VON MAXIMILIAN REICHLIN | 26.06.2015 17:34

Täuschungsversuche der Bundesregierung - Was wurde aus dem No-Spy-Abkommen?

Jüngst veröffentlichten Dokumenten zufolge, war sich die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel bereits Anfang 2014 darüber im Klaren, dass das geplante No-Spy-Abkommen mit den USA nicht zustande kommen würde. Dennoch wurde der Öffentlichkeit gegenüber der Stand der Verhandlungen stets positiver dargestellt, als es tatsächlich der Fall war. Das geht aus der internen „Kommunikationslinie“ hervor, die von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung recherchiert und Anfang des Monats von netzpolitik.org veröffentlicht wurde. UNI.DE geht der Sache auf den Grund.

Das geplante No-Spy-Abkommen zwischen Deutschland und den USA schien vor zwei Jahren noch beschlossene Sache zu sein. Nachdem bereits im August 2013 eine deutsche Delegation, bestehend aus Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, Geheimdienstkoordinator Günther Heiß und den Chefs von BND und Verfassungsschutz, in die USA gereist waren, um Auskünfte über Abhör- und Spähmaßnahmen der NSA zu erhalten, war die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Überwachungs-Affäre zunächst groß. Damaligen Berichten zufolge brachte BND-Präsident Gerhard Schindler ein Angebot für ein bilaterales Abkommen mit nach Hause, in dem beide Seiten zusichern sollten, gegenseitig keine Spionage mehr zu betreiben. Das heute sogenannte No-Spy-Abkommen wurde noch im selben Monat von Kanzleramtsminister Roland Pofalla angekündigt.

Der NSA - Untersuchungsausschuss

Nicht einmal ein halbes Jahr später klangen die Berichte dann wieder nüchterner: Amerika verweigere die Zusammenarbeit, die Verhandlung über das geplante No-Spy-Abkommen drohe zu scheitern, so konstatierten die Medien. Die Bundesregierung äußerte sich kaum zu diesen berechtigten Sorgen, von Seiten des BND hieß es nur: „Die Verhandlungen dauern an.“ Die nun von netzpolitik.org veröffentlichten Dokumente, die dem Recherchebund von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung vorliegen, geben Auskunft darüber, dass der Bundesregierung bereits zu diesem Zeitpunkt klar war, dass die USA einem No-Spy-Abkommen nicht zusagen würden. In einer beigefügten „Kommunikationslinie“ der Abteilungen „Außen- und Sicherheitspolitik“ und „Koordinierung der Nachrichtendienste“ wurde der Kanzlerin allerdings geraten, noch nicht „vom Ende der Verhandlungen zu sprechen“, sondern vielmehr auf laufende Gespräche zu verweisen.

Auch ein Angebot der USA, wie es Pofalla bestätigt hatte, soll es so nie gegeben haben. Dennoch kommunizierte die Bundesregierung noch im Januar 2014 die Arbeit am im Grunde bereits gescheiterten No-Spy-Abkommen. BND-Chef Schindler und Kanzlerin Angela Merkel selbst weisen indes die bestehenden Täuschungsvorwürfe vehement zurück. Auf die Frage, ob sie die deutsche Bevölkerung gezielt belogen habe, um Negativpresse zu vermeiden, antwortete die Kanzlerin in einem Interview mit der SZ: „Natürlich nicht.“ Man habe Informationen nach „bestem Wissen und Gewissen“ weitergegeben. Diese Floskel wurde auf der Bundespressekonferenz im vergangenen Monat noch oft von Bundesregierungssprecher Steffen Seibert wiederholt. Eine detaillierte Stellungnahme der Bundesregierung gibt es bisher nicht. Grünen-Chef Cem Özdemir forderte im Gespräch mit der SZ eine „lupenreine Aufklärung“ der Affäre.

Mittlerweile gilt das geplante No-Spy-Abkommen auch offiziell als gescheitert. Statt einer solchen bindenden Vereinbarung strebt die Bundesregierung nun einen grundsätzlichen Cyber-Dialog mit den USA an. Nach einem Besuch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Februar vergangenen Jahres in Washington kündigte dieser an, nun stärker mit seinem amerikanischen Kollegen John Kerry in Kontakt treten zu wollen, um zumindest noch eine sogenannte „Zusammenarbeitsvereinbarung“ zur gemeinsamen Aufklärung der NSA-Affäre zu treffen. Beim Auftakttreffen des Cyber-Dialogs im Juni 2014 kam der Abhör-Skandal allerdings nur am Rande zur Sprache, das gescheiterte No-Spy-Abkommen wurde überhaupt nicht thematisiert. Es sieht nun so aus, als hätte sich die Bundesregierung in diesem Fall, trotz der optimistischen Aussagen von vor zwei Jahren, endgültig geschlagen gegeben.

Möglicherweise auch dies aus taktischen Gründen: So vermutete bereits das Team von netzpolitik.org, anstatt des geplatzten No-Spy-Abkommens hätten die deutschen Geheimdienste wohl lieber ein „Co-Spy-Abkommen“ mit den USA geschlossen. Angesichts der dubiosen Zusammenarbeit zwischen BND und NSA, deren genaue Hintergründe immer noch nicht geklärt sind, ließe sich dieser Schluss durchaus ziehen. Auch der amerikanische Whistleblower Edward Snowden, dessen Enthüllungen im Jahr 2013 die Abhörmaßnahmen der NSA ins Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit rückten, hatte angegeben, die NSA stecke „mit den Deutschen unter einer Decke“. Inwieweit der Bundesregierung also überhaupt an einer genauen Aufklärung der NSA-Affäre gelegen ist, ist nach wie vor unklar.