von André Jörg | 02.10.2017 12:53

Videokunst – viele Fragen, die nach Antworten verlangen, die wiederum neue Fragen aufwerfen...

Die Kunst mit dem bewegten Bild, also Video- und Filmkunst, ist wohl eine der zeitgenössischen Kunstformen, die mit am schwersten zu fassen ist. Was sind die ersten Assoziationen, die einem dabei überkommen: Endlos lange Einstellungen von einer Landschaft, ohne dass dort irgendetwas passiert und dann vielleicht doch ein einsames Geschöpf durch das Bild streift; ein wildes Flackern, das von esoterischen Formen unterlegt wird; 100 Fernseher, die zu einem Turm aufgebaut sind und via Liveschaltung Bilder von Überwachsungskameras zeigen. Endlos ließe sich das fortführen.

Wikipedia definiert Videokunst prägnanter: „Die Videokunst ist eine Form der Medienkunst, die sich der Projektion als Medium der künstlerischen Aussage bedient. Die Videokunst entstand in den frühen 1960er-Jahren in Deutschland und Amerika“. Unter die Medienkunst wiederum fallen künstlerische Arbeiten mit „Film, Videos, Holographien, Internet, Computer, Mobiltelefonie, Spielen unter anderem“.

Ein Pionier dieses Genres im musealen Kontext war der aus Korea stammende Nam June Paik, dessen Frühwerk vor allem eine medienkritische Haltung spiegelte. In einer seiner bekanntesten Arbeiten, die zugleich auch als skulpturales Werk lesbar ist, setzte er eine Buddha-Figur vor einen Fernsehapparat und nannte die Arbeit „TV-Buddha“ (1974). Eine Arbeit, die in den 1970er Jahren noch als subversiv und progressiv galt und in der Jetzt-Zeit wohl eher banal erscheint: Fernsehen als quasi-Ersatzreligion. Näher an der eigentlich von ihm kritisierten Medien-Wirkung - da selbst eher eine spektakuläre Revue - muss man seinen Beitrag zur documenta 6 (1977) "Video Jungle", eine raumfüllende Installation mit 30 Monitoren, einordnen.

Hier kündigte sich schon der Wandel von einer einstmals provokanten oder subversiven Wirkweise hin zu einem eher müdes Gähnen erweckenden Moment oder dem Verlangen nach immer stärkeren Reizen als Reaktion der Betrachter/-innen an. Einem wohl in allen Bereichen der Kunst, Film und Musik mit eingenommen, beobachtetes Rezeptionsverhalten. Dies ist, wenn man so will, in geistig-intellektueller Hinsicht ein evolutionärer Ablauf, der es gleichzeitig der zeitgenössischen Kunst nicht leicht macht, wenn sie intendiert polit- oder gesellschaftskritische Arbeiten zu machen, die durch ebendiese Provokation aufwecken soll oder zumindest irritieren möchte. Eines der logischen Resultate daraus ist, dass sie mit den Jahren konzeptueller wurde und somit auch immer schwerer zugänglich wurde. Erhebt man als künstlerisch Tätige/-r nicht den Anspruch kritisch zu sein, so hat man oftmals ein einfacheres Spiel sich auszudrücken. L´art pour l´art schleicht sich ein.

Zurück zur Videokunst. Was dieses Genre so reizvoll und auch teilweise überfordernd macht, ist das schier endlos und überall zur Verfügung stehende Material. Man ist nicht unbedingt darauf angewiesen, selbst zur Kamera zu greifen, sich um Schauspieler/-innen zu bemühen oder sich sonst irgendwie außer Haus zu bewegen. Man kann einfach vom dunklen Zimmer aus auf die endlosen Weiten des Netzes, TVs oder der Printmedien zurückgreifen und sich die Inhalte oder Bilder aneignen: So genannte Mash-ups bieten sich an, also Neukombinationen der Found Footage, Kombinationen oder Collagen von dem Anschein nach nicht zusammen hängenden Bildmaterial. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Video von Omer Fast mit dem Titel „CNN Concatenated“ (2002). Dabei hat er sehr spielerisch eine absurde Komposition mit Gesprächsschnipseln aus Reportagen des US-Nachrichtenkanals CNN kreiert. So verbreiten die Reporter/-innen noch apokalyptischere Szenarios als die werten Zuschauer/-innen gewohnt sind. In gewisser Hinsicht sind das emanzipatorische Prozesse, die in Gang gebracht werden. Eine Demokratisierung gegenüber der früher zur Passivität verdammten Konsumentenschaft der Medienwelt. Ein jeder hat die Möglichkeit aus sogenannten Fake-News mit künstlerischen Strategien seine eigenen Fake-News zu schaffen. Aus vorgefertigten Geschichten, seine eigenen Geschichten zu schaffen.

Ein Recht auf Remix?

Dies ist auch eine Brücke zu Mockumentaries, einer Mischung aus Dokumentation und fiktionalem Film, die man ebenfalls als Kunstform begreifen kann. Das wohl populärste Beispiel dafür ist der Horrorfilm „Blair Witch Project“ aus dem Jahr 1999, in dem sich ein Dokumentaristen-Team auf die Spurensuche nach Hexereien in einem schier endlos anmutenden Waldgebiet macht. Nach und nach kommen sie um, und ihr vermeintlich echtes Filmmaterial, wird in dem Film verarbeitet. Man wird zum Zeugen des Geschehens. Nebst der verstörenden Unterhaltung ist dieser Film auch ein Lehrstück, wie leicht man mit dem bewegten Bild hinter das Licht geführt werden kann. Macht man sich nun selbst daran, sich diese Bilder anzueignen, so kann man einen überaus wachen und medienkritischen Blick entwickeln.

Ein Projekt, das unter Filmkunst fällt heißt „Manifesto“ (2015) von Julian Rosefeldt. Nicht zuletzt, da der Künstler mit Cate Blanchett zusammenarbeiten konnte, hat es eine überdurchschnittlich hohe mediale Resonanz erhalten und auch Menschen in die Museen gelockt, die vielleicht sonst eher den Bereich der sogenannten bildenden Kunst meiden. Auf insgesamt 14 Leinwänden ist Cate Blanchett in 14 unterschiedlichen Rollen zu sehen. Jeder ihrer Charaktere rezitiert eine Collage unterschiedlicher künstlerischer Manifeste. Es entsteht eine kurzweilige und lehrreiche Komposition, die gleichzeitig eine Liebeserklärung an das Kino ist.

Es lässt sich schließen, dass die Kunst mit dem bewegten Bild sehr mannigfaltig ist und künstlerische Freiräume bietet, über die die „klassischen Künste“ wie Malerei und Bildhauerei nicht verfügen.

Eine sehr empfehlenswerte Website, um sich weiter mit dem Medium vertraut zu machen ist http://www.ubu.com/.

Bild: "TV Buddha, Nam June Paik, 1974". © Matt Karaffa - flickr.com. Von UNI.DE zugeschnitten und mit ©-Hinweis versehen.
Lizenz: CC BY-NC 2.0.