VON MAXIMILIAN REICHLIN | 18.12.2015 13:55

Cyberkrieg in Syrien – Anonymous und Syrian Electronic Army im Konflikt

Seit Jahren tobt der Bürgerkrieg in Syrien. Verschiedene Oppositionsgruppen und Terrororganisation kämpfen mit der Regierung um die Vormachtstellung. Inzwischen verlagert sich der Krieg auch in den virtuellen Raum: Begabte Hacker schließen sich mittlerweile zu „Armeen“ zusammen und mischen im bewaffneten Konflikt in Syrien mit. Dabei ist es sehr schwierig zu bestimmen, wer hier eigentlich gegen wen kämpft und warum. Zu viele Interessengruppen sind vertreten, zu viele Motive und Ziele überlagern sich. Was hat es mit dem syrischen „Cyberkrieg“ auf sich?


Beim Angriff amerikanischer Drohnen in Syrien im vergangenen August wurde ein Hacker der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) höchstwahrscheinlich getötet. Der Brite Junaid Hussain war ein Mitglied der IS-Hackergruppierung Team Poison, die 2012 durch den Diebstahl von persönlichen Daten des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair für Aufsehen sorgte. Hussain ist damit das jüngste bekannte Opfer in einem Konflikt, der bereits jetzt als syrischer „Cyberkrieg“ bezeichnet wird.

Seit 2011 tobt in Syrien ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der amtierenden Regierung unter Präsident Baschar al-Assad und verschiedenen religiös-motivierten Oppositionsgruppen, darunter auch die Terrororganisation IS. Der bewaffnete Konflikt wird mittlerweile allerdings nicht nur auf den Schlachtfeldern in den syrischen Städten geführt, sondern vermehrt auch im Internet. Hacker-Organisationen und Aktivistengruppen, sogenannte „Hacktivisten“, haben Syrien als eigenes virtuelles Schlachtfeld gewählt.

Anonymous und SEA - Akteure in einem Cyberkrieg

Darunter ist etwa die bekannte Hacker-Organisation Anonymous. Bereits im September 2014 gaben Sprecher des weltweit agierenden Kollektivs bekannt, eine Kampagne gegen den IS zu führen. Nach den Terroranschlägen am 13. November 2015 auf Paris wurde die Kriegserklärung noch einmal bekräftigt. Seitdem bekennt Anonymous sich vermehrt zu Cyber-Angriffen auf Social-Media-Accounts und Webseiten, die mit dem IS in Zusammenhang stehen. So wurden Benutzerkonten bei Facebook und Twitter gehackt, unbrauchbar gemacht oder von Anonymous übernommen.

Eine weitere Kampflinie verläuft offenbar zwischen Anonymous und der syrischen Hacker-Organisation Syrian Electronic Army (dt.: „Syrische Elektronische Armee“, kurz: SEA). Bei letzterer handelt es sich um eine Hacktivisten-Gruppe, die sich dem Cyber-Kampf für das herrschende Regime Assads auf die Fahne geschrieben hat. Nach eigenen Aussagen richten sich die Angriffe der SEA vor allem gegen Nachrichtenportale wie Al Jazeera oder die BBC, denen eine „blutige Propaganda-Kampagne“ gegen Syrien vorgeworfen wird. Die größtenteils jugendlichen Mitglieder wollen damit der „Desinformation“ der westlichen Welt bezüglich der syrischen Regierung einen Riegel vorschieben.

Auslöser des Konflikts: Lahmgelegtes syrisches Internet

So übernahmen Hacker der SEA im März 2013 kurzzeitig die Kontrolle über einen Twitter-Account der BBC und veröffentlichten politische „Wettervorhersagen“ sowie Pro-Assad-Propaganda. In einem Interview mit dem Lifestyle-Magazin Vice gab ein Mitglied der SEA an, die BBC habe noch nie die Wahrheit über Syrien veröffentlicht, weswegen die Hacker dieses Versäumnis korrigiert hätten. 2014 folgte, in einem ähnlichen Angriff, das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes. Von anderen Angriffen, die ursprünglich der SEA zugeschrieben wurden, distanziert sich die Organisation in dem Interview hingegen. Dazu gehört der Hacker-Angriff, der im Jahr 2012 zur kurzzeitigen Lahmlegung des gesamten syrischen Internets geführt hat.

Anonymous und SEA bombardieren sich gegenseitig

Anonymous machte die syrische Regierung für den Ausfall verantwortlich, erklärte den „Cyberkrieg“ und kämpft seitdem in der Kampagne „OpSyria“ im Internet gegen das Assad-Regime. Die Gruppierung war bereits in früheren Konflikten des Arabischen Frühlings aktiv gewesen und hatte es sich immer zum Ziel gemacht, die Bevölkerung der jeweiligen Gebiete vor Zensurmaßnahmen, wie der Lahmlegung der Internet-Verbindung, zu schützen. Die SEA hingegen hatte nicht die Regierung in Syrien sondern die Oppositionsgruppen im Verdacht, für den Ausfall verantwortlich zu sein.

Seitdem bombardieren sich Anonymous und SEA gegenseitig mit Hackerangriffen. Zu den beliebtesten Methoden in der Hacker-Szene gehört das sogenannte „Defacing“, das Hacken einer Webseite, um fremde Texte oder Bilder einzuschleusen. Beide Seiten greifen auf diese Methode zurück: Anonymous veränderte etwa die Seite des Syrischen Verteidigungsministeriums, die SEA nahm sich die Anonymous-Plattform AnonPlus vor. Dort veröffentlichten die syrischen Hacker Fotos von toten Soldaten und warfen den Hackern der Gegenseite vor, mit ihrer Sympathie für die syrische Opposition gezielt Gruppierungen wie die Muslimbruderschaft (Hamas) zu unterstützen.

Zurück ins Leben

Berliner Hacker hält „Cyberkrieg“ für albern

Stephan Urbach, ein Hacker der deutschen Netzaktivisten-Gruppe Telecomix, hält Defacing allerdings für „albern“. Es müsse andere und bessere Wege für Anonymous geben, die Opposition in Syrien zu unterstützen, als auf Regierungswebseiten auf die Machenschaften des Assad-Regimes hinzuweisen. „Die Syrer wissen, wie schlimm ihr Regime ist.“ Urbach distanziert sich außerdem vom Begriff „Cyberkrieg“. Bei den Aktionen von Anonymous und SEA handele es sich um „Propaganda“, von einem Krieg könne man aber nicht sprechen: „Das verhöhnt die Menschen, die in Syrien getötet werden.“

Tatsächlich ist der Zusammenbruch der Internetverbindung im Jahr 2012 übrigens weder der Regierung Syriens noch der Opposition zuzuschreiben. Vielmehr handelte es sich um einen misslungenen Hack des US-Geheimdienstes NSA, wie aus einem Interview mit dem amerikanischen Whistleblower Edward Snowden hervorgeht. Im Zuge seiner Veröffentlichung der Abhör- und Spionagemaßnahmen amerikanischer Geheimdienste gab er an, die NSA habe geplant, einen Trojaner in die Server eines großen syrischen Internet-Providers einzuschleusen, um E-Mails und Personendaten abzugreifen.