VON NORA GRAF
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24.06.2015 16:23
Silicon Deutschland: Berlin als „digital city“?
Die digitale Wirtschaft in Deutschland wächst stetig, neue Start-Ups sprießen nur so aus dem Boden. Und nicht nur in Amerika, sondern auch in Deutschland entstehen immer mehr Jobs in der IT-Branche. Mehr als 8.000 Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnik werden hierzulande pro Jahr gegründet. Die meisten davon in Berlin, gefolgt von München. Gerade Berlin, das lange Zeit finanziell eher schwach aufgestellt war, wird nun zur digitalen Stadt, in der reihenweise Start-Ups entstehen und daher auch Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum zunehmen. Im Vergleich bleibt Deutschland jedoch weit hinter dem amerikanischen Silicon Valley zurück, und kann noch so einiges von seinem Vorbild lernen.
Berlin boomt
Eine Studie der Investitionsbank Berlin fand heraus, dass die digitale Wirtschaft mittlerweile mehr zur Bruttowertschöpfung der Stadt beiträgt als die Bauwirtschaft. In Zahlen sieht das so aus: 6,1 Unternehmen werden in der Woche gegründet und jeder achte Arbeitsplatz, der seit 2008 in Berlin entstanden ist, wurde in der Digitalwirtschaft geschaffen. McKinsey sieht auch keinen Abbruch dieser Entwicklung: Das Beratungsunternehmen rechnet sogar mit 100.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen, wenn der digitale Aufschwung weiterhin gefördert wird.
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Viele bekannte Start-Ups haben sich in Berlin niedergelassen. Die prominentesten Beispiele sind etwa Zalando, Soundcloud, Research Gate, Delivery Hero oder Mister Spex, und täglich kommen neue hinzu. Doch was macht gerade Berlin für neue Unternehmen so beliebt? Das liegt zum einen an der guten Infrastruktur für Start-Ups, die viele dorthin zieht. Und zum anderen an der Gründerstimmung, die man in Berlin regelrecht spüren kann. Die Menschen würden Großes schaffen wollen, so Ijad Madisch, ein Mitgründer von Research Gate. Im Silicon Valley seien die Menschen oft schon satt vom Erfolg.
Berlin weit hinter Silicon Valley
Doch sieht man sich die
Zahlen im Vergleich zum Silicon Valley an, so wird der Optimismus doch ein wenig getrübt. Letztes Jahr betrug das Venture Capital, also die weltweite Vergabe von Risikokapital, im Silicon Valley 26 Milliarden Dollar und in Deutschland 3 Milliarden Dollar. Im Silicon Valley wird zehnmal so viel Geld in digitale Unternehmen investiert wie zwischen Rhein und Oder. Weltweit gehen lediglich 3,3 Prozent des gesamten Venture Capitals an deutsche Start-Ups. Da verwundert es schon ein wenig, dass Deutschland damit trotzdem ganz vorne mit dabei ist: In Europa wird nur in Großbritannien und Irland mit 4,2 Milliarden Dollar mehr investiert. Deutschland kann damit fast 28 Prozent des Risikokapitals in Europa abgreifen. Als größter Investor gilt der
High-Tech Gründerfonds, der auf Initiative des Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) 2005 ins Leben gerufen wurde. Beteiligt sind dabei auf der einen Seite das BMWi mit der KfW Bankengruppe und auf der anderen Seite Industrieunternehmen wie Telekom und Siemens.
Was in Deutschland falsch läuft
Ein entscheidender Unterschied zum Silicon Valley sei der Umgang mit dem Scheitern. Im Mekka der Computerindustrie herrsche die Überzeugung, Sachen erst einmal auszuprobieren, ohne die Angst vor einem Misserfolg. Denn Scheitern sei eine Erfahrung und keine Niederlage. Der etwas andere Umgang bei Gründungen zeige sich aber auch bei den Investitionen. An der Westküste Amerikas spiele es weniger eine Rolle, ob ein neues Unternehmen profitabel und leistungsstark sei, sondern vielmehr der Umstand, welches Potenzial dahinter stecke. Daher sei es in den USA auch viel leichter an zehn bis 15 Millionen Dollar Kapital zu kommen. Mit dem Risiko gehe man in Amerika viel produktiver um als im eher konservativen Deutschland. Und wenn diejenigen, die das Geld haben, nicht mitmachen, ist jeglicher Gründungseifer, wie derzeit in Berlin, umsonst.
Rocket Internet: Silicon Valley nach Deutschland
Die
Brüder Samwer möchten genau diesem Mangel an Risikobereitschaft Abhilfe schaffen und ein klein wenig Silicon Valley nach Deutschland holen. Manch einer verbindet mit dem Namen vielleicht Alando, das erste Projekt der Brüder, das sie 1998 gründeten. Dies stellte im Großen und Ganzen eine Kopie von eBay dar, die so erfolgreich wurde, dass Ebay sie für 43 Millionen Euro kaufte und zu eBay Deutschland machte. Bekannter dürfte wohl Zalando sein, dessen Vorbild das US-amerikanische Zappos ist, wobei mittlerweile die Kopie mit 1,8 Milliarden Euro Umsatz erfolgreicher als das Original ist. Mit ihrer Firma Rocket Internet treten die Brüder selbst
seit 2006 als Risikokapitalgeber auf. Ihr Vermögen wird zusammen auf etwa 5,1 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Wichtig ist den Samwer-Brüdern bei ihren Investitionen unter anderem die internationale Ausrichtung, etwas, das viele deutsche Unternehmen oftmals vernachlässigten. Diese seien meistens national ausgerichtet. Doch gerade der E-Commerce funktioniere nach Ansicht von Oliver Samwer auf der ganzen Welt gleich. Und eine Internationalisierung stellt für viele Experten einen weiteren Erfolgsfaktor für junge Unternehmen dar, da nämlich gerade der Größenunterschied zwischen dem US-Markt und Deutschland als eine weitere Wachstumsbremse für Start-Ups gilt. Deutschlands Markt sei mit 80 Millionen Einwohnern schlicht zu klein, um in diesem Bereich ein profitabler Global Player zu werden.
Ein nachhaltigeres System für Deutschland
Fachleute warnen jedoch davor, Silicon Valley eins zu eins nachahmen zu wollen. Vielmehr sollte man die Grundstruktur von Erfolg verstehen und sie so anwenden, dass sie auch in das deutsche System passt. In Deutschland sei der Arbeitseinsatz eher „messungsorientiert“, anders als in den USA, wo die Menschen oft bis zum Umfallen arbeiten. Und das sei auch gut so. Denn so könnte in Deutschland ein neues Geschäftsmodell für Innovationen und Technologie entstehen. „
Freiheit bei Sicherheit“ könnte der Grundsatz dafür lauten, eine nachhaltigere Variante des digitalen Gründens, bei der die Menschen etwas wagen und doch nicht völlig ins Ungewisse springen.
Im sozialen Bereich könnte das eher individuell ausgerichtete Amerika durchaus von Deutschland lernen. Wenn es hierzulande gelingt, ein flexibles Arbeitszeitmodell, qualifizierte Arbeitskräfte und soziale Absicherung mit mehr Risikobereitschaft zu verbinden, könnte das eine echte, soziale Alternative zum neoliberalen Model der USA werden.