ist der ÖR-Rundfunk durch den Rundfunkstaatsvertrag zur Ausgewogenheit verpflichtet. Diesen sieht Lafontaine durch die Ergebnisse der Studie verletzt. Selbst die Grünen kommen mit 120 Auftritten deutlich vor der Linken, obwohl diese stärkste Oppositionskraft ist. Lafontaine wundert es allerdings wenig, "dass die Grünen, als eine Partei, die das kapitalistische Wirtschaftssystem ebenso befürwortet wie Kriege ("humanitäre Einsätze") und Sozialabbau, in der Medienlandschaft gepflegt werden."

In einem Punkt hat Lafontaine sicherlich teilweise Recht. Die vorliegenden Ergebnisse des InfoMonitors zeichnen kein Bild einer ausgewogenen Berichterstattung. Allein die beiden großen Parteien kommen zusammen auf 640 Auftritte in den Nachrichten, rechnet man die Auftritte von Koalitionspartner CSU dazu, dann kommen Mitglieder von Regierungsparteien auf 720 Auftritte. Dem stehen gerade einmal 169 Auftritte von Mitgliedern der Opposition entgegen. Dies muss nicht unbedingt heißen, dass Deutschlands TV-Landschaft über „regierungsnahe Nachrichtensendungen“ verfügt, die auch die Meinungen von Regierungspolitikern überwiegend positiv bewerten. Allerdings kann es trotzdem den demokratischen Meinungsbildungsprozess gefährden, wenn die Menschen fast nur über die Ansichten der Regierungspartei informiert werden. Auf diese Weise werden Meinungen der Opposition oder kleinerer Parteien auf eine Weise marginalisiert, dass sie auch in den Köpfen der Menschen häufig keine Rolle spielen. Verständlich ist die unterschiedliche Gewichtung der Berichterstattung durchaus. So verfügen die Koalitionsparteien über Regierungsverantwortung. Sie haben die Aufgabe, das Land in einem von der Legislative festgelegten Rahmen zu formen, also aktiv auf das gesellschaftliche Geschehen im Land einzuwirken. Auf diese Weise ist es in besonderem Maße relevant, was Vertreter der Regierung zu den verschiedenen Themen zu sagen haben. Des Weiteren haben wir in Deutschland momentan eine schwache Opposition, was die Gewichtung der Abgeordneten betrifft: 503 Sitze sind auf die Regierungsparteien verteilt, während die Opposition aus Linke und Grüne lediglich 127 Sitze innehat. Die Verteilung der Fernsehauftritte in den Nachrichten entspricht somit in etwa der tatsächlichen Sitzverteilung. Allerdings sollte gerade das die Fernsehschaffenden zum Umdenken bewegen: Die essentielle demokratische Aufgabe einer Opposition, die Regierungsparteien zu kontrollieren und ein Gegengewicht zu ihnen darzustellen, muss auch bei einer ‚schwachen Opposition‘ gewahrt bleiben. Gerade die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hätten deshalb die Aufgabe, Oppositionspolitiker stark einzubinden und zu möglichst allen Themen ‚zu Wort‘ kommen zu lassen. Im InfoMonitor Bericht von Januar 2016 wird die übermäßige Gewichtung der Regierungsparteien bei Fernsehauftritten noch deutlicher: Hier stehen rund 1000 Auftritte von Koalitionspolitikern gerade einmal 140 Auftritten von Politikern der Opposition gegenüber.

Facebooks Trending Topics und die Filter Bubble – Meinungsbildung im Internet

Wie steht es aber mit dem Hauptvorwurf Lafontaines, die Linke würde von den deutschen Medien systematisch unterrepräsentiert? In der FAZ veröffentlichte Oliver Georgi einen Artikel, in dem er Lafontaine für sein Vorgehen scharf kritisiert. Lafontaine kreiere mit seinem Facebook Post einen eigenen Lügenpresse-Vorwurf, um sich als Opfer der Medien zu stilisieren. Dass der Linken-Politiker auf diese Weise verfahre sei nichts neues, so habe er bereits im Februar deutschen Journalisten aufgrund ihrer Syrien Berichterstattung vorgeworfen, Anordnungen des amerikanischen Geheimdiensts zu folgen - was auch eine beliebte Verschwörungstheorie in rechten Kreisen ist. Des Weiteren führt Georgi an, dass man die aktuelle politische Themenlage mitberücksichtigen müsse. Diese habe immer einen Einfluss auf die Berichterstattung der Nachrichtenmedien. Auf diese Weise erklärt er die Popularität von Rainer Haseloff (CDU), Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, der die siebtmeisten Nachrichten-Auftritte im April 2016 aufweisen kann. Ohne die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wäre dies wohl nicht möglich gewesen. Die Links-Partei habe hingegen bei den Landtagswahlen im März kaum eine Rolle gespielt, ganz im Gegensatz zu den Grünen, die in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Regierungsbeteiligungen erlangen konnten. Dass die AfD sogar einen Fernsehauftritt mehr ergattern konnte als die Linken, erklärt Georgi mit einem Defizit der Linkspartei selbst. Diese habe im Gegensatz zur AfD es nicht geschafft, die Flüchtlingskrise als das beherrschende Thema der Nachrichtenberichterstattung (130 Minuten im April 2016) zu ihrem Thema zu machen. An dieser Stelle kann man Georgi tatsächlich beipflichten: Die politischen Zeiten scheinen wie gemacht für die Linkspartei, die sich bei salonfähig werdenden inhumanen und fremdenfeindlichen Haltungen als humanistische Stimme etablieren könnte. Stattdessen wirkt die Linkspartei relativ blass, ohne klares Konzept und Position. Dass die Art, etwas zu seinem Thema zu machen, einen hohen Einfluss darauf hat, wie häufig eine Partei medial zu Wort kommt, zeigt auch eine Studie des Medienwissenschaftlers Olaf Jandura zur Berichterstattung über Kleinparteien.

Allerdings muss auch hier wieder angemerkt werden: Eine neutrale und ausgewogene Nachrichtenberichterstattung sollte versuchen, nicht in besonderem Maße denjenigen bei der Berichterstattung zu bevorzugen, der zu dem Thema am lautesten schreit. Des Weiteren rechtfertigt die größere Rolle bei den Landtagswahlen im März nicht, dass Grünen-Politiker mehr als doppelt so häufig in den Nachrichten vorkommen wie Politiker der Linkspartei. Außerdem lag die Linkspartei bezüglich der Fernsehauftritte in den Nachrichten auch bei den vorherigen Studien des IFEM klar hinter den Grünen.

Auch ein weiteres Argument von Georgi ist bei genauerem Hinsehen nicht haltbar. Er führt an, dass die Linke mit Sahra Wagenknecht ja eine der Politikerinnen in ihren Reihen habe, die mit die meisten Talkshow-Auftritte vorweisen könne. Allerdings scheint das allein an Wagenknechts Persönlichkeit und weniger an ihrer Parteizugehörigkeit zu liegen, denn auch hier liegen im Gesamtvergleich die Linken mit 32 zu 50 Talkshowauftritten deutlich hinter den Grünen.

Woran liegt es aber, dass die Grünen im Gegensatz zu den Linken medial überrepräsentiert sind? Diese Frage wird man empirisch wohl nicht einwandfrei klären können. Ein Erklärungsansatz könnte allerdings folgender sein: Grüne und Linke stehen inhaltlich in direkter Konkurrenz. In vielen Punkten ähneln sich die Parteiprogramme, häufig schwanken Wähler zwischen beiden Parteien. Das erklärt auch, warum Lafontaine sein Statement vor allem als Seitenhieb gegen die Grünen nutzt. Schaut man sich nun die Parteienpräferenz der Journalistinnen und Journalisten an, ergibt sich ein deutliches Bild: 26,9 Prozent der Befragten gaben an, dass sie den Grünen am nächsten stehen, was gleichzeitig den Höchstwert darstellt. Zu den Linken bekennen sich gerade einmal 4,2%.

Bleibt am Ende vor allem noch die Frage offen, warum die SPD sich nicht beschwert: Immerhin bekamen Politiker der Sozialdemokraten nur halb so viele Auftritte (238) wie Politiker der CDU und ihrer Schwesternpartei (zusammen 482). Hier gibt es jedoch eine relativ eindeutige Erklärung: Die Popularität der Kanzlerin. Allein im April hatte Angela Merkel in deutschen Nachrichtensendungen 162 Auftritte. Zum Vergleich: Die Spitzenreiter bei der SPD sind Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel, mit 34 Auftritten landen sie auf einem geteilten vierten Platz.