VON LISI WASMER
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10.05.2014 14:51
Was allen gehört, wird von keinem geschützt. Das Problem mit Allmenden.
Wer schon mal eine U-Bahn-Toilette besucht hat, kennt das Problem: Wenn etwas für alle da ist, achtet niemand mehr darauf. So ähnlich könnte man auch die Lehre beschreiben, die sich aus Garrett Hardins Essay „The Tragedy of the Commons“ von 1968 ziehen lässt: Ressourcen, die niemandem und damit allen gehören, werden ausgebeutet, um den persönlichen Profit zu maximieren. Die Kosten werden dabei auf die Gesellschaft umgelegt, Nachhaltigkeit spielt keine Rolle. Langfristig gesehen schadet das allen. Aber wer trägt die Verantwortung für Allgemeingüter? Und wie kann diese Verantwortung eingefordert werden?
Es ist mehr als nur eine Binsenweisheit. Es steht sogar im deutschen Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet“. Damit ist die soziale Verantwortung gemeint, die Eigentümer oder etwa Firmenbesitzer gegenüber der Gesellschaft haben. Dreht man den Spieß um, gelangt man zur Quintessenz von Garrett Hardins Essay „The Tragedy of the Commons“. Mit dem Aufsatz zeichnet Hardin 1968 ein pessimistisches Bild des menschlichen Umgangs mit allgemein zugänglichen Ressourcen: Durch kurzsichtige Profitgier einzelner werden Allgemeingüter auf lange Sicht zerstört, den Preis zahlen letzten Endes alle in der Gesellschaft – ein Szenario, das wir heute in Zeiten überfischter Meere, raubgerodeter Wälder und übermäßiger Luftverschmutzung realisiert sehen.
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An der Grenze von Privateigentum und Allgemeingut. Über Betongold und Leerstand
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Was Hardin schon vor 50 Jahren wusste
Worauf stützten sich Hardins Prognosen in den späten 60er Jahren? Das erklärt Professor Sean Mulholland vom Stonehill College auf der liberalen Informationswebseite „
Learn Liberty“. Allgemein gesprochen besagt Hardins Theorie, dass die Ausbeutung von Allgemeingütern durch Einzelpersonen deren Profit zwar zunächst steigert, langfristig gesehen aber zu einer Erschöpfung dieser Ressourcen und somit zu einem Verlust für alle, auch den ursprünglichen Profiteur, führt. Die Tragödie von solchen Allmenden ist also eben die, dass sie niemandem gehören. Somit fühlt sich auch niemand für sie und ihren nachhaltigen Bestand verantwortlich.
Mulholland verwendet in seinem Lehrvideo ebenso wie Hardin das Beispiel von Viehzüchtern und gemeinschaftlichem Weideland. Schneller lässt sich die Theorie aber mit einem für unsere Zeit gebräuchlicherem Exempel erklären: Der Toilette. Jeder hat eine eigene Toilette, die er regelmäßig reinigt, weshalb er auch von vornherein darauf achtet, sie nicht unnötig zu verschmutzen. Gleiches gilt für Toiletten von Freunden oder Bekannten, beziehungsweise für alle Toiletten, die einer individuell identifizierbaren Einzelperson gehört. Schon etwas weniger reinlich wird erfahrungsgemäß mit Toiletten größerer Institutionen wie etwa in Universitäten oder Kaufhäusern umgegangen. Die Verantwortung gegenüber des Eigentums einer anonymen Einrichtung wird offensichtlich als weniger obligat wahrgenommen als die gegenüber Einzel-, beziehungsweise Privatpersonen. Wer den Vergleich weiter ausdehnen will, geht zur nächsten U-Bahn-Station und sucht das öffentliche WC auf.
Wer übernimmt Verantwortung, die keiner zu tragen hat?
Bezogen auf Toiletten ist die mangelnde Verantwortungsübernahme der einzelnen Bürger ein Ärgernis. Im Fall (über-) lebenswichtiger Ressourcen wie etwa Trinkwasser, Weideland oder Atemluft wird sie zu einem existenziellen Problem. Aber was tun? Eine oft eingeforderte Lösung ist die staatliche Reglementierung der Nutzung solcher Ressourcen. Dass die noch lange keine Nachhaltigkeit garantiert, zeigt die Reglementierung des Fischfangs, wie bereits 2010 in der „
Süddeutschen Zeitung“ eindrücklich erklärt wird: Einer Verkürzung der Fangsaison begegneten die Fischer mit effektiveren Fangmethoden und riskanteren Manövern. Der Ausschuss stieg an, ebenso das Berufsrisiko; der Ertrag ging zurück, aber der Druck auf die Fischbestände blieb bestehen.
Welche alternativen Lösungswege könnten also eingeschlagen werden? Die Professorin Elinor Ostrom plädiert in ihrem 1990 erschienenen Essay „
Governing the Commons“ für einen Kompromiss zwischen institutioneller Kontrolle und individueller Verantwortung. Als erste Frau wird sie 2009 für ihre Forschungsarbeit mit dem
Nobel-Preis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet – Schwerpunkt ihrer Untersuchungen: Nach welchen Prinzipien die Nutzung von Allgemeingütern geregelt sein muss, um einen verantwortungsvollen Umgang jedes einzelnen mit diesen Allmenden zu gewährleisten. Im Zuge ihrer Feldforschung kam sie zu folgendem Ergebnis: Die Regeln müssen von allen Betroffenen gemeinsam erarbeitet werden, sie müssen klar und nachvollziehbar sein; außerdem muss ihre Einhaltung überwacht und Zuwiderhandeln sanktioniert werden. Diese Kontrollfunktion kann die Gemeinschaft der Betroffenen selbst übernehmen. Somit übernehmen alle eine allgemeine Verantwortung dafür, dass jeder einzelne seiner individuellen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht wird.
So schwierig die Umsetzung dieses Prinzips auch sein mag, so bestechend einfach ist doch die Idee dahinter: Müsste jeder Benutzer der U-Bahn-Toilette diese mindestens einmal im Monat putzen – auf dem Bahnhofsklo sähe es wohl anders aus.