Von André Jörg | 18.10.2017 14:00

Monster, Schänder und Schreie – Stete Begleiter der Kunst

Kunst, ein Kreuz mit ihr. Schwerer zu fassen als Luft oder tote Materie und dann doch mitunter wieder so banal, belanglos oder spekulativ, dass es einem Schmerz bereiten kann. Horror und Gewalt, Schmerz und Angst, plakativ verkürzt, sollen das Thema sein. So wie diese zur erlebten Geschichte der Menschheit gehören, so erscheinen sie auch als Thema der Kunst oder eigentlich schon seit der Homo sapiens die Fähigkeit besitzt sich bildlich - ohne Kunstwillen -auszudrücken.



Soweit man den Historikern vertrauen darf, gab es bereits in der Steinzeit Illustrationen von Gewalt und Tod. Auch wenn Steinzeitmenschen sich nicht als Künstler verstanden haben mögen und es eher pragmatisch darum ging, zu demonstrieren wie man mit welchen Waffen einen Büffel niederstreckt, oder um die Magie eines Jagdzaubers auszuüben. Die Idee des Künstlers, als autonomem Geist ist ja sehr viel jünger. Aber nur wenige Hofkünstler, gleich ob im Dienst von Fürsten oder Kirche, konnten dieser in der Renaissance aufgekommenen Idealvorstellung nur selten wirklich nahe kommen. Das erforderte erst umfassende politische und ökonomische Umwälzungen, z.T. auch mit Gewalt erreichte...

Beginnen wir in der Antike. Neben heute als stark sexualisiert empfundenen Darstellungen von Gottheiten und Mischwesen, die sich in allen erdenklichen Variationen miteinander vergnügen (vornehmlich in der Vasenmalerei), kommt auch da die Gewalt nicht zu kurz. Im Ägineten-Fries (500/490 v. Chr.) wird gekämpft, man wird vom Pfeil getroffen und stirbt, zu beiden Seiten der schützenden Athene. Gewalt und Schmerz sind aber idealisiert in den Marmor gemeißelt, erscheinen fast verklärt. Die existentiell gegenwärtige blutige Gewalt von Kampf und Sterben der Griechen und Trojaner wird nachvollziehbar in der Ilias. Und für die Menschen jener Zeit war Gewalt in jeder Form wohl ständig präsent…

In den Zeiten, die uns - klischeemäßig - als dunkle Zeiten des Mittelalters gelten, diente Malerei, ob als Fresko an der Kirchenwand oder als Illumination in einem Messbuch, primär der Verkündigung der Heilsgeschichte. Nur wenige Menschen konnten lesen, die bildliche Darstellung der Schöpfungsgeschichte sollte Gottes Wort verkünden und Gottesfurcht nähren. Schilderungen des Jüngsten Gerichts, der Höllenstrafen hatten ihre Wirksamkeit. Die Darstellungen der Leiden von Märtyrern oder des gekreuzigten Jesus hatten nicht selten erlebbare Entsprechungen, wenn man sich klar macht, wie sehr "unsere" Geschichte von Krieg und Herrschaftsgewalt geprägt ist. Da konnten die Darstellungen des frühen Mittelalters ruhig vereinfacht sein, man wusste, was es bedeutet, wenn jemand z.B. lebendig auf einem Rost gegrillt wird (Hl. Laurentius) oder von Pfeilen durchbohrt wie der Hl. Sebastian.

Und je mehr die Künstler sich die Darstellung der tastbaren Welt aneigneten, desto drastischer wurden auch die Darstellungen von Gewalt und ihrer Auswirkungen, mitunter fast wie Momente aus einem Splattermovie. Ehrlich oder peinlich? Man muss die malerischen Werte bewundern…

Versucht man zu resümieren, so ließe sich behaupten, dass Gewaltdarstellungen in den unterschiedlichsten Formen und mit den unterschiedlichsten Intentionen kreiert wurden. Pragmatisch, illustrativ, als Ausdrucksmöglichkeit innerer Vorgänge, wie der Bewältigung von Traumata bis hin zur puren Faszination und einer Fetischisierung.

Gewalt und angstvoller Schrecken finden sich vielfältig bei Francisco Goya: Mehr als nur die Dokumentation historischer Ereignisse sind das Gemälde Die Erschießung der Aufständischen [El 3 de mayo en Madrid], 1814 und mit den Pinturas Negras [gemalt zwischen 1819-1823], zu denen Bilder wie Der Koloss und Saturn verschlingt seinen Sohn gehören, wird ein dunkler Schlund aufgerissen, freier Fall hinein in namenlosen Schrecken.

Eines der bekanntesten Gemälde der neueren Kunstgeschichte, das Angst zum Ausdruck bringt, ist Der Schrei des den Expressionisten nahen Eduard Munch. Eine Fratze mit weit aufgerissenem Maul und überdimensionierten Augen blickt aus dem Bild heraus. Die Betrachtenden können nur erahnen, was dieses Geschöpf gerade sieht. Ein Bild das zum Kopfkino einlädt und somit vielleicht noch verstörender wirken kann als eine explizite Darstellung von Gewalt. Quell der größten Angst ist bekanntlich die Phantasie. Und Hollywood hat hier zugelangt: Die Maske von Scream wurde schamlos bei Munch abgekupfert - oder ist das bald ein Archetyp?

Der Maler Francis Bacon, der „Fürst der Finsternis" ist meisterlich darin den puren Horror abzubilden, aber immer noch genügend Raum für Assoziationen in alle erdenklichen Richtungen zu lassen. Sein Bild 1946 ist dafür ein Paradebeispiel. Er selbst äußerte sich, eher süffisant dazu: „... one of the pictures I did in 1946, the one like a butcher's shop, came to me as an accident. I was attempting to make a bird alighting on a field. I had no intention to do this picture; I never thought of it in that way. It was like one continuous accident mounting on top of another."

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Gäbe man sich mit dieser Aussage zufrieden, so würde man viel von der Wirkkraft dieses Gemäldes, die nach einem ersten Staunen eintritt, übersehen oder verleugnen und man könnte ihm, zumindest eingeschränkt und etwas polemisch gesprochen, den Stempel eines gekonnt umgesetzten, spekulativen und belanglosen abstrakt surrealen Horrortrips à la Salvador Dali verpassen. Doch schon allein der Blick auf das Entstehungsdatum sollte davon Abstand nehmen lassen. Hat man sich dem Bild einige Zeit ausgesetzt ohne Befangenheit durch biographische oder zeitgeschichtliche Eckdaten zu provozieren, ist ein Seitenblick durchaus angebracht: Bacon, ein Junge, dessen Vater ihn mit Gewalt zum "Mann" zu erziehen versucht, und ihn schließlich verstößt, nicht zuletzt, weil sich herausstellt, dass der Sohn homosexuell ist.. Ohne psychoanalytisch werden zu wollen, ließe sich ein Gebräu all dieser Aspekte als Grund für eine besondere Einstellung zu Gewalt heranziehen. Das trifft wohl auch zu, aber bei Bacon wie auch bei den genannten Künstlern der neueren Kunstgeschichte handelt es sich keinesfalls um eine individuell ausgerichtete Narration. Bei allen dreien stehen subjektives Leiden und erlebte Ereignisse im Hintergrund, doch wurde die Erschütterung verarbeitet zu einer über die reine Anekdote erhobene Aussage, zeitlos.

Und damit sind wir gar nicht so weit entfernt von den auf das himmlische Jenseits ausgerichteten Darstellungen des Mittelalters. Das Jenseits bleibt, aber ohne die Versprechung eines Himmels.

Bild von Edvard Munch - WebMuseum at ibiblioPage: http://www.ibiblio.org/wm/paint/auth/munch/.
Bild URL: http://www.ibiblio.org/wm/paint/auth/munch/munch.scream.jpg, Gemeinfrei, Link.